Ist der iranische Gottesstaat noch so göttlich, wie er sich gibt? Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur hat darauf eine überraschende Antwort gefunden. Ein Gespräch über Khomeini, dessen Kritiker und Kaviar.
zenith: Die Islamische Republik löst sich vom Islam – so die These Ihres neuen Buches. Woran machen Sie das fest?
Katajun Amirpur: Erst einmal würden sich nur noch etwa 30 Prozent der iranischen Bevölkerung als »muslimisch« bezeichnen – so lautet zumindest die Schätzung des niederländischen Forschungsinstituts GAMAAN (»Group for Analyzing and Measuring Attitudes in Iran«). Die Menschen in Iran wenden sich anderen Religionen zu, sei es dem Buddhismus, dem Christentum oder gar dem Zoroastrismus. Wie weit dieser Trend reicht, ist jedoch schwierig zu beurteilen.
Ihre These bezieht sich unter anderem auch auf das Regime selbst. Ist der iranische Staat seiner eigenen Ideologie abtrünnig geworden?
Was den islamischen Charakter des Regimes angeht, so kann man das durchaus so sehen. Die Diskussion um die »Islamizität« des Staates, das eslami budan, wie man so schön auf Persisch sagt, ist älter als sie scheint. Bereits kurz nach der Islamischen Revolution standen sich Parlament und Wächterrat gegenüber: Die Gesetze, die das Parlament im Namen des staatlichen Interesses erlassen wollte, wurden vom Wächterrat aufgrund religiöser Beanstandungen blockiert. Des Öfteren gerieten so islamische Prinzipien und Gebote mit ökonomischen Forderungen in Widerspruch. Ein Konflikt, den Khomeini mehr und mehr selbst austarieren musste.
»Es fand sich kein ranghoher Kleriker mehr, der die Idee Khomeinis umsetzen konnte«
Ein Beispiel?
Kaviar ist in Iran nach Erdöl das wichtigste Exportgut. Im Islam ist es allerdings verboten, schuppenlose Fische zu essen. Da Störe, die das Luxusgut liefern, keine Schuppen haben, wuchs sich die prekäre Angelegenheit schnell zum Eklat aus. Man sorgte dann dafür, dass Forscher auch beim Stör Schuppen ausfindig machen, um so auch den Kaviar-Export zu legalisieren.
Ein Fall für den Schlichtungsrat, dem vermittelnden Gremium zwischen Parlament und Wächterrat?
Der Schlichtungsrat wurde von Khomeini 1988 im Zusammenhang mit dem Erlass der Maslehat-Fatwa gegründet. Mit dieser Fatwa wurde es dem Staat erlaubt, sogar »Moschen zu zertrümmern« – solange dies im Interesse des Staates liegt. Damit hat Khomeini die »Islamizität« des iranischen Staates rechtlich selbst ausgehebelt. Und seine Macht weiter ausgebaut: Der Schlichtungsrat untersteht direkt dem Obersten Führer selbst.
Mit der Zeit brach Khomeini mit seinem Zögling und designierten Nachfolger Hossein-Ali Montazeri. Wie kam es zu dem Streit?
Nach den Massenhinrichtungen im Jahre 1988 tat sich Hossein Hossein-Ali Montazeri als größter Kritiker des Obersten Religionsführers hervor. Noch vor Khomeinis Tod wurde ihm der Status als dessen Nachfolger entzogen, er lebte fortan unter Hausarrest. Das Ergebnis: Es fand sich kein ranghoher Kleriker mehr, der die Idee Khomeinis umsetzen konnte: dass nämlich der ranghöchste unter den Klerikern dem iranischen Staat vorstehen sollte. Insbesondere durch die Proteste nach den Wahlen 2009 genoss Montazeri große Popularität, zumal er Ali Khamenei und Mahmud Ahmadinedschad Wahlbetrug vorwarf. Bereits einige Monate später verstarb Montazeri.
»Auch die Gelehrten begründen ihre Kritik am Regime längst nicht mehr religiös«
Montazeri hat also bis zu seinem Tod seine Kritik an der iranischen Führung religiös begründet. Wer sind seine Erben?
Vor der Revolution hat Ahmad Fardid, ein iranischer Professor für Philosophie, den Begriff gharbzadegi in die iranische Öffentlichkeit gebracht – »Westverdrossenheit«. Damit haben Intellektuelle wie er gegen den Schah polemisiert und sind für Khomeini eingestanden. Heute spricht die iranische Bevölkerung von der »Islamverdrossenheit«, die auch die Gelehrten nicht ausspart: Auch sie begründen ihre Kritik am Regime längst nicht mehr religiös. Montazeris Nachkömmlinge? Gibt es erstmal nicht.
Beim Lesen Ihres Buches entsteht der Eindruck, Sie hatten zu Montazeri persönlich Kontakt.
Hatte ich. Montazeri wurde ab 1985 unter Hausarrest gestellt, man konnte ihn aber sehr wohl besuchen in seinem unscheinbaren Haus in seiner Heimatstadt Qom. Von da aus unterrichtete er nach wie vor seine Schüler – und konsumierte übrigens auch regelmäßig Satire-Magazine.
Inzwischen stellt sich doch ganz allgemein die Frage, ob Irans schiitische Gelehrte überhaupt noch die Vormachtstellung im Land haben?
Es kann gut sein, dass nach Khameneis Tod die Revolutionsgarde den Staat komplett usurpiert. Inwiefern die Militärs noch vom Nimbus des Geistlichen profitieren, oder Khamenei zur Marionette der Garde mutiert ist – das ist fast unmöglich einzuschätzen.
Und klassischerweise stört sich die militärische Elite selten an unislamischer Politik.
Ja. Und andersrum gilt: Sollte sich Iran zu einer Militärdiktatur entwickeln, dürften es die Iranerinnen und Iraner auch nicht mehr so streng mit ihrer Islamverdrossenheit meinen.
Prof. Dr. Katajun Amirpur forscht an der Universität Köln zum schiitischen Islam, islamischen Reformdiskursen und zur modernen Geschichte Irans. Von ihr erschienen ist unter anderem eine Biografie Khomeinis sowie eine Aufsatzsammlung zum Reformislam mit Fokus auf Frauenrechte und Gender. Ihr neustes Buch »Iran ohne Islam« erschien am 16. März.