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zenith-Club-Briefing zu US-Wahlen und Gaza-Krieg

»Da polarisiert Trump weniger als Biden«

Feature
zenith-Club-Briefing zu US-Wahlen und Gaza-Krieg
Sudha David-Wilp (l.) und Christian-Peter Hanelt (r.) im Gespräch mit Pascal Bernhard im zenith-Club

Wie der Gaza-Krieg mit den Haushaltsverhandlungen im US-Kongress zusammenhängt, welche Rolle der Nahostkonflikt im Rennen ums Weiße Haus spielt – und wie Europa sich wieder ins Spiel bringt, diskutierten Sudha David-Wilp und Christian-Peter Hanelt beim zenith-Club-Briefing.

Um Haaresbreite konnte in der vorherigen Woche ein Regierungsstillstand in den Vereinigten Staaten verhindert werden – jedenfalls bis zum 8. März. Die Zwischenfinanzierung von einem Fünftel der US-amerikanischen Ministerien ist damit erstmal gesichert. Doch die Militärpakete für die Ukraine und Israel bleiben weiterhin außen vor – eine langfristige Lösung ist nicht in Sicht.

 

»Auch aufgrund der finanziellen Zuschüsse sind die US-Amerikaner wohl die einzigen, die wirklichen Einfluss auf die israelische Regierung haben«, kommentierte Christian-Peter Hanelt den Zusammenhang zwischen Haushaltsverhandlungen im Kongress und US-Politik im Gaza-Krieg. Der Nahostexperte der Bertelsmann Stiftung diskutierte am 19. Januar im Rahmen eines exklusiven Briefings für Mitglieder des zenith-Club mit Sudha David-Wilp. »Die Ansicht, dass Israel der einzige starke, demokratischer Partner im Nahen Osten ist, gilt als Pfeiler der amerikanisch-israelischen Beziehungen«, konstatierte die Leiterin des Berliner Büros des German Marshall Fund.

 

Zwischen Benjamin Netanyahu und US-Präsident Joe Biden herrschen tiefgehende Meinungsverschiedenheiten, etwa über den Kriegsausgang, die Nachkriegsordnung und palästinensische Staatlichkeit – und schon vor dem 7. Oktober waren die Beziehungen der beiden Regierungen unterkühlt. Dennoch, da sind sich beide Experten sicher: Persönliche Animositäten stellen die israelisch-amerikanische Kooperation nicht grundsätzlich in Frage. »Die Interessen der beiden Staaten sind eng miteinander verflochten«, erklärt Sudha David-Wilp: So verliefen Washingtons Verhandlungen für Freihandelsabkommen mit Ländern in Nordafrika und dem Nahen Osten – von Marokko bis Bahrain – oft parallel zu den Friedensabkommen, die diese Länder in jüngster Zeit mit Israel abgeschlossen haben.

 

»Die US-amerikanische Strategie ist gescheitert«

 

Analog dazu versuchten die USA seit der Präsidentschaft Barack Obamas, die sicherheitspolitische Verantwortung in der Region über Sicherheitsbündnisse zwischen Israel und einigen arabischen Nachbarstaaten abzugeben. Quasi eine »Nahost-NATO«, wie es Christian-Peter Hanelt nennt. Mit dem 7. Oktober und dem darauffolgendem Krieg sowie den Angriffen der »Achse des Widerstandes« ist für den Experten der Bertelsmann Stiftung klar: »Die US-amerikanische Strategie ist gescheitert.« Der Krieg habe die Bemühungen der Amerikaner, sich strategisch aus der Region zurückzuziehen, vorerst torpediert.

 

Auch die besonderen Beziehungen etwa im Bereich militärischer Kooperation bleiben für Washington von zentraler Bedeutung. Seit der Staatsgründung ist Israel der größte Empfänger US-amerikanischer Militärhilfe. Laut dem US-Think Tank Just Security hat das Land seit 1948 mehr als 124 Milliarden Dollar an Militärhilfen entgegengenommen. Der Großteil davon sind Gelder, die es Israel erlauben, US-amerikanische Verteidigungssysteme und Waffen zu kaufen. Diese Mittel werden alle zehn Jahre per Absichtserklärung auf Regierungsebene verabschiedet, zuletzt im Jahr 2016. Diese Abhängigkeit von US-amerikanischen Waffenexporten wird im Gaza-Krieg besonders deutlich. Alleine im ersten Monat des Krieges habe das israelische Militär über 7.000 Tonnen Waffen und Munition von Washington erhalten.

 

Die Waffenhilfe für Israel hat gerade in diesem Jahr eine enorme innenpolitische Dimension. Denn die Biden-Administration muss nicht nur die militärischen und diplomatischen Herausforderungen in der Region bewältigen. Ebenso geht es darum, im andauernden Haushaltsstreit die Handlungsfähigkeit der Regierung zu bewahren und sich gleichzeitig im Wahlkampf zu bewähren, der mit den Vorwahlen der Republikaner gerade anläuft.

 

Insbesondere die Trump-Loyalisten fordern statt weltweitem Engagement eine isolationistische Außenpolitik. »Wenn es um Israel geht, herrscht im Kongress jedoch eine klare überparteiliche Unterstützung«, schränkt Sudha David-Wilp zwar ein. Gerade deshalb versuche Präsident Biden, die Militärhilfe an die Ukraine mit jener für Israel zu verknüpfen.

 

»Erst dann werden sich die Republikaner auf weitere Militärhilfen für die Ukraine und Israel einlassen«

 

Während einige Republikaner aus Prinzip dem isolationistischen Lager zuzuordnen sind, versuchen andere, vor allem aus innenpolitischen Erwägungen heraus aus der Krise Kapital zu schlagen. In diese Kerbe schlug in der vergangenen Woche auch der Sprecher des Repräsentantenhauses: Der USA drohe ebenso ein Kontrollverlust über die eigenen Außengrenzen wie der Ukraine, argumentierte Mike Johnson und verband so seine Zusage für das Hilfspaket für Israel und die Ukraine mit der Forderung nach zusätzlichen Mitteln für den Grenzschutz.

 

Für viele der Abgeordneten, die solchen überparteilichen Gesetzespakete ohnehin skeptisch gegenüberstehen und im Repräsentantenhaus de facto eine Sperrminorität haben, steht die Regierung erst einmal in der Bringschuld. »Erst wenn aus Sicht der Mehrheit der Republikaner im Kongress die Lage an der Grenze zu Mexiko ausreichend verbessert hat, werden sie sich auf weitere Militärhilfen für die Ukraine und Israel einlassen«, prognostiziert Sudha David-Wilp.

 

Doch nicht nur beim politischen Gegner, auch in den eigenen Reihen stößt die Biden-Regierung auf Widerstand. Zwar hatte der Präsident mit seinem Engagement für ein Tarifabkommen in der Autoindustrie im Herbst einen Prestigeerfolg in einer seiner Kernwählergruppen erreicht. Doch ausgerechnet die Gewerkschaft »United Auto Workers« fordert seit Dezember 2023 offen einen Waffenstillstand und ein Ende der Belagerung Gazas. Die Biden-Regierung droht zudem arabischstämmige Wähler zu verprellen und gefährdet so die Wahlchancen im November, gerade in wichtigen Swing-States wie Michigan.

 

In Sachen Gaza polarisiere Donald Trump dagegen kaum, beobachtet die Expertin. Viel mehr baue sein Narrativ gegenüber der Wählerschaft darauf auf, »dass unter seiner Regierung alles besser gewesen ist«. Trump führt als Argument dafür an, dass seine Administration keine neuen Kriege vom Zaun gebrochen habe.

 

»Die Amerikaner betrachten die Europäer nicht als Partner auf Augenhöhe«

 

Auch Christian-Peter Hanelt bringt auf den Punkt, worauf Trumps Prioritäten in der Außenpolitik liegen: nämlich auf Trump selbst. »Vor allem möchte er zu pompösen Veranstaltungen eingeladen werden.« Trump habe zwar manche Aspekte der Nahostpolitik seines demokratischen Vorgängers fortgeführt, zugleich sei er stets bemüht, sich deutlich von Barack Obama abzugrenzen. Als Beispiel hierfür führt Hanelt die einseitige Aufkündigung des mühevoll verhandelten Nuklearabkommens mit Iran an. »Sein Geltungswille führte aber auch dazu, dass er durchaus gewillt war, sich des Nahostkonflikts sachlich anzunehmen«, führt Hanelt zu bedenken. Denn, so Trumps Kalkül, sollten die Verhandlungen erfolgreich verlaufen, könnte ihm der Friedensnobelpreis winken.

 

Im Januar 2020 hatten Trump und Netanyahu einen Friedensplan präsentiert. Der war ohne palästinensische Repräsentanten verhandelt worden und hatte unter anderem die Annexion von fast 30 Prozent des Westjordanlandes vorgesehen. Aus Trumps Sicht waren die Friedensbemühungen ein voller Erfolg. Die »Abraham Accords«, die auf den Friedensplan folgten, führten zu Normalisierungsabkommen mehrerer arabischer Staaten mit Israel. »Es ist gut möglich, dass Trump im Falle seiner Wiederwahl mit einem neuen Friedensplan wirbt«, glaubt Hanelt.

 

Als Gegenentwurf auf Trumps »Friedensplan« hätten Deutschland, Frankreich, Jordanien und Ägypten zwar ein neues Dialogformat entworfen, auch »Kleeblatt« oder »Münchner Gruppe« genannt. »Die Treffen sind jedoch zu schnell ins Leere gelaufen – der diplomatische Einfluss fiel verschwindend gering aus« urteilt der Experte. Auch der jüngst vom EU-Außenbeauftragten Josep Borrell vorgestellte Zehn-Punkte-Plan drohe aus diesen Gründen ergebnislos zu verpuffen, wenn die Europäische Union auf Borrells Initiative keine weiteren diplomatischen Schritte folgen lasse.

 

»Die Amerikaner betrachten die Europäer allerdings nicht als Partner auf Augenhöhe«, gibt Hanelt zu bedenken. Das diplomatische Kapital, um auf die Parteien im Nahostkonflikt effektiv einzuwirken, müssten sich die europäischen Staaten erst noch hart erarbeiten, sind sich beide Experten einig. In der Vergangenheit habe oft der politische Handlungswille gefehlt. »Die Zeit des Schlafwandelns in Europa muss ein Ende finden«, fordern sie. Denn auch unter einer zweiten Biden-Administration, so glaubt Sudha David-Wilp, ergeben sich Handlungsspielräume, die es den Europäern im Falle einer Wiederwahl Bidens ermöglichen, sich wieder einzubringen. »Angesichts der zahlreichen Krisen in der Welt kann Amerika nicht alles alleine schaffen«.

»Ein Ring aus Feuer« ist hier im zenith-Shop erhältlich.



zenith-Club-Briefing zu US-Wahlen und Gaza-Krieg

Ein Ring aus Feuer
Wie Europa den Nahen Osten verloren hat und ihn neu gewinnen kann
Christian-Peter-Hanelt
Deutscher Levante Verlag, 2023
350 Seiten, 19,80 Euro


 

Von: 
Ignaz Szlacheta und Pascal Bernhard

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