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»Iran. Weltreich des Geistes« von Michael Axworthy

Weltreich durch Austausch

Feature

In seinem Buch »Iran. Weltreich des Geistes« erzählt Michael Axworthy die wechselhafte, über 2000-jährige Historie des Landes. Seinem Anspruch, die reiche Kulturgeschichte mit einzubeziehen, wird der Autor allerdings nicht immer gerecht.

Historische Überblicksdarstellungen haben ihre Vorteile. Sie machen es nicht nur möglich, einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Der Blick auf das Ganze bietet auch an, Besonderheiten in der Entwicklung eines Volkes oder eines Landes hervorzuheben. Gerade für den Iran mit seiner jahrtausendealten Geschichte kann ein solcher Ansatz von Gewinn sein. Denn das Wissen im Westen darüber ist im Großen und Ganzen eher fragmentarisch und geprägt von oft sehr festgefügten Vorurteilen. Die politischen, ökonomischen und sozialen Kontinuitäten und Brüche, die dieses Land prägen, sind hierzulande nur wenig bekannt, geschweige denn seine reiche Kultur- und Geistesgeschichte.

 

Im Vergleich mit anderen Monografien, die in den letzten Jahren über den Iran erschienen sind, zeichnet sich Michael Axworthys erstmals 2007 erschienene Studie »Empire of the Mind« dadurch aus, dass sie die Historie des vorderasiatischen Landes seit der Antike erzählt und dabei das Ziel verfolgt, Kultur- und Geistesgeschichte einzubeziehen. Das Buch, das 2011 in einer aktualisierten Fassung als »Iran. Weltreich des Geistes. Von Zoroaster bis heute« auch auf Deutsch herauskam, scheint damit die Wissenslücken zu schließen, die im Westen weiterhin bestehen. Die ersten beiden Kapitel über Zoroaster, die Achämeniden und Griechen sowie über die »iranische Wiederbelebung« unter den Parthern und Sassaniden erreichen neben der Erzählung der Kriegsgeschichte auch das Ziel, den Lesern »Religionen, Einflüsse, geistige Bewegungen und Vorstellungen, die in Iran, aber auch weltweit außerhalb Irans Dinge bewegt oder verändert haben«, vorzustellen.

 

Axworthy, von 1998 bis 2000 Leiter der iranischen Abteilung des British Foreign Office, erzählt die Geschichte des Landes bis in die Spätantike kenntnisreich – und das auf eine spannende und innovative Weise. Denn er durchbricht die bisher gängige Praxis, die antiken Perser durch die Perspektive der ihnen feindlich gesinnten Griechen zu sehen und zu bewerten. Stattdessen nimmt er die östliche Sicht ein und hebt die gegenseitige Befruchtung der beiden Kulturen hervor. Der Brite macht auch deutlich, wie sehr Judentum, Christentum und Islam von den im damaligen Persischen Reich bestehenden Glaubenssätzen geprägt wurden: »Die Vorstellung von Himmel und Hölle, der freien Wahl zwischen Gut und Böse, des göttlichen Gerichts, der Engel und eines einzigen Schöpfergottes scheinen auf jeden Fall zu den frühen Merkmalen der Religion [des Mazdaismus] gehört zu haben und übten auf Religionen, die später entstanden, starken Einfluss aus.«

 

Axworthy hat seine Schwierigkeiten mit der Definition von Iran und dessen Kultur

 

Wie gewinnbringend es sein kann, die eurozentrische Perspektive zu verlassen und die derjenigen einzunehmen, die bisher als »Barbaren« bezeichnet wurden, wird auf den ersten 80 Seiten des Buches deutlich. Die persischen Könige wie Kyros oder Dareios sind nicht mehr bloß die Gegner der Griechen, Römer und Byzantiner, sondern erhalten bei Axworthy Kontur und Selbstständigkeit. Der Iran rückt bei ihm vom Rand in den Mitte, wodurch auch die Beziehungen zu anderen Völkern, Kulturen und Religionen stärker in den Blick treten. Auffällig in allen Kapiteln ist dabei die Frage nach dem Verhältnis zwischen Iranern beziehungsweise den im Land regierenden Dynastien und der dort ansässigen jüdischen Bevölkerung. Es ist durchaus möglich, dass der Autor die Jahrtausende währende Beziehung als Gradmesser dafür nimmt, wie tolerant es im Iran zuging. Auf jeden Fall wird deutlich, was für hiesige Leser wohl eher neu ist, und zwar, dass sie in allen Epochen insgesamt gut war.

 

Doch so fesselnd sich das folgende Kapitel über den Islam und die Einfälle durch Araber, Türken und Mongolen liest, so aufschlussreich die Informationen über die Seidenstraße und Irans Bedeutung dabei als  Knotenpunkt auch sind – man merkt hier allmählich, dass Axworthy seine Schwierigkeiten mit der Definition von Iran und dessen Kultur hat. In seiner Danksagung am Ende des Buches spricht der Autor in diesem Zusammenhang von der »anhaltenden Wirkungsmächtigkeit der Idee Iran« und ihrer mehr als »tausendjährigen Widerstandskraft« trotz der Kriege, Invasionen und religiösen Veränderungen. Die Bewahrung und Pflege der persischen Sprache und Kultur, die für Axworthy jene Idee auszumachen scheint, war sicherlich gerade während der arabischen Beherrschung ein zentraler Ausdruck der eigenen Identität.

 

Doch ist diese Selbstbehauptung nicht einzig den Farsi sprechenden Iranern, den Persern anzurechnen. Wenn Axworthy schreibt, dass der Iran nach der Eroberung durch die Araber »für annähernd ein Jahrtausend fast ausschließlich von fremden Herrschern regiert« wurde, verneint er, dass die türkstämmigen Völker, die die Araber vertrieben und das Land bis ins 20. Jahrhundert hinein regierten, eine wichtige Rolle gerade dabei spielten, dass die persische Sprache und Kultur erhalten blieb.

 

Es waren die türkstämmigen Ghaznawiden, Seldschuken, Safawiden, Afschariden und Kadscharen, die an Persisch als Amtssprache festhielten und Werke in dieser Sprache wie das Epos »Schahnameh« von Firdausi förderten. Dass Persisch überlebte und in vielen Teilen Asiens, von Anatolien bis Indien, sogar zur Lingua Franca wurde, ist das Resultat nicht zuletzt der Eroberungs- und Kulturpolitik dieser Dynastien. Ihre rationale und tolerante Politik setzte auf diese Sprache, in der bedeutende Dichter wie Rumi, Hafiz und Omar Khayyam ihre Verse schrieben.

 

Die Darstellung dieser kulturellen Blütezeit, aber auch der während der Herrschaft der arabischen Abbasiden, in der persische Gelehrte wie Al-Biruni und Ibn Sina ihre naturwissenschaftlichen Texte auf Arabisch verfassten, gelingt Axworthy wiederum gut. Er zeigt auf anschauliche Weise, wie diese die antiken griechischen Erkenntnisse aus der Philosophie, Mathematik und Medizin weiterentwickelten und bahnbrechende Entdeckungen etwa in Astronomie, Chemie und Physik machten. Später sollte dieses Wissen infolge von Übersetzungen entscheidenden Einfluss auf die europäischen Gelehrten haben.

 

Einige Stellen des Buches enthalten für westliche Leser überraschende Neuheiten

 

Während Axworthy die Geschichte des Iran in der Frühen Neuzeit, die Etablierung des Schiitentums durch die Safawiden und die neuerliche Ausdehnung des Reichs unter dem Afschariden Nader Schah plastisch schildert, verengt er anschließend den Blick auf die Geschehnisse im Land selbst. Zwar wird die allmählich immer größere Einmischung der europäischen Mächte Großbritannien und Russland in die inneren Angelegenheiten Irans erwähnt, doch die Folgen der imperialistischen Politik nur wenig analysiert. Eher folgt der britische Hochschuldozent einer Forschung und ihren Schwerpunkten, die westliche Vorurteile, aber auch solche, die im Iran selbst bestehen, eher tradiert als infrage stellt.

 

Ein Beispiel ist die negative Darstellung der Kadscharen, die auch von Axworthy als dekadent und unfähig gezeichnet werden. Dass die Misserfolge während ihrer Herrschaft auch durch die Eingriffe der Großmächte in die inneren Angelegenheiten des Iran ausgelöst wurden, weil sie Staatsbeamte in ihrem Sinne beeinflussten, politische und religiöse Gruppierungen gegeneinander ausspielten, die Entwicklung von Industrien erschwerten und sich schließlich iranische Rohstoffe wie das Öl aneigneten, wird von dem Orientalisten nur selten gestreift.

 

So zeigt das letzte Drittel von »Iran. Weltreich des Geistes« auch die Nachteile, die eine Überblicksdarstellung auszeichnen können. Der Versuch, 2500 Jahre auf 350 Seiten darzustellen, führt zwangsläufig auch dazu, dass die Erzählung an Stellen oberflächlich bleibt, wo eine tiefere Analyse geboten wäre. In Axworthys Studie häufen sich so gerade in den Kapiteln über die moderne iranische Geschichte die Lücken. Einige Stellen seines Buches enthalten für westliche Leser zwar überraschende Neuheiten: So erzählt der Autor von jüdischen Waisenkindern, die 1942 auf der Flucht vor den Nazis nach einer langen Odyssee in Teheran eine Zuflucht fanden, bevor sie nach Palästina weiterreisten. Eine andere Episode berichtet von Abdol-Hosein Sardari Qadschar, der als »iranischer Schindler« bekannt wurde. Ebenfalls 1942 rettete er in Paris nicht nur iranischen, sondern auch 500 französischen Juden das Leben, indem er ihnen iranische Pässe gab.

 

Doch die starke Konzentration auf die Innenpolitik, von einigen Ausnahmen abgesehen, führt letztlich zu einem unvollständigen Bild von der Entwicklung des Landes. Denn die Geschehnisse im Iran auch später während der Pahlawi-Dynastie sowie der seit 1979 bestehenden Islamischen Republik können ohne die äußere Einmischung, nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem der USA, nicht richtig eingeordnet werden.

 

Die Beurteilung von Axworthys Buch fällt daher zwiegespalten aus. Sein Ansatz, »die gängigen Kategorien von Nation und imperialer Kultur beiseite zu lassen und stattdessen von Iran als einem Reich des Geistes zu sprechen«, ist sehr verlockend, wird vom Autor jedoch nur bruchstückhaft realisiert. Darum ist der Titel der deutschen Ausgabe auch etwas irreführend, weil bei der Schilderung der Historie des Iran seine Kultur- und Geistesgeschichte nur sporadisch einbezogen wird. So wird etwa die moderne persische Literatur gestreift, die bedeutende Porträtmalerei sowie die Einführung der Fotografie in der Epoche der Kadscharen dagegen ausgespart.

 

Auch der Einfluss der Ethnien auf die Politik und Kultur wird kaum behandelt. Als Beispiel seien die Iran-Aserbaidschaner genannt, die derzeit mit 30 bis 35 Millionen Bürgern die größte Minderheit bilden. Ihr Wirken, das seit vielen Jahrhunderten wesentlich zum geistig-kulturellen Reichtum des Landes beiträgt, wird von Axworthy nicht untersucht. Doch durch diese Ausklammerung der nichtpersischen Elemente wird er seinem eigenen Anspruch nicht ganz gerecht: Denn der Iran ist aus einem anderen Grund ein »Weltreich des Geistes« – und zwar gerade infolge des jahrtausendelangen, regen Austauschs zwischen seinen Völkern, Kulturen und Religionen.


Iran. Weltreich des Geistes. Von Zoroaster bis heute

 

Michael Axworthy

Aus dem Englischen von Gennaro Ghirardelli

Wagenbach Verlag, 2011

352 Seiten, Euro 24,90

Von: 
Behrang Samsami

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