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Islamischer Staat - Provinz Khorasan in Afghanistan

Was der Aufstieg des IS-PK in Afghanistan bedeutet

Analyse
Islamischer Staat - Provinz Khorasan in Afghanistan

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (IS-PK) profiliert sich als dschihadistische Alternative zu den Taliban – und setzt dabei auf eine globale Strategie, die zunehmend auch Europa ins Visier nimmt.

Seitdem die Taliban 2021 in Afghanistan wieder an die Macht gekommen sind, hat sich das geopolitische Gleichgewicht in der Region verändert. Doch während die internationale Gemeinschaft ihre Aufmerksamkeit auf die Taliban richtete, hat sich im Untergrund eine andere Bedrohung entwickelt: der Islamische Staat - Provinz Khorasan (IS-PK). Gegründet 2015 inmitten der politischen Instabilität Afghanistans und Pakistans, strebt der IS-PK mittlerweile nach der Errichtung eines Kalifats. Mit wachsender Stärke und globaler Vernetzung stellt er heutzutage eine ernsthafte Bedrohung dar, die bis nach Europa reicht. Seit seinem großen Anschlag in Moskau im März 2024 wächst auch hier die Sorge vor Attentaten, besonders in Zeiten großer internationaler Sportereignisse wie der Fußball-Europameisterschaft und den Olympischen Spielen.

 

Die Entstehung des IS-PK erfolgte Anfang 2015 als regionale Erweiterung des Islamischen Staates (IS). Seine Gründung fand im Kontext der instabilen politischen Lage in Afghanistan und Pakistan sowie der Schwächung der Taliban statt. Zu jener Zeit kämpfte die afghanische Regierung gegen eine Vielzahl bewaffneter Gruppen, allen voran die Taliban, die seit ihrem Sturz 2001 Aufstände gegen die US-Besatzungstruppen probten. Pakistan erlebte ebenfalls erhebliche Sicherheitsprobleme, besonders in den Stammesgebieten entlang der afghanischen Grenze. Diese Regionen, bekannt als die Federally Administered Tribal Areas (FATA), wurden schon lange Zeit von einer Vielzahl militanter Gruppen kontrolliert. Ihre geografische Unzugänglichkeit sowie die tief verwurzelte Stammeskultur erschwerten polizeiliche Operationen und damit staatliche Kontrolle. Aus diesem Grund dienten die Gebiete häufig als Rückzugsorte für Extremisten, die von dort aus grenzüberschreitende Angriffe sowohl in Pakistan als auch in Afghanistan starteten.

 

Zu den extremistischen Gruppen gehörten die Tehrik-i-Taliban Pakistan (TTP), Al-Qaida und die Islamische Bewegung Usbekistan. Durch eine Vielzahl an Anti-Terroroperationen, aber auch durch interne Konflikte hatten diese Gruppen jedoch zunehmend an Einfluss verloren. Ihre Schwächung führte dazu, dass viele ihrer Kämpfer und Kommandeure nach neuen Möglichkeiten suchten. Mit dem Erstarken des IS-PK fanden sie diese in der neuen radikalen Gruppierung. Ein Beispiel für die Rekrutierungserfolge des IS-Ablegers abseits dieser Gruppen wurde 2015 deutlich, als sich ihm Gulmurod Chalimov, ein ehemaliger Anführer einer tadschikischen Eliteeinheit, anschloss. In einem IS-Propagandavideo gab er als Grund die »antiislamische Politik« seiner Regierung an.

 

Die Verwendung des Namens Khorasan durch den IS-PK dient mehreren Zwecken

 

Der Name des IS-Ablegers bezieht sich auf die historische Region Khorasan, die für ihre bedeutende Rolle in der frühen islamischen Geschichte bekannt ist. Der Begriff Khorasan stammt aus dem Persischen und bedeutet »Land der aufgehenden Sonne«, was auf die östliche Lage dieser Region hindeutet. Auch in der islamischen Offenbarung kommt Khorasan eine besondere Bedeutung zu. Verschiedene Hadithe deuten darauf hin, dass aus Khorasan eine Armee hervorgehen wird, die mit schwarzen Bannern die islamische Welt erobern wird – darauf bezogen sich etwa die Abbasiden, als sie im 8. Jahrhundert gegen die Umayyaden ins Feld zogen.

 

Die Verwendung des Namens Khorasan durch den IS-PK dient also mehreren Zwecken: Erstens der historischen Legitimation, denn durch die Bezugnahme auf eine bedeutende Region der islamischen Geschichte versucht die Gruppe, eine historische Kontinuität zu suggerieren. Zweitens der religiösen Mobilisierung, da die Verbindung zur apokalyptischen Prophezeiung religiöse Eiferer anziehen soll. Drittens dem regionalen Anspruch, da der Name die Ambitionen unterstreicht, Einfluss in einem strategisch wichtigen Gebiet auszuüben.

 

Khorasan als historisch bedeutende Region umfasst Teile des modernen Iran, Afghanistans, Turkmenistans und Usbekistans. Die geografische Ausdehnung dieser Region erstreckt sich von fruchtbaren Ebenen und Flusstälern bis hin zu bergigen und wüstenartigen Landschaften. Im 7. und 8. Jahrhundert wurde Khorasan durch die islamische Expansion nachhaltig vom Islam geprägt. Während der Abbasiden-Dynastie (750-1258) war Khorasan ein wichtiges Handelszentrum entlang der Seidenstraße. Bedeutende Zentren wie Nischapur, Merv, Herat und Balkh fungierten als zentrale Knotenpunkte für kulturellen und wirtschaftlichen Austausch. Aus der Region stammten bedeutende Persönlichkeiten wie Al-Farabi, Ibn Sina, Al-Biruni und Abu 'l-Qasim Firdausi. Khorasan spielte also nicht nur eine entscheidende Rolle in der Verbreitung des Islams, sondern auch in der Entwicklung islamischer Gelehrsamkeit, Literatur, Poesie und Wissenschaft.

 

Die Beweggründe, warum sich Menschen dem IS-PK anschließen, können allerdings nicht allein mit der Strahlkraft seines Namens erklärt werden. Vielmehr handelt es sich um ein komplexes Zusammenspiel von ideologischen, politischen, sozialen, religiösen und wirtschaftlichen Faktoren. Seine Fähigkeit, nicht nur religiöse Narrative für sich zu vereinnahmen, sondern auch soziale Strukturen zu bieten, wirtschaftliche Anreize zu schaffen und politische Unzufriedenheit auszunutzen, macht den IS-PK für manche Menschen scheinbar zu einer attraktiveren Option als zum Beispiel die Taliban.

 

Die Kämpfe um die Territorien werden oft brutal geführt, so dass beide Seiten erhebliche Verluste erleiden

 

Das Verhältnis zwischen dem IS-PK und den Taliban ist seit jeher von Spannungen geprägt, obwohl beide Gruppen in derselben Region operieren und ein ähnliches Ziel verfolgen. Der zentrale Unterschied dabei ist, dass die Taliban sich auf die Errichtung eines islamischen Emirats innerhalb der Grenzen Afghanistans konzentrieren. Im Gegensatz dazu verfolgt der IS-PK eine globalere Agenda und orientiert sich an dem Ziel seiner Überorganisation IS, ein transnationales Kalifat aufzubauen. Entsprechend betrachtet die IS-Führerschaft die Provinz Khorasan auch nur als untergeordnete Verwaltungseinheit.

 

Die Rivalität zwischen dem IS-PK und den Taliban manifestiert sich in territorialen Auseinandersetzungen. Beide Gruppen konkurrieren um die Kontrolle über strategisch wichtige Gebiete in Afghanistan und Pakistan. Die Kämpfe um die Territorien werden oft brutal geführt, sodass beide Seiten erhebliche Verluste erleiden. Der IS-PK hat in der Vergangenheit mehrfach versucht, sich in afghanischen Gebieten festzusetzen, die traditionell unter Taliban-Kontrolle stehen, darunter die östliche Provinz Nangarhar und die angrenzende Provinz Kunar, hier besonders in den Stammesgebieten entlang der Durand-Linie.

 

Die Spannungen wurden durch die Tötung von Abdul Rauf Khadim, einem ehemaligen Taliban-Kommandeur, der sich dem IS-PK angeschlossen hatte, im Februar 2015 verschärft. Khadim hatte eine zentrale Rolle beim IS-PK gespielt und sein Übertritt stellte eine erhebliche Bedrohung für die Taliban dar, immerhin war er ihr Gouverneur der Provinz Kunar. Seine Tötung durch einen US-amerikanischen Luftangriff, der Berichten zufolge auf Informationen der Taliban zurückging, führte zur Eskalation der Gewalt zwischen beiden Gruppen. Spätestens seit dem Abzugsabkommen von Doha, das im Februar 2020 von den Taliban und den USA in Katar unterzeichnet wurde, betrachtet der IS-PK die Taliban zudem als »Verräter«, was die Rivalität noch einmal verschärft hat.

 

Der Wettbewerb um die Rekrutierung neuer Anhänger ist ein weiterer wichtiger Faktor. Während der IS-PK seine globale Vernetzung und seine starke Präsenz in den sozialen Medien nutzt, um eine breite Rekrutierungsbasis zu schaffen, sind die Taliban auf traditionelle lokale Netzwerke und deren Unterstützung angewiesen. Dieser Wettkampf verstärkt die Brutalität ihrer Auseinandersetzungen, was letztendlich die Sicherheitslage in Afghanistan und der umliegenden Region weiter destabilisiert und erhebliche Auswirkung auf die Zivilbevölkerung hat. Vor allem der IS-PK hat sich dabei als äußerst brutaler Akteur gezeigt, was auf die IS-Ideologie und -Strategie zurückzuführen ist.  

 

Der IS-PK verstärkte und diversifizierte die Propaganda über seine Al-Azaim-Medienstiftung

 

Der IS interpretiert laut seinem Magazin Dabiq den Islam als »Religion des Schwerts«, so dass der Dschihad im Mittelpunkt seiner Ideologie steht. Entsprechend führt er einen aus seiner Sicht durch den Koran legitimierten Vernichtungskrieg gegen alles, was ihm nicht islamisch erscheint. Sein Ableger IS-PK folgt ihm darin, wobei er sich der brutalen Terrorstrategie bedient, die bereits die IS-Vorgängerorganisation Al-Qaida im Irak angewandt hat. Sie stützt sich auf das Manifest »Administration der Grausamkeit«, das von dem ägyptischen Dschihad-Propagandisten Hassan Khalil Al-Hakim 2004 verfasst wurde.

 

Erstmals zu einem Terroranschlag bekannte sich der IS-PK im Jahr seiner Gründung: Im afghanischen Dschalalabad verübte am 18. April 2015 ein Kämpfer einen Selbstmordanschlag vor einer Bank, in der gerade die Monatsgehälter ausgezahlt wurden. Bei dem Attentat starben 35 Menschen, mehr als 100 wurden teils schwer verletzt. Gestärkt durch den Zulauf an kampferfahrenen IS-Soldaten aus den verloren gegangenen Kriegsschauplätzen im Irak und in Syrien, breitete sich der IS-PK innerhalb der nächsten drei Jahre vor allem in Afghanistan aus, hier besonders in der Provinz Kunar. In einer Vielzahl der hiesigen Moscheen und Koranschulen wird die Lehre der Deobandi vertreten, die eine besonders strikte Auslegung des Islams praktizieren. Im Jahr 2018 wurde der IS-PK auf dem »Global Terrorism Index« als einer der vier »tödlichsten Terrororganisationen der Welt« geführt.

 

Ab 2021, dem Jahr des Abzugs der internationalen Schutztruppe für Afghanistan, nahm die Frequenz der Anschläge durch den IS-PK weiter zu. Nachdem er bereits am 26. August 2021 während des überstürzten Abzugs der NATO-geführten Truppen ein Selbstmordattentat am Kabuler Flughafen mit über 200 Toten verübt hatte, bekannte er sich allein im Folgejahr 2022 zu über 350 Attentaten, prozentual gesehen also fast täglich ein Angriff. Außerdem wurden dem IS-PK weitere Anschläge in Indien, Tadschikistan und Usbekistan zugeordnet.

 

Nachdem sich seine Operationen bis 2022 weitgehend auf Süd- und Zentralasien konzentriert hatten, expandierte der IS-PK in jüngster Zeit immer mehr in Richtung Westen. Dazu verstärkte und diversifizierte er die Propaganda über seine Al-Azaim-Medienstiftung, sodass er seine Botschaften nicht mehr nur auf Arabisch, Dari und Paschtu, sondern nunmehr auch auf Hindi, Malaysisch, Tadschikisch, Türkisch, Urdu, Usbekisch und vielen weiteren Sprachen veröffentlichte. Diese Strategie führte dazu, dass seine Aktivitäten in jüngster Zeit nicht nur an Frequenz, sondern auch Qualität und Ausmaß zugenommen haben.

 

Zunächst töteten seine Anhänger bei zwei Angriffen am 26. Oktober 2022 und am 13. August 2023 beim Shah Cheragh-Schrein in Schiraz über ein Dutzend schiitische Pilger. Dann verübten am 3. Januar 2024 IS-PK-Kämpfer einen Doppelanschlag im iranischen Kerman während einer Gedenkveranstaltung für den Quds-Kommandeur Qassim Soleimani mit fast 100 Toten. Es war der tödlichste Terroranschlag in Iran seit Jahrzehnten. Am 28. Januar 2024 drangen zwei seiner Soldaten in die katholische Santa-Maria-Kirche in Istanbul ein, schossen auf die Gläubigen und töteten einen von ihnen.

 

Der tödlichste Anschlag in Russland seit der Belagerung der Schule von Beslan durch tschetschenische Dschihadisten im Jahr 2004

 

Am 22. März 2024 überfielen vier IS-PK-Kämpfer ein Konzert der Rockband Picknick in der Crocus City Hall im russischen Krasnogorsk, einem nördlichen Vorort Moskaus. Dabei töteten sie fast 150 Menschen und verletzten über 500. Die Tat erregte international großes Aufsehen, vor allem weil Russland seine Sicherheitsvorkehrungen seit dem Beginn des Ukrainekriegs im Februar 2022 verschärft hatte. Zu der Tat bekannte sich der IS-PK nur wenige Stunden später über seinen Telegram-Kanal der IS-Nachrichtenagentur Amaq. Es war der tödlichste Anschlag in Russland seit der Belagerung der Schule von Beslan durch tschetschenische Dschihadisten im Jahr 2004.

 

In Europa verzeichnete Europol im gesamten Jahr 2022 sechs dschihadistische Anschlagsversuche, seit Oktober vergangenen Jahres sind es bereits über ein Dutzend, viele davon in Verbindung mit dem IS-Ableger. Auch in Deutschland mehrten sich jüngst sicherheitsrelevante Vorkommnisse: Allein seit dem letzten Jahr haben die Sicherheitskräfte über ein Dutzend IS-PK-Anhänger festgenommen, darunter afghanische, kirgisische, tadschikische und turkmenische Staatsbürger. Angeklagt werden sie wegen schwerer strafrechtlicher Vergehen wie der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat oder dem Verstoß gegen das Waffengesetz. Alle Verdächtigen standen in Kontakt mit dem IS-PK in Afghanistan. Geplant waren unter anderem Terroranschläge auf den Weihnachtsmarkt in Leverkusen und den Kölner Dom im Dezember 2023, auf das Parlament in Stockholm im März und den Wiener Stephansdom im April 2024.

 

Aufgrund der Schwere und Häufigkeit der Vorfälle sieht der Bundesverfassungsschutz aktuell »eine akute Gefahr« durch dschihadistische Anschlagspläne. Laut Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang hat das Risiko seit 2023 eine »neue Qualität« erreicht. Das Bundeskriminalamt stuft derzeit rund 500 Dschihadisten als sogenannte Gefährder ein: Davon sind circa 100 inhaftiert, rund 200 befinden sich im Ausland, der Rest wird auf freiem Fuß in Deutschland vermutet, darunter rund 50 untergetauchte IS-PK-Anhänger.

 

Der Grund für den jüngsten Anstieg an Gewaltpotenzial liegt aber nicht nur im Zustrom an Dschihadisten aus dem Ausland, sondern auch an einer starken Mobilisierung innerhalb der Szene. Im Bundesverfassungsschutzbericht 2023 wird betont, dass die »Gefährdungslage von der Gewalteskalation in Nahost« und einem damit einhergehenden »Emotionalisierungspotenzial« für die Propaganda beeinflusst wird. Dabei sticht der IS-PK zum Beispiel mit seinem an das IS-Magazin Dabiq angelehnte Heft Stimme Khurasans am radikalsten hervor.

 

Als lokaler Provinzableger ist er zwar dem globalen IS-Kalifatprojekt unterworfen, genießt aber relativ große Autonomie

 

Darin hat er vor kurzem auch zu Anschlägen auf die Fußball-Europameisterschaft aufgerufen: Auf einem Propagandaplakat ist ein IS-Soldat in Camouflage in einem Fußballstadium zu sehen, der mit dem Rücken zugewandt ein Gewehr in seiner rechten Hand hält. Über ihm steht die in Blut getränkte Frage: »Wo willst du?«, darunter in Verbindung mit den drei Anschlagszielen Berlin, München und Dortmund die Antwort: »Dann schieß das letzte Tor!« Dass die Anschlagsgefahr bei der EM real ist, beweist die Verhaftung eines IS-PK-Anhängers, der sich als Sicherheitsmann in ein EM-Stadium einschleusen wollte.

 

Die Besucher der Fußball-EM vor Anschlägen zu beschützen, stellt die Sicherheitskräfte vor eine große Herausforderung: Nicht nur besuchen rund drei Millionen Fans das Turnier, sondern bis zu 15 Millionen die Fan-Zonen und Public-Viewing-Areas. Diese sind als »weiche Ziele« deutlich anfälliger für Angriffe, da nicht nur weniger Kontrollen durchgeführt werden, sondern auch weniger Qualifikationen bei den Sicherheitsdienstleistern verlangt werden. Für die Sicherheitslage stellen vor allem Einzeltäter eine besondere Gefahr dar, was das Attentat eines radikalisierten Dschihadisten im Mai 2024 gezeigt hat. Dieser hatte auf einer Veranstaltung der islamkritischen Bewegung Pax Europa in Mannheim einen Polizisten getötet und sechs Teilnehmer teils schwer verletzt.

 

Diese Gefährdungslage hat das deutsche Innenministerium dazu veranlasst, eine Sicherheitskooperation mit Frankreich einzugehen. Zusätzlich überwachen 600 Sicherheits- und 350 Polizeiexperten aus ganz Europa im Zentrum für internationale Polizeikooperation in Neuss die Sicherheitslage. Bis dato scheint das engmaschige Sicherheitskonzept aufzugehen: Zumindest konnten anfängliche Gewaltexzesse wie beim Hochrisikospiel Serbien gegen England am 15. Juni 2024 in der Innenstadt von Gelsenkirchen schnell beendet werden.

 

Der IS-PK hat es in den letzten Jahren geschafft, sich international zur gefährlichsten Terrororganisation zu entwickeln. Als lokaler Provinzableger ist er zwar dem globalen IS-Kalifatprojekt unterworfen, genießt aber relativ große Autonomie – und das, obwohl er der einzige IS-Ableger ist, der direkt vom IS in Syrien und Irak aufgebaut wurde und bis heute mitfinanziert wird. Während sich die anderen IS-Ableger in Afrika und Asien derzeit eher auf die Expansion ihrer Gebiete nach dem IS-Konzept »Bestehen und Ausdehnen« konzentrieren, fokussiert sich der IS-PK seit 2022 auf Anschläge im Ausland. Diese Strategie basiert auch auf der aktuellen Krisensituation in seiner Herkunftsregion, wo er aufgrund der Kämpfe mit den Taliban nur wenige Rückzugsorte besitzt. Aus diesem Grund ist auch in naher Zukunft damit zu rechnen, dass der IS-PK seine internationale Terrorstrategie weiterfahren wird. Der IS-Ableger stellt nicht nur ein Sicherheitsrisiko für die Fußball-EM in Deutschland dar, sondern er wird Europa auch während der kommenden Olympischen Spiele in Frankreich weiter beschäftigen.


Christoph Leonhardt ist Leiter von Okzident-Orient, Analyst bei Middle East Minds und Associate Fellow beim Center for Middle East and Global Order. Nach seinem Studium in Berlin und Beirut hat er an der Universität der Bundeswehr München über paramilitärische Gruppen im Syrienkrieg promoviert. Er ist Autor von »Religion und Gewalt in Syrien. Legitimierung und Mobilisierung unter der Assad-Dynastie (1970–2020)«.

 

Muska Haqiqat ist Doktorandin im Fachbereich Sprachen und Kulturen der islamischen Welt an der Universität zu Köln. Sie ist Mitherausgeberin von »Genderperspektiven auf Afghanistan (Islam & Gender)« und publizierte Lernwörterbücher für den Spracherwerb der Sprache Paschtu.

Von: 
Christoph Leonhardt und Muska Haqiqat

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