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Netanyahu, Wahlen in Israel und Drohnen-Angriff auf saudische Ölförderanlagen

Die Huthis sind Israels Wählern egal

Analyse
Netanyahu und die Wahlen zur Knesset in Israel
zeevveez, lizensiert gemäß Wikimedia Commons

Der Konflikt mit Teheran dominiert nach einem Angriff auf Ölförderanlagen in Saudi-Arabien wieder die Schlagzeilen. Punkten kann Netanyahu damit im Endspurt des Wahlkampfs aber nicht.

Es ist Wahlkampfzeit in Israel – und zwar schon das gesamte Jahr. Statt die eigene Position zu stärken und nach dem Kopf-An-Kopf-Rennen mit Ex-Armee-Chef Benny Gantz für klare politische Verhältnisse zu sorgen, droht sich der zweite Wahlgang binnen sechs Monaten zum Fiasko für den gewieften Regierungschef Benjamin Netanyahu auszuwachsen.

 

Natürlich hängt das drohende Korruptions-Verfahren – ausgerechnet von Parteifreund Avichai Mandelblit angestoßen – wie ein Damoklesschwert über »Bibis« Karriere. Allerdings spielte das Thema in den Umfragen bei den Wählern nur eine untergeordnete Rolle. Entscheidender ist in diesem Zusammenhang, dass der Premier sein Amt und auch seine Partei, den Likud, angreifbar macht – etwa bei anstehenden Koalitionsverhandlungen mit Parteien aus dem rechten Spektrum, auf deren Unterstützung er angewiesen sein wird.

 

Wer lange in Regierungsverantwortung steckt, dem fällt es tendenziell schwerer, mit Populismus zu mobilisieren – eine ähnliche Erfahrung macht gerade die AKP in der Türkei.

 

Nach diversen Korruptionsskandalen erwarten viele Wähler in Israel gar nicht mal, dass ihre Politiker sauber sind. Aber handlungs- und durchsetzungsfähig sollten sie bitte schon sein. Netanyahu dagegen geht es im Moment zuerst darum, die eigene Haut zu retten. Das macht den Regierungschef erpressbar, seine schrillen Parolen und Wahlkampfversprechen, etwa die Ankündigung, das gesamte Jordantal zu annektieren, muten auch deshalb beinahe verzweifelt an. Wer lange in Regierungsverantwortung steckt, dem fällt es tendenziell schwerer, mit Populismus zu mobilisieren – eine ähnliche Erfahrung macht gerade die AKP in der Türkei.

 

Die Bedrohung der nationalen Sicherheit diente Netanyahu in der Vergangenheit oft genug als zusätzlicher Wahlkampfmotor. Doch die Auseinandersetzung mit der Hamas in Gaza mutet nach über einem Jahrzehnt einem seltsamen Ritual an, das beiden Seiten zur Selbstvergewisserung dient. Außerdem kann Netanyahu nicht mehr mit seinem Lieblingsthema punkten: Iran.

 

Es ist verblüffend, dass dieser Wandel, der im Wahlkampf zusehends deutlicher wurde, bislang so unterbeleuchtet ist. Umso mehr, als dass die Wahlen mit einer weiteren Eskalation am Golf zusammenfallen. Eigentlich sollte man denken, dass die Angriffe auf zwei saudische Ölförderanlagen – deren Hintergründe zu diesem Zeitpunkt noch nicht restlos geklärt sind – dem Amtsinhaber nützen.

 

In gewisser Weise hat Riad die Haltung gegenüber Teheran von Tel Aviv übernommen, wenn nicht gar abgenommen.

 

Doch Washington, der wichtigste Verbündete auf internationalem Parkett, findet keine klare Linie. Ob die enge Beziehung zu US-Präsident Donald Trump, die Netanyahu auch auf seinen Wahlkampfplakaten zur Schau stellte, wirklich zu Israels Nutzen ist, steht selbst in rechtskonservativen Kreisen zur Debatte. Die Demissionierung des Nationalen Sicherheitsberaters John Bolton, vor allem aber, dass Trump nun mit einem »Deal« mit Irans Führung kokettiert, folgen einem Muster: Die populistische Kakophonie untergräbt die sicherheitspolitische Zusammenarbeit. Eben jene Kritik führen Israels Generäle und Geheimdienstler seit Jahren ins Feld.

 

Bedeutender ist aber der geopolitische Perspektivwechsel: Den Konflikt mit Iran tragen in der Region in erster Linie die Golfstaaten aus, allen voran Saudi-Arabien. Eine Mischung aus Profilierung und Paranoia – in gewisser Weise hat Riad die Haltung gegenüber Teheran von Tel Aviv übernommen, wenn nicht gar abgenommen. Denn mit der konkreten Gefahr durch Iran und dessen verbündeten Vasallen in der Region kommt Israel eigentlich gut zurecht: An der Nordgrenze interveniert die Armee in unregelmäßigen Abständen – wenn nötig auch in Syrien, oder wie zuletzt im August geschehen sogar im Irak. Hizbullah und Haschd Al-Schabi bleiben strategische Bedrohungen für Israel, aber welche, die sich mit vergleichsweise geringen Mitteln in Schach halten lassen.

 

Doch Teherans wohl effektivster Verbündeter operiert im Jemen und richtet sich nicht in erster Linie gegen Israel, sondern gegen Saudi-Arabien. Der Krieg im Süden der Arabischen Halbinsel berührt Israels Wähler kaum, die Huthis werden nicht als existenzielle Bedrohung wahrgenommen. Wichtiger noch: Saudi-Arabien gilt trotz der unverkennbaren gemeinsamen Interessen und mehr oder weniger klandestiner Kooperation etwa auf Geheimdienstebene nicht als wirklicher Verbündeter.

 

Ein Bündnis mit Muhammad Bin Salman lässt sich emotional kaum vermarkten.

 

Zumindest lässt sich ein Bündnis mit Muhammad Bin Salman (MBS) emotional kaum vermarkten: Das liegt einerseits am insgesamt anti-arabischen Diskurs der israelischen Rechten, andererseits an der Führungsschwäche des saudischen Kronprinzen. MBS muss sich zwar nicht zur Wahl, aber eben doch unter Beweis stellen.

 

Was militärisch im Jemen nicht gelingt, soll auf diplomatischem Parkett in Palästina glücken. Doch der Wahlkampf droht dem Vorzeigeprojekt der Achse Washington-Jerusalem-Riad einen Strich durch die Rechnung zu machen. Nicht die einhellige Ablehnung durch palästinensische Vertreter ist das Problem. Vielmehr geißeln Israels ultrarechte Parteien die Ergebnisse der Konferenz, die im April in der bahrainischen Hauptstadt Manama stattfand. Insbesondere die neurechte Partei Yamina der geschassten Justizministerin Ayelet Shaked wittert Morgenluft – und treibt Netanyahu vor sich her. Shaked schürt die Angst vor ähnlichen Zugeständnissen, wie sie Netanyahus Verbündeter Trump gegenüber Iran in Aussicht stellt.

 

Der Konflikt zwischen dem Premier und seinen ehemaligen (und vielleicht zukünftigen) Kabinettskollegen ist in vielerlei Hinsicht aber eher persönlicher denn ideologischer Natur. Die Personalie Netanyahu steht der politischen Zusammenarbeit nach den Wahlen im Weg, könnte Israels Ultrarechten aber auch zupasskommen. Denn der Premier lenkt mit seinen zahlreichen Skandalen die Aufmerksamkeit auf sich – und damit weg von der schleichenden Annexion des gesamten Westjordanlandes.

Von: 
Robert Chatterjee

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