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Comedy-Serie »Ramy« auf Arte

»Ich hab Palästina verkackt«

Feature
Comedy-Serie »Ramy« auf Arte

Junggesellenabschied im Rotlichtviertel feiern und dann im Stundenhotel mit der Virtual-Reality-Brille nach Mekka pilgern: Dem Protagonisten und Schöpfer der halbfiktionalen Serie »Ramy« dabei zuzusehen, wie er die Widersprüche seiner islamischen und amerikanischen Identität jongliert, ist ein großes Vergnügen.

Ramys Mutter, ursprünglich palästinensische Ägypterin, vermutet fälschlicherweise, ihr Einbürgerungsantrag sei dadurch gefährdet, dass sie eine Transperson mit dem falschen Pronomen angeredet hat. Die Verbindung der Themen Gendern und Zugehörigkeit zum MAGA-Amerika wird noch kongenialer inszeniert, als Tochter Dina, eine links-progressive Studentin, ihrer Mutter vorwirft, sie sei nicht besser als Donald Trump, wenn sie eine Person misgendere. Wie aktuell die Thematisierung dieser Verbindung ist, zeigt die Genderpolitik großer Unternehmen in den USA und auch bereits in Deutschland. Gespielt wird die Mutter von Hiam Abbas, die schon in »Die syrische Braut« (2004) und später unter anderem in »Gaza mon Amour« (2020) brillierte und Mitglied der Academy of Motion Picture Arts and Sciences ist, die jährlich die Oscars vergibt.

 

Ramy Youssef ist der zurzeit wohl bekannteste US-Amerikaner arabischer Herkunft. Der 34-Jährige begann als Stand-up-Comedian, feierte mit der Serie »Ramy« (2019–2022) seinen Durchbruch und machte sich als Schauspieler in Hollywood zuletzt etwa im mehrfach Oscar-prämierten Film »Poor Things« (2023) einen Namen. Was Ramy Youssef mit der Erfolgsserie »Ramy« geschaffen hat, ist so banal wie innovativ: Er zeigt den Alltag arabischstämmiger Immigranten, ohne sie in die Opferrolle zu stecken oder zu dämonisieren. Und das mit einer Riege prominenter Gaststars im Gepäck, die sich in den Figuren ein Stückweit auch selbst repräsentieren: Arabischstämmige mit palästinensischen Wurzeln wie er selbst und Hiam Abbas, schwarze Muslime wie Mahershala Ali, auch Bella Hadid und Mia Khalifa treten in Gastrollen auf.  

 

Der echte und der Serien-Ramy sind als Sohn ägyptisch-muslimischer Einwanderer Immigranten der zweiten Generation in den USA. In den drei Staffeln mit episodenhaften Folgen werden Fragen, die den jugendlichen Ramy beschäftigen, mit jenen von hoher gesellschaftspolitischer Relevanz verbunden – von Abtreibung bis Palästina. Eben dieser Konflikt ist auch hinter der Kamera Thema, da sich Ramy Youssef und andere Mitwirkende öffentlich zum Gaza-Krieg positionieren. Die Drehbuchautoren beweisen feines Gespür für die Ironie privater und politischer Widersprüche und entwickeln eine solch tiefgründige Komik, dass »Ramy« mit den Bezeichnungen Sitcom oder Coming-of-Age-Serie nicht Genüge getan wird.

 

Die Frage, was angebrachte Sprache ist, was überhaupt in Sprache gefasst werden kann und was lieber nicht, ist ein zentrales Motiv in der Episode über den Nahostkonflikt. Jüdische Geschäftspartner verlangen von Ramy, der im Schmuckgeschäft seines Onkels arbeitet, nach Israel zu reisen, denn der Chefin ist ein persönliches Vertrauensverhältnis wichtig. Beim Abendessen sitzt die stumme Großmutter mit am Tisch. Ramy wird erzählt, dass sie die einzige Holocaust-Überlebende ist. Was lässt sich darauf, was lässt sich auf den Holocaust entgegnen? Hat Adorno Recht, dass die Kunst und die Sprache angesichts eines der größten Menschheitsverbrechens an ihre Grenzen kommen? Ramy, von dem eine Reaktion erwartet wird, obwohl es keine richtige gibt, antwortet mit einem aufrichtig anteilnehmendem und doch völlig unangemessenem: »Herzlichen Glückwunsch!«

 

Als Ramys Erektionsstörungen dadurch geheilt werden, dass er mit den Israelis einen guten Geschäftsabschluss aushandelt, weiß man nicht, ob er hier zuerst Palästinenser, Ägypter oder Amerikaner ist

 

Die Besatzung erlebt Ramy dann auf seiner Geschäftsreise, als er sich mit einem Tinder-Match trifft, und zwar östlich von Ost-Jerusalem. Als der Taxifahrer ihn vor der Sperrmauer am Checkpoint absetzt, sagt er den wunderbaren Satz: »Diese Wand ist nicht auf der Karte.« Die Teilung des historischen Palästinas ist in seiner palästinensischen Familie mütterlicherseits, personifiziert durch seinen antisemitischen Onkel, auch ein tradiertes Trauma. Und als Ramys Erektionsstörungen dadurch geheilt werden, dass er mit den Israelis einen guten Geschäftsabschluss aushandelt, weiß man nicht, ob er hier zuerst Palästinenser, Ägypter oder Amerikaner ist.

 

Als sein palästinensisches Date kein Interesse mehr an ihm hat, weil die Chemie nicht stimmt, müssen sich sowohl Ramy als auch die Zuschauer vor dem Fernseher wieder mit tiefsitzenden eigenen Vorurteilen auseinandersetzen und vermeintliche Widersprüche in Einklang bringen. So will die junge, hübsche Palästinenserin Rasha eine Dessous-Firma gründen und hofft auf ein besseres Match als auf Ramy aus Amerika, obwohl sie in den abgeriegelten palästinensischen Gebieten lebt.

 

Dabei gilt in der ganzen Serie: Wer am meisten gesellschaftlich benachteiligt ist, zeigt sich daran, wer die wenigsten Chancen auf Sex hat, sogar mit sich selbst. So kann Ramys Schwester Dina nicht einmal ungestört unter der Dusche masturbieren, ohne dass die Mutter ruft, sie solle das Bad für Ramy freimachen. Steve, Ramys Freund im Rollstuhl, bedarf mangels einsatzfähiger Hände der Hilfe Ramys, als seine Kavaliersschmerzen zu groß werden. Ein gläubiger Muslim, der einem Behinderten einen runterholt. Es bedarf Mut, das filmisch darzustellen. Und es bedarf Können, die Szene nicht auf dem Niveau von »American Pie« oder »Hangover« zu inszenieren, sondern als Widerstreit zwischen moralischen und religiösen Normen.

 

Gleichzeitig werden sexuelle Bedürfnisse von Frauen auf selten offene Weise selbstbewusst thematisiert. Nach vielen Tinder-Dates will Ramy ein Match fürs Leben finden. Er teilt Frauen in die Kategorien »für Affären« und »zum Heiraten« ein, eine Vorstellung, die keineswegs auf die muslimisch geprägte Kultur beschränkt ist. Als er sich mit einer Muslima verabredet, die er in die zweite Kategorie steckt, wird ihm der wahre Widerspruch vor Augen geführt, der in seinem Kopf und nicht bei den Frauen liegt: Sie will ihn direkt im Auto verführen. Ihre sexuellen Wünsche äußert sie in einer für das deutsche Fernsehpublikum und für Ramy gleichermaßen elektrisierenden wie schockierenden Weise: »Würg mich, während ich mich fingere.« Dass diese Darstellung der Feder eines jungen muslimischen Mannes mit arabischen Wurzeln entspringt, hält dem Zuschauer einen erkenntnisreichen Spiegel vor.

 

Die Motive in »Ramy« spiegeln die Erfahrungen einer jungen arabischen Generation in den USA wie in Ägypten, dem Libanon oder Palästina

 

Der Spiegel nimmt noch größere Ausmaße in der Folge an, in der Dina eine Psychotherapie beginnt, was in der arabischen Welt eher als Tabu gilt. In einem Rollenspiel in der Gruppensitzung werden Dinas Eltern von Weißen gespielt und spulen dabei sämtliche Vorurteile gegen Araber ab. Und auch wenn der Sender Arte schreibt, es ginge in der Serie um »Toleranz«, besteht ihre große Leistung doch darin, nicht das Fremde anzuerkennen, sondern die Tatsache, dass das Leben und die Welt für alle gleichermaßen widersprüchlich sind. Wenn wir jung sind, sind wir alle Ramy, denn in unserer Jugend wird besonders deutlich, dass uns die Fragen des Lebens mehr verbinden als Trennendes: Wer sind mir die besseren Ratgeber, Eltern oder Freunde? Wie komme ich an Sex? Was will ich werden? Wann will ich heiraten und Kinder bekommen? Und will ich das?

 

In der Serie haben die Autoritätspersonen widersprüchliche oder unbrauchbare Antworten zur Hand. So bleibt nichts, außer mit der Ambiguität des Lebens zu leben. Denn man kann Ramy als Antihelden sehen und Widersprüche als Mangel von Eindeutigkeit. Oder Ambiguitätstoleranz als eine notwendige Fähigkeit begreifen, die nicht nur in der islamischen Kultur ausgeprägt ist, wie es der Islamwissenschaftler Thomas Bauer in »Die Kultur der Ambiguität: Eine andere Geschichte des Islam« (2011) beschreibt.

 

Die Motive in »Ramy« spiegeln die Erfahrungen einer jungen arabischen Generation in den USA wie in Ägypten, dem Libanon oder Palästina. Überwiegend lobten Kritiker, wie Ramy Youssef die Lebenswelt muslimisch-arabischer Migranten überhaupt auf die Leinwand bringt und dabei schwierige Themen wie den eigenen Rassismus oder Homophobie thematisiert, ohne zu verurteilen. Ramy ist eine Identifikationsfigur mit Prinzipien, aber lässt sich auch leicht beeinflussen. Manchmal wirkt er fast zermahlen zwischen den Predigten, die ihm andere halten, und seinen ganz persönlichen Bedürfnissen.

 

Ramy Youssef gelingt es dabei, aus einer humoristischen Ego-Perspektive zu erzählen, wie sich die öffentliche Sicht auf arabische Muslime nicht nur in den USA nach dem 11. September verändert hat. Dass man das Jahr nicht zu nennen braucht, hat dieses Datum mit dem 7. Oktober gemein und unterstreicht die Tragweite dieser Zäsur. Als Ramy Youssef, auch Regisseur und Drehbuchautor der Serie, 2020 den Golden Globe für seine schauspielerische Leistung in Empfang nahm, tat er dies mit der gleichen subversiven Selbstironie, die die Serie so auszeichnet: »Ich weiß, ihr fragt euch gerade, ob ich ein Cutter bin.« Denn arabisch-muslimische Award-Gewinner und Protagonisten sind rar.


Alle drei Staffeln der Serie »Ramy« sind erstmals auf Deutsch noch bis zum 30. März 2026 in der Arte-Mediathek abrufbar.

Von: 
Nadine Schnelzer

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