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Israel, die Huthis und der Jemen

Was bringt Israels Krieg gegen die Huthis?

Analyse
Israel, die Huthis und der Jemen

Luftschläge auf die Huthis treffen immer mehr Zivilisten, legen Krankenhäuser, Wasserpumpen und Stromnetze lahm. Warum dieser Krieggerade jetzt für Israel an Bedeutung gewinnt – und was das für den Jemen heißt.

Am 25. September starten über zwanzig Kampfjets zur Operation »Pass the Parcel« gegen Ziele im Nordwesten des Jemen. Der Angriff folgt auf einen Huthi-Raketenbeschuss am Vortag, der in der israelischen Hafenstadt Eilat rund zwanzig Menschen verletzte. Verteidigungsminister Israel Katz reagierte scharf: »Diejenigen, die uns Schaden zufügen, werden siebenfach Schaden erleiden.« Die Huthis schaden Israel und der Weltwirtschaft erheblich, weniger mit militärischer Stärke als durch ihre strategisch günstige Lage. Von ihrer Position am Bab Al-Mandab aus sabotieren sie seit November 2023 den maritimen Verkehr im Roten Meer. Seit der Kaperung des Frachters »Galaxy Leader« hat die Miliz über hundert Schiffe angegriffen.

 

Über zwanzig Staaten versuchen, die Route zu sichern, darunter die USA, die EU und Indien. Die Wirkung bleibt begrenzt: Der Schiffsverkehr durch die Meerenge hat sich halbiert, die Versicherungsprämien sind stark gestiegen. Auch der jüngste israelische Luftschlag ändert daran wenig. Vielmehr verschärfen die Angriffe die humanitäre Lage im Jemen, während die Miliz politisch und organisatorisch an Stärke gewinnt.

 

Am späten Donnerstagnachmittag des 25. Septembers strahlt der Huthi-Propagandasender Al-Masirah TV eine vorab aufgezeichnete Rede des spirituellen und faktischen Führers Abdul-Malik Al-Huthi aus. Zeitgleich dringen die israelischen Jets in den Luftraum des Jemen ein, genauer in den Nordwesten, das Gebiet, das »Ansar Allah – Unterstützer Gottes«, wie sich die Huthis offiziell nennen – kontrolliert.

 

Bereits im Vormonat hatte Israel bei einem Luftschlag mehrere hochrangige Huthi-Vertreter getötet, darunter Premierminister Ahmed Al-Rahawi. Der Angriff entsprach der erklärten Strategie, die Führung der Bewegung gezielt zu schwächen. Weniger klar war der militärische Zweck des Angriffs auf das Hizyaz-Kraftwerk, die wichtigste Energiequelle für die Millionenstadt Sanaa, und das Asr-Umspannwerk im Westen der Stadt.

 

Als Antwort folgten am 10. September israelische Angriffe auf Sanaa und Al-Jawf mit dutzenden Verletzten und Toten, darunter 31 Journalisten

 

Zwei Wochen später traf eine Huthi-Drohne den Flughafen Eilat. Als Antwort folgten am 10. September israelische Angriffe auf Sanaa und Al-Jawf mit dutzenden Verletzten und Toten, darunter 31 Journalisten. Laut dem Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) handelte es sich um den weltweit tödlichsten Angriff auf Medienschaffende seit 16 Jahren. Seit einem Jahrzehnt starb weltweit jeder sechste getötete Journalist durch israelische Angriffe – ob in Gaza, dem Libanon, Iran oder inzwischen auch im Jemen.

 

Keine Woche später starben dutzende Zivilisten im Bombardement rund um den Hafen Hodeida. Tel Aviv begründet die Angriffe mit dem »Kampf gegen den Terror« und der Zerstörung militärischer Infrastruktur. Doch für die Bevölkerung, von der mehr als die Hälfte auf humanitäre Hilfe angewiesen ist, sind Häfen wie Hodeida überlebenswichtig, denn dort kommen Treibstoff, Medizin und Nahrungsmittel ins Land.

 

Auch die Angriffe am 25. September folgten diesem Muster. Nach Angaben der israelischen Streitkräfte (IDF) galten sie sieben Zielen, darunter Kommandostellen, Geheimdienstzentren und Militärlagern. Getroffen wurde auch das Dhaban-Umspannwerk im Nordwesten. Der Zusammenbruch der Stromversorgung legt den Betrieb von Krankenhäusern, Wasserpumpen und Kommunikationsnetzen still. Ganze Dörfer liegen im Dunkeln, in Sanaa ist Strom meist nur noch über teure Dieselgeneratoren verfügbar. Israel nimmt auch dicht besiedelte Wohngebiete wie As-Sab’in und belebte Straßen und Märkte etwa in Al-Raqas unter Feuer. Der »siebenfache Schaden« trifft zu großen Teilen die Zivilbevölkerung.

 

Während Gruppen wie Hizbullah und Hamas seit Jahrzehnten Erfahrung im Ausweichen israelischer Angriffe haben, lernt die Huthi-Führung erst seit Kurzem, aber schnell. Sie verlagert ihre Kommandostrukturen, lebt in Höhlen wie in Städten, bewegt sich mitten unter der Zivilbevölkerung und ihre Führungskader zeigen sich selten öffentlich.

 

Die Passivität vieler arabischer Regierungen im Gaza-Krieg lässt die Huthis heute in Teilen der Region als letzte Kraft erscheinen, die militärisch Solidarität mit Palästina demonstriert

 

Zunehmend wahllose Angriffe stärken den Rückhalt für die Huthis in den arabischen Öffentlichkeiten, das stärkt ihre Wahrnehmung als Widerstandsbewegung. Während die Hamas militärisch zerschlagen ist und die Hizbullah um ihren Machterhalt ringt, ist die Huthis-Bewegung der aktivste und sichtbarste iranische Verbündete. Als Teil der »Achse des Widerstands« erhält die Bewegung laut UN-Berichten zunehmend neuere Waffen, Geräte und Technologie aus Iran – darunter ballistische Raketen und Streubomben. Zugleich vernetzen sie sich stärker in iranisch geführte Schmuggel- und Finanznetzwerke, bauen Kontakte nach Ostafrika und in den Irak aus und versuchen, durch Propaganda auch Sympathisanten im Westen zu gewinnen.

 

Was die Huthis an externer Unterstützung gewinnen, verlieren sie an Legitimität im Inneren. In der jemenitischen Bevölkerung stoßen weder sie noch Israel auf Zustimmung und die zerstörte Infrastruktur, der wirtschaftliche Niedergang und die zivilen Opfer vertiefen die Kluft zwischen Bevölkerung und Außenwelt weiter.

 

Die Passivität vieler arabischer Regierungen im Gaza-Krieg lässt die Huthis heute in Teilen der Region als letzte Kraft erscheinen, die militärisch Solidarität mit Palästina demonstriert. Ein Bild, das sie propagandistisch ausschlachten. Ägyptens Einnahmen aus dem Suezkanal sanken 2024 um zwei Drittel, auch Jordaniens Haupthafen Aqaba verzeichnet erhebliche Einbrüche. Gleichzeitig wächst der gesellschaftliche Druck, keine israelfreundliche Haltung einzunehmen – laut Arab Barometer boykottieren in arabischen Ländern über 80 Prozent der Befragten Unternehmen, die Israel unterstützen. In Monarchien wie den Golfstaaten wird diese Haltung kleingehalten, in Ländern wie Jordanien oder Libanon offen auf die Straße getragen.

 

Die israelischen Luftschläge haben bislang kaum Einfluss auf die jemenitische Innenpolitik. Der 2022 gebildete Präsidiale Führungsrat (PLC), dem Präsident Abd Rabbo Mansur Hadi seine Exekutivgewalt übertrug, gilt weiterhin als international anerkannte Regierung. Es vereint Vertreter verschiedener Anti-Huthi-Fraktionen, darunter der »Südübergangsrat« (STC). Während Saudi-Arabien großen Einfluss auf das Gremium ausübt, kontrollieren die Vereinigten Arabischen Emirate über den STC und verbündete Brigaden Teile des Südens. Diese Regionen blieben bisher von israelischen Angriffen verschont. Entsprechend betonen PLC und STC ihre Neutralität und positionieren sich sowohl gegen Tel Aviv als auch gegen Teheran.

 

Nach dem formalen Ende des Gaza-Kriegs wären Ausnahmezustand und Kriegsrecht eigentlich aufgehoben

 

Auch innerhalb der Huthis verändern die Angriffe wenig. Mahdi Al-Mashat steht als Vorsitzender des Obersten Politischen Rates (SPC) zwar formell an der Spitze, die tatsächliche Macht liegt jedoch im engen Kreis um Abdul-Malik Al-Huthi. Der SPC dient vor allem als politische Fassade, während Schlüsselpositionen nach Loyalität vergeben werden. Selbst gezielte Tötungen wie die des Premierministers Rahawi schwächen die Organisation kaum – sein Nachfolger Muhammad Ahmed Miftah wurde binnen Stunden eingesetzt.

 

Zehn Jahre Krieg kosteten den Jemen über 80 Milliarden Euro an Wirtschaftsleistung, Hunderttausende Arbeitsplätze und die Stabilität eines Staates, der heute faktisch in Einflusszonen zerfällt. Die Luftschläge werfen die Entwicklung eines der ärmsten Länder der Welt um Jahre zurück und sichern zudem die Macht der Huthis. Seit Jahren unterdrückt die Bewegung jede Form von Dissens, unabhängigen Journalismus und politische Opposition. Nach Angaben des UN-Büros für humanitäre Angelegenheiten (OCHA) haben die Huthis seit Juni 2024 mehr als 50 UN-Mitarbeitende willkürlich festgenommen – allein 19 davon im September 2025 – und hunderte jemenitische NGO-Angestellte inhaftiert.

 

Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch berichten von systematischen Razzien gegen Hilfsorganisationen und gezielten Einschüchterungen von Journalisten. Vor 2014 existierten in Sanaa noch 22 unabhängige Zeitungen, im Huthi-Gebiet über hundert freie Medien. Heute publiziert keine einzige mehr. Viele Medienschaffende wurden verhaftet, gefoltert oder ins Exil gezwungen. Unter den israelischen Luftangriffen hat sich diese Repression weiter verschärft. Die Huthis reagieren auf den äußeren Druck mit noch mehr Überwachung und pressen die Bevölkerung in wirtschaftliche Abhängigkeit. Diese Faktoren machen einen Aufstand nach über zehn Jahren Huthi-Herrschaft nahezu unmöglich.

 

Am Bab Al-Mandab müssen die Huthis nur selten ein Schiff treffen, um globale Folgen zu erzeugen. Während Israel seine Luftschläge als »gezielt« darstellt, wirken sie in der Praxis wie Strafaktionen gegen die Zivilbevölkerung und überdecken zugleich die systematische Repression der Huthis. Für Premierminister Benyamin Netanyahu stabilisiert der Konflikt mit den Huthis seine innenpolitische Position. Nach dem formalen Ende des Gaza-Kriegs wären Ausnahmezustand und Kriegsrecht eigentlich aufgehoben. Da in Syrien andere internationale Akteure Israels Eskalationspotenzial begrenzen und die Hizbullah sich mit internen Problemen beschäftigt sieht, rücken die Huthis als iranischer Verbündeter und geostrategischer Störfaktor nun also zunehmend in den Fokus israelischer Militärpolitik.

Von: 
Aaron Paulsen

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