Lesezeit: 9 Minuten
»Neo-Moslems« von Eren Güvercin

»Der Islam ist keine Kultur«

Interview

In seinem Buch »Neo-Moslems« beschreibt Eren Güvercin einen vielfältigen deutschen Islam – im Guten wie im Schlechten – und erklärt, warum junge deutsche Muslime mit Labels wie liberal und konservativ nur wenig anfangen können.

zenith: Herr Güvercin, »Straßenschlacht mit Salafisten«, lautet eine Schlagzeile dieser Tage in deutschen Medien. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie solche Headlines lesen?

Eren Güvercin: Mal liefern sich Linksautonome Straßenschlachten mit der Polizei, mal betrunkenene Hooligans nach einem Fußballspiel. Diesmal haben Salafisten mitgemischt. Da geht mir zunächst einmal nichts bestimmtes durch den Kopf. Das Strafrecht bietet der Polizei genug Möglichkeiten, dagegen vorzugehen, unabhängig davon, wer die öffentliche Ordnung stört. Daher bin ich grundsätzlich erst einmal gelassen. Egal ob nun Salafisten oder andere Gruppierungen, es wird immer Menschen geben, die über die Stränge schlagen. Solange das – wie hier am Beispiel der Salafisten – eine verschwindend kleine Minderheit ist, muss man sich nicht eine hysterische Stimmung hineinsteigern. Die Auseinandersetzungen zwischen Salafisten und der Polizei hielten sich ja in Grenzen. Als Muslim muss ich mich auch nicht rechtfertigen für das Fehlverhalten von anderen Muslimen. Das kann ja dann auch sehr schnell absurde Züge bekommen, wenn ich mich zum Beispiel davon distanziere, dass Ali eine Bank ausgeraubt hat. Grundsätzlich muss ich aber anmerken, dass beide Seiten – Muslime und »Islamkritik« – sich nach ihren radikalen Rändern befragen lassen müssen. Es ist ein Zeichen der Ideologie, dass für den Ideologen die Welt eine bessere sei, wenn der Feind aus der Welt geschafft wird.


Eren Güvercin, geboren 1980 als Sohn türkischer Eltern in Köln, arbeitet als freier Journalist für verschiedene Hörfunksender und Zeitungen. Er ist Mitinitiator der »Alternativen Islamkonferenz«.

Ihr Buch »Neo-Moslems« trägt den Untertitel »Porträt einer deutschen Generation«. Hat man in Deutschland diese Generation, also die hier lebenden jungen Muslime, zu lange ignoriert

Güvercin: In den ganzen Debatten rund um den Islam der letzten Jahre fällt auf, dass immer wieder dieselben Personen von den Medien und der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Das sind Personen, die nicht die breite Masse der Muslime repräsentieren, sondern eher Randphänomene darstellen. Auf der einen Seite treten auf dieser Bühne Salafisten wie Pierre Vogel mit ihren Gewändern und langen Bärten auf, und auf der anderen Seite esoterisch angehauchte Vertreter eines vermeintlich liberalen Islam. Nach meiner Wahrnehmung spiegelt diese Lagerbildung keineswegs die gesellschaftliche Realität der deutschen Muslime wieder. Besonders die jungen deutschen Muslime können mit politischen Labels wie liberal oder konservativ nicht viel anfangen. Sie beschäftigen sich nicht allzu sehr mit politischen Scheindebatten, sondern vielmehr mit den wirklich relevanten Themen unserer Zeit, wie etwa den Ausartungen des Kapitalismus und seinen Auswirkungen auf unser Leben. Sowohl Salafisten als auch sogenannte »liberale Muslime« leisten interessanterweise zu diesen Themen keinen nennenswerten Beitrag. Die jungen deutschen Muslime, die ich in meinem Buch als »Neo-Moslems« bezeichne, können mit diesen Spielarten eines politischen Islams nicht sehr viel anfangen. Irgendwann ist aber auch das Feld der »Berufsmuslime«, die von Talkshow zu Talkshow gereicht werden, abgegrast, so dass auch die Medien nicht mehr drum herum kommen, anderen Stimmen junger deutscher Muslime, die sich eben nicht auf ein Label reduzieren lassen, Raum zu geben, denn sie sind kritisch, selbstbewusst und brechen die Bilder, die es vom Muslim gibt. Sie haben es nicht nötig, sich anhand von politischen Labels zu vermarkten.

 

Ist es nicht vermessen, von einer »Generation« junger Muslime in Deutschland zu sprechen? Sind die Lebenswelten zwischen dem säkularen persischen Arzt aus Hamburg, dem arabischen Schulabbrecher aus Berlin, der sunnitischen Auszubildenden aus Duisburg, dem schiitischen Asylbewerber aus dem Irak, oder dem ehemaligen katholischen Studenten, der gerade zum Islam konvertiert ist, nicht zu weit auseinander, um irgendein gemeinsames Merkmal zu erkennen?

Güvercin: Sie haben natürlich Recht, wenn sie die Heterogenität der Muslime betonen. Natürlich sind die Muslime in Deutschland keine homogene Masse. Das ist aber in der islamischen Welt nicht anders. Aber es gibt gemeinsame Merkmale der jungen deutschen Muslime. Sie sind hier geboren, hier aufgewachsen. Deutsch ist ihre Muttersprache und sie betrachten Deutschland als ihr Heimatland. Ich als junger deutscher Muslime lehne den Begriff »Migrationshintergrund« ab. Statt über einen vermeintlichen Hintergrund zu spekulieren, ist es längst fällig, über den Vordergrund zu sprechen. Und die Zuschreibungen in der Debatte der letzten Jahre, dass man als junger Muslim in Deutschland irgendwie zwischen zwei Kulturen hängt und ein Identitätskonflikt mit sich schleppe, öden mich an. Ich habe nie ein Identitätsproblem gehabt. Vielmehr habe ich die wundervolle Chance gehabt, sowohl über meine Eltern von der türkischen Kultur etwas mitzunehmen, als auch von der deutschen Kultur. Aber das hat keine Auswirkungen auf meine Identität als Muslim, weil der Islam eben keine Kultur ist. Das zeigt auch die lange Geschichte des Islams, indem er sich verschiedenen Kulturen angepasst hat, ohne seinen wahren Kern zu verlieren. Der Islam ist kompatibel mit jeder Kultur. Und die Muslime – egal wo sie leben – haben man natürlich etwas, das sie verbindet. Das sind die fünf Säulen des Islam, unabhängig davon, ob man nun praktizierend ist oder nicht. Der französische Philosoph Michel Serres hat vor einigen Tagen in Köln die ganze Identitätsdebatten schön auf den Punkt gebracht. Er meinte, dass ein Leben führen für ihn nicht bedeute, sich an der Auflösung von Widersprüchen zu verschleißen, sondern eine Perspektive zu gewinnen, in der Identität, dieser Götze unserer Nationalkultur, als eine »Macke der Sprache« erscheine. Er betonte dabei auch, dass man Identität und kulturelle, religiöse oder sexuelle Zugehörigkeit nicht verwechseln dürfe.

 

Welche Auswirkungen haben Aussagen, etwa von Politikern, die behaupten, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, auf die Generation junger Muslime in Deutschland?

Güvercin: In meinem Umfeld beobachte ich schon, dass solche Aussagen Auswirkungen bei den jungen Muslimen haben. Einige sind frustriert über diesen Populismus und den Rassismus. Manch einer spielt sogar mit dem Gedanken, nach dem Studium auszuwandern, weil man das Gefühl hat, dass man anderswo bessere Chancen hat, was die gesellschaftliche Anerkennung oder die berufliche Perspektive angeht. Bei mir persönlich haben diese Stammtischparolen von Politikern keine Auswirkung. Genauso wenig, wie ich bei der viel diskutierten Aussage von Wulff, dass der Islam ein Teil Deutschland ist, gejubelt habe, fluche ich auch nicht, wenn ein Populist hinausposaunt, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre. Mein Selbstverständnis mache ich nicht von Politikern abhängig.

 

Im Schlusssatz Ihres Buches heißt es: »Die westliche Polemik gegen den Islam ist eine Polemik gegen Religion überhaupt.« Ist es denn im Westen aber nicht erlaubt, gegen Religion zu polemisieren? Immerhin leben wir in einer säkularisierten Gesellschaft.

Güvercin: Leben wir wirklich in einer »säkularisierten Gesellschaft« oder wie sieht es mit der Irrationalität der dominanten Ökonomie aus? Natürlich ist es erlaubt, gegen Religion zu polemisieren. Ich will das auch keinem verbieten. Nur zeugt das nicht gerade von intellektueller Tiefe und Brillianz, wenn man gegen etwas polemisiert, was ohnehin für viele moderne Menschen obsolet zu sein scheint. Es ist natürlich einfach und gemütlich, sich über etwas lustig zu machen, was für andere Menschen eine größere Bedeutung hat, aber gleichzeitig in der Mehrheitsgesellschaft nicht mehr den Stellenwert hat, den es mal hatte. Das ist auch nicht wirklich mutig. Vielmehr finde ich es spannender, wenn die Menschen auch mal Kritik üben, da wo es für einen selber dann auch einmal ungemütlich werden kann. Nach oben ducken und nach unten treten, das kann jeder.

 

Von André Malraux stammt die Prophezeiung: »Das 21. Jahrhundert wird ein religiöses Jahrhundert sein«. Teilen Sie diese Einschätzung? Wenn ja, erwarten Sie dann auch ein Erstarken des Christentums in Deutschland?

Güvercin: Möglich ist es, aber ehrlich gesagt, möchte ich nichts prophezeien. Das können andere übernehmen. Ich erwarte aber von Religionen, dass sie sich mit den Problemen und Fragen der Gegenwart auseinandersetzen und ihren Beitrag leisten. Ich als Muslim frage mich immer, was denn die Relevanz des Islam in unserer Zeit ist. In einer Zeit der ökonomischen Vernutzung der Erde stellt sich für mich die Frage, was der Islam dazu sagt. Aufgrund der Auseinandersetzung mit modernistischen Strömungen des Islams haben die Muslime in den letzten 100 Jahren die spirituelle, soziale und ökonomische Natur des Islam vernachlässigt oder gar vergessen. Da sind sich auf den ersten Blick so gegensätzliche Spielarten des politischen Islam wie etwa die »konservativen« Muslimbrüder und die »liberalen« Muslime sehr ähnlich. Wenn man sich die islamische Geschichte anschaut – sei es in Andalusien, auf dem Balkan oder in Nordafrika – haben Institutionen wie Moschee, Markt, Stiftungen und Gilden das soziale Leben der Muslime geprägt. Diese freiheitliche Seite des Islams fasziniert heute wieder viele Menschen, übrigens auch viele Nichtmuslime, weil sie darin ein Leben jenseits staatlicher und ökonomischer Bevormundung sehen. Diese freiheitliche Seite des Islam ist gleichzeitig auch Gift für den politischen Islam.


Neo-Moslems: Porträt einer deutschen Generation

 

 

Eren Güvercin

Verlag Herder, 2012

200 Seiten, 14,99 Euro

Von: 
Ramon Schack

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