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Presseschau zur Berufung von Rima Bint Bandar als Botschafterin in den USA

Feigenblatt oder Fortschrittsbeweis?

Analyse
Presseschau

Die Berufung von Rima Bint Bandar Al Saud als Botschafterin in Washington hat deshalb über die Grenzen Saudi-Arabiens hinweg für Aufsehen gesorgt. Ein Blick in die arabische Presse

Erst im vergangenen Jahr gewährte Saudi-Arabien Frauen das Recht, Auto zu fahren, zudem schaffte das Königreich mit der Wiedereröffnung von Kino- und Konzertsälen neue Begegnungsmöglichkeiten für junge Menschen. Im Januar sorgten dann aber die spektakuläre Flucht der 18-Jährigen Rahaf Al-Kunun und die Überwachungs-App »Absher« erneut für Negativschlagzeilen, zudem sitzen noch immer dutzende Aktivistinnen in Haft. Welchen Reim kann man sich angesichts dieser widersprüchlichen Frauenrechtspolitik von der Berufung von Rima Bint Bandar als erste weibliche Botschafterin des Königreichs machen?

 

Allein ihr Name sendet schon ein Signal: Ihr Vater Bandar Bin Sultan Al Saud, Spitzname »Bandar Bush«, war von 1983 bis 2005 Botschafter in Washington und Schlüsselfigur amerikanisch-saudischer Diplomatie. Die Beförderung seiner Tochter wirft nun Fragen hinsichtlich des innersaudischen Machtkampfes und der Ausrichtung des saudischen Beziehungsgeflechts in Washington auf. Die Berichterstattung in den arabischen Medien über die Personalentscheidungen löst sich jedoch kaum von den bekannten Konfrontationslinien innerhalb der Golfstaaten.

 

Sabq

Auf Platz 169 von 180 landete Saudi-Arabien 2018 im Index der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen – nicht zuletzt, weil viele Publikationen nur den Schein von Pluralität wahren, tatsächlich aber eng mit der staatlichen Medienaufsicht verbandelt sind. So auch die beliebte Online-Zeitung Sabq, die vor allem Meinungsbeiträge, die der saudischen Regierungslinie folgen, publiziert. Dabei fällt ins Auge, dass Sabq und weitere saudische Medien vor allem Frauen die Berufung von Rima Bint Bandar kommentieren lassen. Wenig überraschend übermittelt Autorin Kholoud Ghannam in ihrem Artikel »große Resonanz und Freude« seitens saudischer Feministinnen.

 

Sie behauptet, dass Frauen und Männer keine unterschiedlichen Ziele verfolgen würden, schließlich lebe man in ein und derselben Gesellschaft. Laut Ghannam zeugt die Berufung von Rima Bint Bandar von »der Ernsthaftigkeit des Königreichs, Frauen zu stärken und ihnen mehr Rechte zu gewähren«.

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Al-Hayat

Auch andere Stimmen aus dem saudischen Orbit schließen sich dieser Lesart an. Die panarabische Zeitung Al-Hayat hat ihren Sitz in London, ist aber seit 1990 in saudischem Mehrheitsbesitz. Der Käufer damals war Sultan Abd Al-Aziz Al Saud – der Großvater der neuen saudischen Botschafterin in Washington.

 

In ihrem Kommentar geht es Autorin Taghreed Al-Tasan vor allem darum, die Berufung von Rima Bint Bandar als Beweis für die Ernsthaftigkeit und Erfolg der Reformpolitik des Kronprinzen anzuführen. Die Entscheidung für eine weibliche Botschafterin in Washington bezeichnet sie als »einzigartige Idee« Muhammad Bin Salmans (MBS). Der Beschluss sei »zum bestmöglichen Zeitpunkt« gefallen. Außerdem versteht sie die Berufung als »wirkungsvolle Antwort« auf das Drängen aus dem Ausland auf mehr Frauenrechte und Beteiligung.

 

Von politischer Unterdrückung gegenüber saudischen Aktivistinnen will die Autorin nichts wissen, im Gegenteil: »Ich und andere saudische Frauen treffen auf umfassende Unterstützung des Staates«. Anders als Ghannam räumt sie jedoch ein, dass in der Gesellschaft und unter »ignoranten Beamten« noch mangelndes Vertrauen in die Fähigkeiten der Frauen herrsche. Die Berufung von Rima Bint Bandar sieht sie als Wendepunkt: »Nun gibt es keine Entschuldigung mehr für diejenigen [...], die den Frauen länger Hindernisse auferlegen«.

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Al Jazeera

Die Meinungsbeiträge auf Al Jazeera hingegen legen den Finger in die Wunde – und finden in der Personalie Rima Bint Bandar eine weitere Gelegenheit, den Rivalen zu kritisieren.

 

Mohammed Minshawi führt in seinem Kommentar für den katarischen Nachrichtensender die dutzenden Aktivistinnen an, die nach wie vor in Saudi-Arabien im Gefängnis sitzen. Womöglich, um sich vom Vorwurf freizumachen, lediglich aus machtpolitischen Gründen gegen das Königreich zu wettern, fußt Monshawi seine Argumentation vor allem auf die Einschätzung westlicher NGOs und regionalpolitischer Experten.

 

So zitiert er unter anderem Tamara Wittes vom US-Thinktank Brookings Institution, die das Königreich auf Twitter dafür kritisiert, dass die Entsendung einer Frau als Botschafterin nichts an der Tatsache ändere, dass Frauen in Saudi-Arabien weiterhin dafür inhaftiert würden, den Wandel friedlich einzufordern, den die saudische Führung angeblich unterstützen würde. »Lasst sie frei«, gibt auch Minshawi die Forderung der Nahostexpertin in dem Tweet wider.

 

Minshawi führt auch Kristian Ulrichsen ins Feld, allerdings ohne den Nahostexperten des Baker-Instituts an der Rice University in Houston korrekt zu zitieren. Ulrichsen dient hier als Zitatgeber für den Zusammenhang zwischen der Berufung der neuen Botschafterin und dem Versuch Riads, einen Schlussstrich unter den Fall Khashoggi zu ziehen – ein Manöver, dem Ulrichsen gerade angesichts der jüngsten Beschlüsse im US-Kongress keine sonderlich guten Chancen einräumt.

 

Minshawi spekuliert auch über die Rolle des bisherigen obersten diplomatischen Vertreters des Königreichs in Washington. Khalid Bin Salman ist der Bruder des Kronprinzen und steht im Verdacht, im Fall Khashoggi Spuren zu Tathergang und -vorbereitung zu vertuschen. In erster Linie solle KBS, so mutmaßt Minshawi, aus der Schusslinie genommen werden. Zugleich werde die Loyalität des bisherigen Botschafters in Washington gestärkt. Denn in seiner neuen Aufgabe als stellvertretender Verteidigungsminister habe er sogar eine wichtigere Rolle im saudischen Regierungssystem inne als zuvor.

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Von: 
zenith-Redaktion

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