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Überwachung, Hijab und Protest in Iran

Gottgefällig dank chinesischer Technologie

Feature
Interview mit sunnitischen Religionsgelehrten Hassan Amini zu Irans Kurden
Videos von Protesten in der iranisch-kurdischen Provinzhauptstadt Saqqez machen seit dem Herbst in den sozialen Medien die Runde.

Die Frauen in Iran widersetzen sich weiterhin dem Zwangsverschleierung. Um die Sittenregeln durchzusetzen, setzt das Regime nun auf Überwachungstechnologie aus China und soziale Ausgrenzung.

Auf manchen Bildern ist Iran kaum wiederzuerkennen. Weg sind die dunklen Schleier, stattdessen sieht man nun wehende Haare, schwarz, lockig, blondiert, von Bob-kurz bis hüftlang. In den Cafés, auf den Gehsteigen, in den öffentlichen Parks. Manchmal spaziert auch eine tiefverschleierte Frau im schwarzen Tschador schwesterlich neben einer Frau im T-Shirt mit offenem Haar – ein Zeichen der gegenseitigen Toleranz, gegen die Polarisierung, die das Regime zwischen religiösen und nicht-religiösen Bürgerinnen und Bürgern schaffen will.

 

Solche Bilder machen in den sozialen Medien kaum noch die Runde, sie sind mittlerweile zu gewöhnlich geworden. Akte des zivilen Gehorsams gehören inzwischen – zumindest in den großen Städten – fast schon zum guten Ton. Um viral zu gehen, muss man schon einen Schritt weitergehen: zum Beispiel im Minirock die Vali-Asr-Einkaufsstraße in Teheran entlangspazieren oder in kurzen Sporthosen und Tanktop Rad fahren.

 

Dinge, die bei uns normal erscheinen. Aber die in der Islamischen Republik noch immer eine ungeheure Portion Mut erfordern. Zwar patrouilliert jetzt nicht mehr die gefürchtete Sittenpolizei die Straßen, doch das Regime ermuntert gewaltbereite Basidschis, die meist aus armen Vierteln rekrutiert und massiv indoktriniert werden – die Sittengesetze zu überwachen und mit allen Mitteln durchzusetzen.

 

An der Speerspitze des Widerstands gegen die Unterdrückung stehen nach wie vor die Frauen. Der Grund dafür: Soziale und politische Kontrolle wird in erster Linie als Kontrolle über den weiblichen Körper ausgeübt. »Der Hijab ist ein Symbol der Islamischen Republik. Gibt es keinen Hijab, macht die Islamische Republik keinen Sinn mehr«, sagte erst vor wenigen Wochen Mohammad Dehghan, der Vizepräsident für juristische Fragen der Regierung von Ebrahim Raisi. Aktivistinnen wie Masih Alinejad vergleichen die Zwangsverschleierung deshalb mit der Berliner Mauer: Fällt der Hijab, fällt auch die Islamische Republik.

 

Seit Monaten sucht das Regime deshalb emsig nach neuen Methoden: Unzählige Gremien, Parlamentssitzungen und Arbeitsgruppen arbeiten daran, die ins Wanken geratene Gesellschaftsordnung aus Puritanismus und Frauenverachtung zu bewahren. Sie erarbeiteten Schritt für Schritt neue Wege der Strafverfolgung.

 

Die Strategie, die sich nun abzeichnet, hat es in sich: Physische Übergriffe – wie im Falle Mahsa Aminis, deren mutmaßliche Tötung durch die Sittenpolizei die Massenproteste erst ausgelöst hat – sollen zwar vermieden werden, sagt der ultrakonservative Parlamentarier Bijan Nobaveh Vatan. Die Gewalt wird aber weiterhin den halboffiziellen Gruppen wie den Basidsch überlassen, von denen man sich notfalls distanzieren kann. Offizielle Einrichtungen sollen stattdessen auf »indirekte und intelligente Strafmethoden« zurückgreifen, um Verstöße gegen die Zwangsverschleierung und andere Sittenregeln zu ahnden.

 

Der Marktführer für Überwachungs- und Verhörtechnik rühmt sich ganz offen seiner Geschäftsbeziehungen zu Teheran

 

Was »indirekt und intelligent« konkret bedeutet, erfuhren die Iranerinnen und Iraner in den letzten Wochen. Fast an jeder Straßenecke stehen inzwischen hochmoderne Überwachungskameras, ausgestattet mit Technologie zur Gesichtserkennung. Frauen, die den Hijab verweigern, sollen damit identifiziert werden. Sie werden jetzt nicht mehr durch die Sittenpolizei festgenommen, sondern erhalten eine Mahnung, spätestens beim zweiten Mal eine Geldstrafe.

 

Die Höhe der Strafen liegt aktuell bei umgerechnet bis zu 100 US-Dollar, dem aktuellen Monatslohn eines Fabrikarbeiters, Hardliner fordern Beträge bis umgerechnet 60.000 US-Dollar. Wer die Strafe nicht zahlen will oder kann, dessen Bankkonto wird gesperrt. »Für Reiche wird somit sogar der Hijab optional«, kritisiert die iranische Journalistin Nazila Marufian das neue Hijab-Gesetz.

 

Doch die Strafen reichen über die Geldbuße weit hinaus. Geschäfte, Cafés, Restaurants und Einkaufszentren, in denen Frauen ohne Hijab gesichtet werden, werden dichtgemacht. Autos, in denen unverschleierte Frauen mitgefahren sind, konfisziert. Das Ziel dieser Maßnahmen so gibt etwa der ultrakonservative Abgeordnete Ali Yazdikhah freimütig zu: »soziale Ausgrenzung« der Frauen, die die Zwangsverschleierung verweigern.

 

Möglich wird diese Art der Strafverfolgung durch High-Tech aus Fernost. 2021 schloss Irans Führung ein Abkommen für strategische Kooperation mit China über eine Laufzeit von 25 Jahren. Im Gegenzug für billiges Erdöl und die Übernahme verschiedener Wirtschaftszweige durch chinesische Firmen bekommt Irans Regierung Überwachungstechnologie. Obwohl iranische Funktionäre den Ankauf solcher Technik nie offen zugegeben haben, rühmt sich Tiandy, der chinesische Marktführer für Überwachungs- und Verhörtechnik, ganz offen auf seiner Webseite der Geschäftsbeziehungen zu Teheran.

 

Die geschwächte Regierung plant schon länger eine Erhöhung der stark subventionierten Gas- und Benzinpreise

 

Was in China unter anderem dazu dient, Uiguren und andere Minderheiten zu verfolgen, kommt nun in Iran zum Einsatz, um Demonstranten und unverschleierte Frauen zu identifizieren.

 

Dass die Kultur des zivilen Ungehorsams in Iran angesichts solcher Formen der Repression gerade aufblüht, ist eigentlich erstaunlich. Früher waren es Frauen, die unter dem Hijab einzelne Haarsträhnen hervorscheinen ließen, die die Grenzen des Möglichen verschoben. Heute sind es Frauen, die den Hijab komplett ablegen und im T-Shirt und kurzen Hosen durch die Parks spazieren.

 

Stimmen aus der Opposition meinen, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis der Protest auch wieder auf die Straßen getragen wird. Ein potenzieller Auslöser ist die horrende Wirtschaftslage im Land. Die geschwächte Regierung plant schon länger eine Erhöhung der stark subventionierten Gas- und Benzinpreise, hat den Schritt aber immer wieder verschoben – wohl aus Angst vor neuen Ausschreitungen. »Jeder Funke könnte ausreichen, um das Fass in die Luft zu jagen«, sagt ein Regimegegner im Gespräch mit zenith, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben will.

 

»Es wird ein heißer Sommer«, lautet auch ein aktueller Hashtag, der in den sozialen Medien in Iran kursiert – eine Anspielung auf die angespannte politische Situation, aber auch auf den anhaltenden Willen der Iranerinnen und Iraner zum Widerstand.

Von: 
Teseo La Marca

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