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Frankreich, Israel und die Anerkennung von Palästina

Macrons Palästina-Plan

Analyse
Frankreich, Israel und die Anerkennung von Palästina
Emmanuel Macron traf Anfang April in Kairo mit den Staatsoberhäuptern von Ägypten und Jordanien zusammen und verkündete wenig später Frankreichs Absicht, Palästina als Staat anzuerkennen. Royal Hashemite Court

Emmanuel Macron spricht sich wenige Wochen vor der New Yorker UN-Konferenz zur Zweistaaten-Lösung für die Anerkennung des Staates Palästina aus. Was die Ankündigung über das israelisch-französische Verhältnis und Frankreichs Haltung zum Nahostkonflikt aussagt.

Frankreich möchte einen palästinensischen Staat anerkennen, kündigte Präsident Emmanuel Macron Mitte April an. Dafür werde er sich in Koordination mit Saudi-Arabiens bei der UN-Konferenz zur Zweistaaten-Lösung Anfang Juni in New York einsetzen. Eine formelle Aufnahme Palästinas in die Vereinten Nationen als Vollmitglied, die über den Status Quo als beobachtendes Mitglied hinausgeht, erfordert eine Zweidrittelmehrheit in der UN-Generalversammlung und die Zustimmung des UN-Sicherheitsrats. Als Vollmitglied könnte Frankreich hier ebenso wie die neue Labour-Regierung unter Keir Starmer in Großbritannien vorangehen – allerdings ist ein Veto der Amerikaner nahezu garantiert.

 

Benjamin Netanyahus Reaktion auf Macrons Vorstoß fiel zum einen erwartbar, aber auch überraschend aus. »Wir werden unsere Existenz nicht wegen realitätsferner Illusionen in Gefahr bringen, und wir werden uns keine moralischen Belehrungen über die Gründung eines palästinensischen Staates gefallen lassen, der das Überleben Israels bedrohen würde, schrieb der israelische Premier – und führte dann einen ungewöhnlichen Verweis ins Feld. »Vor allem nicht von jenen, die sich gegen die Unabhängigkeit Korsikas, Neukaledoniens, Französisch-Guayanas und anderer Gebiete aussprechen«.

 

Einerseits verortete Netanyahu damit Israel in die Riege jener Staaten, die aus antikolonialen Bewegungen hervorgingen, andererseits aber bedient er sich auch wegen der so spezifischen Auswahl der Beispiele einer antifranzösischen Rhetorik, die vor allem Russland, aber auch Staaten wie Aserbaidschan zuletzt einsetzten. Baku hatte im vergangenen Jahr die Unruhen in der Inselgruppe Neukaledonien im südlichen Pazifik instrumentalisiert – als Retourkutsche für Frankreichs Kritik an der Vertreibung sämtlicher Armenier aus Bergkarabach. Russland wiederum schwingt sich – vor allem in Afrika – als vermeintlicher Freund und ehrlicher Partner der postkolonialen Staatenwelt auf.

 

Dass derartige Töne Richtung Paris nun nicht nur aus Baku und Moskau, sondern auch Jerusalem zu vernehmen sind, ist durchaus bemerkenswert. Denn Frankreich gehörte zu den ersten europäischen Staaten, die Israel in den 1950er- und 1960er-Jahren mit Waffen und Technologie unterstützten. Insbesondere die Positionierung an Israels Seite während der Sueskrise festigte diese Beziehung. Auch beim Aufbau des israelischen Atomprogramms spielte Frankreich eine zentrale Rolle. Nicht zuletzt beheimatet Frankreich die weltweit drittgrößte jüdische Gemeinschaft.

 

Eine Konfrontation auf dem Gelände der Paternosterkirche auf dem Jerusalemer Ölberg endete im November mit der zwischenzeitlichen Verhaftung mehrerer französischer Gendarmen

 

Allerdings leitete schon Charles de Gaulle eine gewisse Wende in Frankreichs Israel-Politik ein. Dass die israelischen Truppen mit dem Überraschungsangriff auf die ägyptische Luftwaffe den ersten Schritt im Sechstagekrieg 1967 machten, stieß in Paris auf Ablehnung. Frankreich stimmte in der Folge auch für die Annahme der Resolution 242 im Sicherheitsrat, die einen Rückzug der israelischen Truppen aus den neu besetzten Gebieten forderte.

 

In der jüngeren Vergangenheit verschlechterte sich Beginn der Kriege nach dem 7. Oktober das französisch-israelische Verhältnis zusehends. Auch diplomatische Zwischenfälle häufen sich – zuletzt Anfang November. Entgegen der gängigen Konvention hatten israelische Sicherheitskräfte im Vorfeld des Besuchs von Außenminister Jean-Noël Barrot in der von Frankreich verwalteten Paternosterkirche auf dem Jerusalemer Ölberg das Gelände betreten – die folgende Konfrontation endete mit der zwischenzeitlichen Verhaftung mehrerer französischer Gendarmen.

 

Dennoch stellte sich Frankreich nur wenige Wochen später demonstrativ hinter Benyamin Netanyahu – und erklärte, dass der israelische Premier Immunität genieße und Paris aus diesem Grund dem Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs nicht nachkommen werde. Es gilt als offenes Geheimnis, dass Paris diese Position übernahm, um im Gegenzug Israels Zugeständnis für die von Frankreich und den USA ausgehandelte Waffenruhe im Libanon zu sichern. Dass die israelischen Streitkräfte dieses Abkommen ständig einseitig brechen, stößt in Frankreich ebenso auf Unverständnis wie die unverhohlene Ankündigung aus Israel, neu eroberte Gebiete im Libanon und in Syrien auf unbestimmte Zeit besetzt zu halten. Auch die Kritik an der israelischen Kriegsführung in Gaza ist in den vergangenen Monaten merklich gewachsen – insbesondere nach Präsentation des Trump-Plans, der die Zwangsvertreibung sämtlicher Palästinenser zur Folge hätte.

 

Seitdem ist der französische Präsident auch wieder häufiger in der Region präsent. Anfang April standen mit Ägypten und Jordanien nicht nur die Länder auf Emmanuel Macrons Besuchsprogramm, die am meisten von Israels Vertreibungsplänen betroffen wären, sondern auch jene, die in der Region als erste Staaten Israel anerkannten. Auch die Kooperation mit Saudi-Arabien im Vorfeld der UN-Konferenz in New York kann dahingehend interpretiert werden: Schließlich legte das Königreich bereits 2002 unter König Abdullah einen umfassenden Friedensplan vor, der sich auch mit der Haltung Frankreichs – und mithin der Europäischen Union – deckt: Vollständige Anerkennung Israels durch alle Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga im Gegenzug für die Errichtung eines palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967.

 

Schon 1982 setzte sich François Mitterrand in seiner Rede vor der Knesset für eine Zweistaaten-Lösung ein

 

Überraschend ist eher, dass Saudi-Arabien und nicht Katar federführend den französischen Vorstoß begleitet: Denn zum einen hat sich das Emirat in den vergangenen Monaten als Hauptvermittler zwischen Israel und der Hamas in der Frage der Geiselfreilassungen hervorgetan. Zum anderen unterhält Katar zu kaum einen anderen Staat in Europa derart enge Beziehungen wie zu Frankreich. Möglich ist aber auch, dass sich das Emirat lieber auf geräuscharme Verhandlungen im Hintergrund konzentriert, während der saudische Kronprinz Muhammad Bin Salman durchaus unter Druck steht, öffentlich den eigenen Anspruch des Königreichs als regionale Führungsmacht mit Einfluss auf der Weltbühne unter Beweis zu stellen.

 

Insgesamt beliebt Frankreichs Verhältnis zur arabischen Welt aber kompliziert: Die Beziehungen zu Algerien erleben seit vergangenem Sommer einen Tiefpunkt nach dem anderen. Das Verhältnis zu Marokko hat sich verbessert, seitdem Paris Rabats Anspruch auf die Westsahara anerkennt – und damit dasselbe Zugeständnis gemacht hat, das Israel Marokkos Einstieg in die Abraham-Abkommen gesichert hat.

 

Neben Katar und Saudi-Arabien pflegt Frankreich auch ein gutes Verhältnis zu den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE). Der Golfstaat gehört zu den verlässlichsten Kunden französischer Rüstungsgüter, insbesondere der Kampfjets vom Typ »Rafale«. Allerdings haben die VAE im Vergleich zu ihren Nachbarn vom Golf weit weniger in ernsthafte Bemühungen um ein Ende des Gaza-Kriegs und für eine Zweistaatenlösung eingebracht. Gerade der Libanon bleibt aber aufgrund der historischen Verbindungen ein wichtiger Bezugspunkt der Franzosen zum Nahostkonflikt.

 

Doch nicht erst die Tatsache, dass der der Gaza-Krieg auch mit anderen Fronten – und eben nicht zuletzt dem Libanon – verquickt ist, hat die Franzosen in Sachen Zweistaaten-Lösung auf den Plan gerufen. Tatsächlich stimmte Frankreich bereits unter de Gaulles Nachfolger Valéry Giscard d'Estaing im Jahr 1974 für die Anerkennung der PLO als verhandlungsberechtigten Vertreter des palästinensischen Volkes. Außenminister Jean Sauvagnargues traf im selben Jahr als erster westlicher Regierungsvertreter in Beirut PLO-Führer Yassir Arafat. Acht Jahre später setzte sich François Mitterrand in seiner Rede vor der Knesset für eine Zweistaaten-Lösung ein – und nur wenige Monate später sicherten französische Marinekräfte den Abzug von Arafat und der PLO aus Beirut ab.

Von: 
Christina Hensel

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