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Interview mit Fritz Streiff zum Prozess in Koblenz

»Insgesamt ein faires Urteil«

Interview
Interview mit Fritz Streiff zum Prozess in Koblenz
privat

Menschenrechtsanwalt Fritz Streiff begleitet das Verfahren gegen Vertreter des syrischen Regimes in einem Podcast. Welche Wirkung der erste Urteilsspruch hat – und welche Verfahren nun folgen könnten.

zenith: Sie sind Menschenrechtsanwalt und haben den Prozess in Koblenz begleitet – und zwar in Form eines Podcasts.

Fritz Streiff: Ich wollte schon länger mal wieder einen Podcast machen und habe auf das richtige Thema gewartet. Dann kam der Prozess und es fiel mir wie Schuppen von den Augen, dass es das Thema sein musste für den Podcast. Direkt kam auch die Idee, das zusammen mit Syrern zu machen. Also nicht nur auf Deutsch oder Englisch, sondern auch auf Arabisch, was wir glücklicherweise hingekriegt haben.

 

In Ihrem Podcast finden auch Reaktionen von Syrerinnen und Syrern Raum. Welche Bedeutung hat der Prozess in Koblenz für die Menschen in Syrien?

Ich kann natürlich nicht für die Menschen in Syrien sprechen. Trotzdem haben wir versucht, uns ein Bild zu verschaffen, wie der Prozess in Syrien ankommt. Dort sind die Prioritäten einfach komplett andere, gerade jetzt in den Wintermonaten geht es vor allem um Brot und Diesel. Die mentale Kapazität ist gar nicht da, sich mit einem Rechtsverfahren im fernen Deutschland auseinanderzusetzen. Selbst wenn das Interesse vorhanden wäre, ist der Zugang zu Berichterstattung extrem limitiert. Die Medienlandschaft in Syrien ist seit Jahrzehnten völlig kontrolliert vom Regime. Im Internet finden sich mehr Informationen, aber die Überwachung durch die Geheimdienste ist weiterhin so engmaschig, dass sich die Menschen einem Risiko aussetzen, wenn sie regelmäßig Nachrichten auch zu solchen Prozessen in Deutschland und Europa folgen.

 

Schafft dieser Prozess Gerechtigkeit?

Die Meinungen gehen auseinander. Ich arbeite natürlich viel mit Menschenrechtsaktivisten zusammen, die versuchen, diese Verbrechen aufzuarbeiten und für Menschenrechtsstandards zu sorgen. Diesem Prozess in Koblenz wird in diesen Kreisen eine große Signalwirkung zugeschrieben – kleine, aber wichtige Schritte in die richtige Richtung. Nach zehn Jahren Straflosigkeit ist zum ersten Mal etwas Handfestes vorhanden, von einem unabhängigen, öffentlichen Gericht festgestellt: Das Regime hat Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen.

 

Und welche Bedenken wenden die Kritiker des Prozesses ein?

Insbesondere in den sozialen Medien gehen die Meinungen schon sehr weit auseinander. Nicht wenige sagen, dass das Symbolträchtige an diesem Prozess am falschen Hebel ansetzt, weil der jetzt verurteilte Eyad A., aber auch der Hauptangeklagte Anwar R., beides Individuen sind, die sich vom Regime relativ früh abgewandt haben, desertiert sind, teilweise sich auch der Opposition angeschlossen haben. Eyad A. hat sich relativ früh, Ende 2012, losgesagt und da fragen sich einige Syrer zu Recht, was das für ein Signal sendet, dass Leute, die sich vom Regime lossagen im Endeffekt verfolgt werden. Diese Kritiker sagen, dass für Syrer, die noch Teil dieser Regime-Struktur sind und überlegen, zu desertieren, die Signalwirkung eher negativ ist. Dass die Leute sich dreimal überlegen, ob sie das wirklich durchziehen wollen und zum Beispiel nach Europa kommen oder nicht.

 

»Es war von Anfang an auch ein Prozess gegen das Regime«

 

Sind diese Bedenken gerechtfertigt?

Einerseits dreht es sich hier um ein Urteil gegen einen einzelnen Menschen, der nicht verurteilt wird für die strukturellen Verbrechen des Regimes, sondern für seine Zuarbeit zu diesen Verbrechen. Auf der anderen Seite wird es in die Öffentlichkeit so transportiert, als sei es ein Urteil gegen das syrische Regime, für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, was übrigens juristisch auch stimmt. Juristisch muss diese Struktur vom Gericht festgestellt werden, damit Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch diesen Einzelpersonen zur Last gelegt werden können. Das heißt, in diesem Urteil steckt auch drin, dass das syrische Regime verurteilt ist wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dieser Gegensatz ist ganz schwierig in der Öffentlichkeit miteinander in Einklang zu bringen. Und da her rührt vor allem auch die Kritik.

 

Inwieweit ist es dann auch ein politischer Prozess beziehungsweise inwieweit sitzt hier das syrische Regime auf der Anklagebank?

Die 30 Fälle von Folter und schwerer Freiheitsberaubung wurden als Teil von Verbrechen gegen die Menschlichkeit ausgelegt. Um das festzustellen, muss das Gericht genügend Beweise gesehen haben, um zu dem Schluss zu kommen: Hinter diesen Einzeltaten steht eine Struktur, die, einen systematischen und ausgedehnten Angriff auf die Zivilbevölkerung darstellt. Diese Struktur kann nicht von der Einzelperson ausgehen, sondern vom Regime. Und in dem Sinne war es von Anfang an auch ein Prozess gegen das Regime.

 

Wie bewerten Sie das Urteil gegen Eyad A.?

Nach der Urteilsverkündung fragte mich jemand, wie ich meine Reaktion zu diesem Urteil in einem Wort zusammenfassen würde und da fiel mir spontan ein: befriedigend. Das Gericht hat in einer sehr sorgfältigen Urteilsverkündung erklärt, wie es diese größere Struktur der Verbrechen gegen die Menschlichkeit bewiesen sieht. Eigentlich hätte der Rahmen eine Verurteilung bis zu 15 Jahren möglich gemacht. Aber weil Eyad A. sich selbst belastet, Beweise gegen andere, etwa den Hauptangeklagten, geliefert hat und weil er Teil einer Struktur war, in der es in der Tat schwierig ist, sich aus diesen Dingen zurückzuziehen, hat das Gericht im Endeffekt ein Strafmaß von viereinhalb Jahren festgestellt. In diesen Gesamtrahmen war es ein faires Urteil.

 

»Anwar R. hat sich als ein relativ juristischer Saubermann dargestellt«

 

Wie haben die Angehörigen von Eyad A. auf das Urteil reagiert?

Vor dem Gerichtsgebäude schilderte sein Schwager seine Sicht der Dinge: Dass die Angehörigen es nicht gutheißen, dass ihr Familienmitglied hergehalten wird als Symbolfigur für die Verbrechen des Regimes. Dass sie ebenfalls nach vermissten Angehörigen suchen, die sie wiedersehen wollen. Die Familie sieht sich eher als Opfer denn als Täter.

 

Der Prozess wurde in zwei Verfahren aufgespalten. Wie unterscheiden sich die beiden Angeklagten Eyad A. und Anwar R.?

Das ist schon interessant. Schnell wurde klar, dass es Eyad A. gehörig auf den Zeiger ging, dass diese großen strukturellen Verbrechen behandelt wurden, bei denen er sich keiner Schuld bewusst war. Nachdem die Folterbilder des Regime-Deserteurs unter dem Decknamen »Caesar« gezeigt wurden, reagierte er in einer schriftlichen Stellungnahme schockiert und sagte, dass er sich von dem Regime abgewandt habe. Dass diese Bilder ihn zum Weinen gebracht hätten und er keine Wahl hatte, bis sich die Gelegenheit ergab zu desertieren. Aber Reue oder eine Entschuldigung zu den Taten, die ihm konkret zur Last gelegt wurden, gab es nicht. Er sagte, es tue ihm leid für alle Opfer, aber das war eine allgemeine Einlassung.

 

Und Anwar R.?

Anwar R. ist sowohl was die Position in der Abteilung 251, als auch was sein Verhalten bisher angeht eine andere Nummer. Er war Chef der der Untersuchungsabteilung, die die Folter angewandt hat. Er hat seinen Anwalt schon im Mai vorigen Jahres eine lange Einlassung vorlesen lassen, in der er sich detailliert zu allen Anklagepunkten äußerte, alle Schuld von sich wies und keinerlei Reue, keine Emotion zeigte. Er hat sich dargestellt als jemand, der sich in seinem Berufsethos verletzt und nicht respektiert gefühlt hat vom Regime, das ihn immer weniger seine eigentliche Arbeit hat machen lassen und immer mehr dazu gezwungen hat, Teil einer Maschine zu werden. Er hat sich als ein relativ juristischer Saubermann dargestellt.

 

Der Prozess gegen Anwar R. läuft jetzt weiter, welchen Ausgang erwarten Sie?

Dieses Urteil gegen Eyad A. ist ein direkter Präzedenzfall für den Prozess gegen Anwar R. Und es würde schon extrem überraschen, wenn das Gericht für die ihm zur Last gelegten individuellen Verbrechen nicht ein viel höheres Urteil fällt. Das würde, was die Signalwirkung angeht, diejenigen, denen viereinhalb Jahre viel zu wenig waren, wahrscheinlich eher zufriedenstellen.

 

»Da sind mindestens zwei völlig verschiedene Behörden am Werk«

 

Eyad A. hat vier Jahre gebraucht, um nach Deutschland zu gelangen. Wieso wurde dem Asylantrag von Anwar R. nach 6 Tagen stattgegeben und seine Rolle als Colonel des syrischen Sicherheitsapparates nicht überprüft?

Da kann ich ganz wenig zu sagen, weil dazu noch viel zu wenig rausgekommen ist. Es kann gut sein, dass das jetzt in der Tat ein wichtiger Bestandteil werden wird in der weiteren Beweisaufnahme. Es kann sein, dass das nochmal zur Sprache kommt. Das wäre auch für unseren Podcast interessant. Wir wissen nur, dass er ein Visum bekommen hat, ironischerweise für Syrer mit speziellem Schutzbedürfnis. Es existieren Aussagen syrischer Oppositioneller, die ihm auch charakterlich ein gutes Zeugnis ausstellen. Ob und inwieweit er dann auch für die Opposition gearbeitet hat, ist auch weiterhin mehr umstritten als wirklich festgestellt.

 

Riad Seif ist einer dieser Oppositionellen. Inwieweit ist seine Aussage, Anwar R. nicht gekannt und von seinen mutmaßlichen Verbrechen nichts gewusst zu haben, glaubwürdig – insbesondere da er Anwar R. zu seinem Visum nach Deutschland verhalf?

Das weiß ich nicht. Ich habe keine Ahnung, inwieweit die Männer sich vorher kannten. Das sind Spekulationen, auf die kann und will ich mich nicht einlassen.

 

Welchen potenziellen Nutzen hatte Anwar R. für die deutschen Behörden und wieso wurde er erst fünf Jahre nach Gewährung seines Asylgesuchs in Deutschland verhaftet?

Syrische Kollegen haben mich das schon mehrfach gefragt, wie das denn sein kann, dass der Staat, der ihn ins Land holt, später vor Gericht stellt. Die einzige Antwort, die ich darauf habe, ist, dass da mindestens zwei völlig verschiedene Behörden am Werk sind. Auf der einen Seite die Behörden, die damals mit dem Visumsantrag zu tun hatten. Ob da auch noch andere Behörden damals eine Rolle gespielt haben, weiß ich nicht. Auf der anderen Seite, wenn die Staatsanwaltschaft feststellt, dass eine Person möglicherweise Straftaten begangen hat, dann wird diese Person fest festgenommen, ganz egal, welche Behörde vorher mit ihr befasst war.

 

Wird es weitere Verfahren geben und welche Auswirkungen hat der Prozess?

Das kann man so ein bisschen wie einen Filter sehen, der erst eng ist und dann ab jetzt nach unten hin breiter wird. Zunächst handelt es sich um ein Urteil in einem individuellen Prozess. Das hat eine direkte Präzedenzwirkung auf den zweiten Fall, der in diesem Prozess verhandelt wird, und zwar das Verfahren gegen Anwar R. Dann wird das Urteil natürlich für etwaige Prozesse gegen ehemalige Mitarbeiter des syrisches Regimes in Deutschland auch juristisch eine direkte Präzedenzwirkung haben.

 

»Dem Muster von Koblenz könnten weitere europäische Länder folgen, die mit dem Weltrechtsprinzip arbeiten«

 

Stehen denn konkret weitere Verfahren im Raum?

Wenn es so läuft, wie wir uns das vorstellen, dann beginnt demnächst der nächste Prozess, nämlich gegen den ehemaligen Militärarzt Alaa M. aus Homs. Wenn die individuellen Anklagepunkte gegen diese Person auch im Rahmen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhandelt werden und es sich eventuell auch noch um einen ähnlichen Zeitraum handelt, dann hat auch in dem Sinne das Urteil von Koblenz eine direkte Wirkung.

 

Werden solche Prozesse auf Deutschland beschränkt bleiben?

Dem Muster von Koblenz könnten weitere europäische Länder folgen, die mit dem Weltrechtsprinzip arbeiten und die möglicherweise Fälle gegen ehemalige Mitarbeiter des syrischen Regimes vorbereiten. Auch in der juristischen Aufarbeitung der Chemiewaffenangriffe kann das Urteil aus Koblenz mit in Betracht gezogen werden. Dazu haben wir im Oktober beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe und diese Woche beim Untersuchungsrichter in Paris Strafanzeige erstattet. Wenn man dann ganz nach oben schaut, hat die Geschichte gelehrt, dass die größten und wichtigsten Prozesse im internationalen Strafrecht teilweise erst Jahrzehnte nach dem Verbrechen stattfinden. Die Hoffnung haben wir natürlich.

 

Droht auch Baschar Al-Assad selbst, einmal vor Gericht zu landen?

Sollte es irgendwann zum Prozess gegen die höchsten Vertreter der Assad-Regierung bis zum Präsidenten selbst kommen, sei es dann doch durch den Internationalen Strafgerichtshof, weil Putin nicht mehr in Russland das Sagen hat und China mitgeht, sei es vor einem speziellen Tribunal, das eventuell ohne Russland zustande kommen könnte, dann würde auch so ein Gericht natürlich zurückschauen auf den 24. Februar 2021 und das weltweit erste Urteil, in dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit festgestellt wurden. Insofern kann dieses erste Urteil wirklich einen historisch sehr langen Bogen spannen.


Fritz Streiff ist Menschenrechtsanwalt beim »Syrian Center for Media and Freedom of Expression« in Paris. In dem Podcast »Branch 251« berichtet der Jurist gemeinsam mit syrischen Kollegen kontextreich über das weltweit erste Verfahren gegen ehemalige syrische Sicherheitsbedienstete in Koblenz.

Von: 
Emil Jennerich

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