Überwachung, Repression, Korruption: Usbekistan ist ein autoritärer Staat und darf es wohl auch weiter sein – nicht zuletzt, weil die letzten Kritiker im Westen die Isolation zugunsten geopolitischer Interessen aufgeben.
Als der Autor Hans Christian Andersen sein wohl bekanntestes Märchen »Des Kaisers neue Kleider« verfasste, wurde er von den Geschehnissen eines maurischen Königshofs inspiriert. Zentralasien war ihm in seinen heutigen Ausmaßen noch nicht bekannt – doch lassen sich unverwechselbare Parallelen zum aktuellen Usbekistan auffinden. Zwar ist Präsident Karimov nicht von neuen Kleidern besessen, dafür aber von nicht existierenden Reformen, die seit über 20 Jahren in regelmäßigen Abständen beschlossen werden.
Seit der Unabhängigkeit im Jahr 1991 geht das Land den Weg eines sogenannten graduellen Reformprozesses in Richtung Demokratie und Marktwirtschaft. Das vom Präsidenten selbst verfasste »usbekische Modell« soll usbekische Traditionen und westliche Moderne miteinander verbinden. Die Planung dieses Gesellschaftsmodells ist in Usbekistan Chefsache und wird vom Präsidenten in unzähligen Dekreten persönlich beschlossen.
Sie belaufen sich inzwischen auf einige Tausende und regeln das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben im Staat bis ins letzte Detail. Sie preisen Wohlstand, Frieden, Gleichheit und Einheit. Das Volk dankt seinem Präsidenten und im Staatsapparat werden fleißig Berichte über die erfolgreiche Implementierung der neuen Gesetze verfasst. Sie sind Grund genug, die Überlegenheit des »usbekischen Modells« gegenüber anderen Staatsordnungen weltweit zu propagieren.
Im Inland geschieht dies hauptsächlich über das Bildungssystem, die staatlich kontrollierten Medien und unzähligen Plakate sowie Parolen, die sämtliche Städte und etliche Straßen des Landes schmücken. Im Ausland übernimmt Karimovs Tochter Gulnara Karimova, Politikerin, Designerin, Sängerin und UNESCO-Repräsentantin Usbekistans, die positive Darstellung des Landes durch kulturelle Veranstaltungen.
Staatsfunktionäre in allen Ministerien fälschen Statistiken über die Fortschritte im Land
Der Vater der jungen Nation zeigt sich nicht nur zufrieden, sondern Stolz auf sein Werk: Millionenschwere Prachtbauten, künstlich angelegte pompöse Parks mit Wasserspielen und eine Handvoll deutscher Nobelkarossen schmücken das Bild des politischen Zentrums Taschkents. Usbekistan ist eines der wenigen Länder, die seit mehreren Jahren – so die offiziellen Statistiken – ein Wirtschaftswachstum von über 8 Prozent halten können. Hinweise auf Probleme im Land sucht man in offiziellen Berichten vergeblich.
Doch leider ist dies alles nur ein orientalisches Märchen. Hinter der Fassade dieser kleinen prunkvollen Welt kann von Reformen keine Rede sein. Das Leben der Bevölkerung hat nicht an Glanz gewonnen, es ist im Gegenteil von der neuen, glänzenden Welt ausgeschlossen und sieht sich einem unberechenbaren System gegenüber, das nur absolute Gehorsamkeit und Treue in Staatshierarchien belohnt.
Aus Angst, Stellung, Ansehen und staatliche planwirtschaftliche Quoten nicht erfüllen zu können, fälschen Staatsfunktionäre in allen Ministerien Statistiken über die Fortschritte im Land. Jeder, vom Taxifahrer bis zum Minister, kennt die Wahrheiten über wirtschaftliche Stagnation, Vetternwirtschaft, politische Repression und Folter, doch aus Angst vor den Konsequenzen wagt es niemand, öffentlich über Probleme zu reden.
Im Jahre 2005 hat die usbekische Regierung ein unvergessliches Exempel statuiert: bei einer Demonstration von Geschäftsleuten in Andijan gegen den repressiven Staatsapparat und allgegenwärtige Korruption, hat die Regierung die Mehrzahl der Beteiligten und Zeugen bis ins benachbarte Kirgistan verfolgt und hemmungslos niedergemetzelt. Wer nicht getötet wurde, ist ins Ausland geflohen, doch auch dort ist niemand frei, über das usbekische System zu berichten.
Die Sanktionen nach Andijan trafen die usbekischen Eliten schwer
Wer die unschöne Wahrheit tausende Kilometer von Taschkent ausspricht, muss um die Sicherheit seiner Angehörigen zuhause fürchten. Im Namen der nationalen Sicherheit und im Kampf gegen Extremismus, Separatismus und Terrorismus hat der Staat unzählige Instrumente, störende Elemente im System ruhig zu stellen oder aus dem Weg zu schaffen. Störenden Untertanen wird durch den allgegenwärtigen Staatsapparat das alltägliche Leben bis zur Bewegungslosigkeit erschwert, unbequeme Staatsbedienstete werden in Blitzgeschwindigkeit ausgewechselt oder verschwinden in Nacht- und Nebelaktionen.
Die wenigen in Bürgerinitiativen oder Nichtregierungsorganisationen aktiven Menschen werden im besten Fall nur in ihrer Arbeit blockiert. Meist werden sie jedoch schikaniert und bedroht. Die Bevölkerung muss das Spiel im öffentlichen Leben mitspielen und konzentriert sich aufs Private. Auf den großen leeren Straßen Taschkents bleiben nur die Angst der Resignierten, uniformierte Polizisten und der Staatssicherheitsdienst zurück. Als Konsequenz des Massakers von Andijan hatten sich die meisten westlichen Staaten aus Usbekistan zurückgezogen und das Land mit Sanktionen belegt.
Usbekische Eliten wurden schwer von den fehlenden Einnahmen durch den Verkauf von Baumwolle getroffen, da das Land zu den größten Baumwollexporteuren der Welt gehört – bis heute werden jedoch Schüler, Studenten und gar Ärzte gezwungen, monatelang auf usbekischen Feldern unentgeltlich Baumwolle zu ernten. Die allgegenwärtigen Menschenrechtsverletzungen, die Uneinsichtigkeit des Regimes und zunehmender Druck aus dem Westen hatten das Land in die Isolation getrieben. Doch diese Situation hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert.
Auf der Suche nach Verbündeten im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, sind die westlichen Staaten wieder in Verhandlungen mit der usbekischen Regierung getreten. Dies hat in erster Linie seinen Grund im Mangel an zuverlässigen Partnern in der Region: Pakistan zieht sich aus seinen eingegangen Verpflichtungen gegenüber dem Westen zurück, Iran und China scheiden als militärische Partner kategorisch aus und Tadschikistan ist selbst zu fragil und auf die Hilfe Russlands angewiesen, als dass es regional handlungsfähig wäre.
Den Teufel mit dem Beelzebub austreiben
Usbekistans starker Staat, die Grenze mit Afghanistan, sein unerbittlicher Kampf gegen jegliche religiösen Einflüsse und die teuer erkaufte Stabilität im Land, machen den despotischen Staat mehr schlecht als recht zum einzigen potenziellen Verbündeten in Zentralasien. Je schwieriger die Situation in Afghanistan wurde, desto mehr Zusagen mussten die westlichen Verbündeten Usbekistan eingestehen, um wenigstens einen handlungsfähigen Verbündeten jenseits Afghanistans für sich gewinnen zu können. Leider wurden hierdurch die letzten Kritiker des Despoten nicht nur zu Verbündeten, sondern zu Bittstellern.
Deutschland, das seit 2002 den strategisch wichtigen Lufttransportstützpunkt zur Versorgung seiner Truppen in Termez unterhält, war maßgeblich an der Lockerung der EU-Sanktionen beteiligt. Die genauen Kosten des Stützpunktes, die sich auf mindestens 16 Millionen Euro jährlich belaufen, werden von der deutschen Bundesregierung nicht mehr offiziell veröffentlicht – auf Drängen der usbekischen Partner.
Auch andere Staaten wollen seit dem letzten Nato-Gipfel in Chicago das Land im Rahmen des »Northern Distribution Network« zum Abzug ihrer Truppen nutzen. Die usbekische Regierung wird sich auch diese Dienstleistungen königlich bezahlen lassen. Die Koalition mit einem Terrorstaat wie Usbekistan gegen den internationalen Terrorismus treibt den Teufel mit dem Beelzebub aus und ist ein finanziell wie moralisch kostspieliges Unterfangen.
Die Regierung hält sich nicht nur nicht an internationale Verträge, sie geht konstant Neuverhandlungen ein und verändert nationale Gesetze, um neue Prozeduren und Gebühren herauszuspielen. Internationale und bilaterale Organisationen werden durch usbekisches Personal infiltriert, das sich seinen Verwandten in usbekischen Ministerien und dem usbekischen Sicherheitsdienst gegenüber stärker verpflichtet fühlt, als den internationalen Geldgebern.
Der usbekische Staat ist über dieses breite Netzwerk nicht nur bestens über Aktivitäten von Botschaften oder Geberorganisationen informiert, er hat teilweise gar erheblichen Einfluss auf Projektaktivitäten und Geldströme. Durch ein kompliziertes System von Bankregelungen und falschen Wechselkursen, versacken so Millionen von Dollar jährlich in der usbekischen Wüste. Ist diese Praxis in vielen Entwicklungsländern beobachtbar, so wird die Situation dadurch verschärft, dass kein Staat und keine Organisation, die mit Usbekistan zusammenarbeiten möchte, Kritik an dem System üben kann.
Wer im großen Spiel um Zentralasien in Usbekistan mitmachen möchte, muss nach der Musik der Regierung tanzen
Es geht sogar so weit, dass die Asiatische Entwicklungsbank in ihrem letzten Report, dem »Asian Development Outlook«, wider besseren Wissens, gefälschte statistische Daten der usbekischen Regierung weltweit im Namen der Bank verbreitet hat. Um mit Usbekistan zusammen arbeiten zu dürfen, schmeicheln internationale Unternehmen und Organisationen dem zentralasiatischen Kaiser und seinem Hofstab, indem sie öffentlich die Fortschritte der Reformen würdigen.
Wer kritisiert oder unangenehme Fragen stellt, wird des Landes verwiesen. Ausländische Mitarbeiter von internationalen Organisationen werden auf Schritt und Tritt durch Abhörgeräte in Wohnungen und Telefonen, den Sicherheitsdienst und eigene Mitarbeiter beobachtet und ausspioniert. Die Angst auf den Straßen Taschkents ist nicht nur für usbekische, sondern auch für internationale Bürger allgegenwärtig.
Wer die offensichtlichen Probleme offen anspricht, zieht den Zorn Taschkents auf sich und handelt seiner eigenen Regierung schwerwiegende Probleme ein. Auch für westliche Ausländer sind die Überlebensstrategien die selben wie für alle anderen im Land: es gilt sich unauffällig zu verhalten und das farbenfrohe orientalische Märchen von Tausendundeiner Nacht mitzuspielen. Wer im großen Spiel um Zentralasien in Usbekistan mitmachen möchte, muss nach der Musik der usbekischen Regierung tanzen.
Es ist ein trauriges Märchen voller Lügen und Unwahrheiten. Ein Märchen, das inzwischen internationales Ausmaß annimmt und damit Werte wie Wahrheit, Menschenrechte und Pressefreiheit verhöhnt. Im Märchen von Hans Christian Andersen wird die Wahrheit letztendlich von einem kleinen Mädchen, der Stimme der Unschuld, ausgesprochen. Doch wer jetzt noch frei sprechen kann, geschweige denn in Unschuld, ist fraglich.