Lesezeit: 5 Minuten
SPD-Politikerin Türk-Nachbaur über Beziehungen zu Pakistan

»Gerade jetzt brauchen wir mehr Gesprächskanäle«

Interview
von Leo Wigger
SPD-Politikerin Derya Türk-Nachbaur über Pakistan
Foto: Fionn Grosse

Nach dem Ende der NATO-Mission in Afghanistan ist die Atommacht Pakistan auf der außenpolitischen Prioritätenliste weit nach unten gerutscht. Die SPD-Bundestagsabeordnete Derya Türk-Nachbaur erklärt im Interview, was bisher schief lief, warum wir unseren Blick auf das Land unbedingt ändern müssen, und welche Begegnung sie tief bewegte. 

zenith: Frau Türk-Nachbaur, Sie hatten im Zuge der Enquete-Kommission zu Afghanistan immer wieder mit Pakistan zu tun. Nun waren sie das erste Mal selbst da. Was hat sie auf ihrer Parlamentarierreise überrascht? 
Derya Türk-Nachbaur: Wir haben Pakistan zu lange nicht als eigenständiges Land auf dem Schirm. Das Land ist ein wichtiger Player in der Region. Und die Entscheidungsträger wissen das. Sie wollen, dass Pakistan international auch so wahrgenommen wird. Aus ihrer Sicht kann ich das nachvollziehen. Wir haben Pakistan oft nur im Kontext mit Indien, China, Afghanistan wahrgenommen, statt als Land mit der weltweit fünftgrößten Bevölkerung und Atommacht. Das sollte sich aus europäischer Sicht wie auch aus deutscher Sicht ändern. Auf unserer Reise wurden wir nun sehr hochrangig und wertschätzend empfangen. Es wurde aufgenommen, dass wir uns für Pakistan als Pakistan interessieren. Dieses Momentum sollten wir nutzen. Es war sicher nicht meine letzte Reise dorthin. 

 
Wie haben Sie denn die Zivilgesellschaft in Pakistan erlebt?
Sehr vielfältig. Wir hatten Gelegenheit, uns mit Künstlerinnen und Künstlern zusammenzusetzen. Es gibt eine sehr junge und sehr aktive Zivilgesellschaft, die aber auch darüber klagt, dass sie sich nicht immer so ausdrücken können, wie sie wollen. Die Begegnung mit Neha Toussef ist mir ganz besonders in Erinnerung geblieben. Eine junge, aktive Juristin, die gerade am Gerichtshof arbeitet, gegen Widerstände kämpft und sich mit Mitte 20 überhaupt nicht von diesem Patriarchat beeindrucken lässt. Und das ist ein ganz wichtiger Faktor. Mich hat es erschreckt zu hören, dass rund 40 % der Kinder gar nicht zur Schule gehen. Es sind 70 % der Bevölkerung unter 30 Jahre. Das heißt, es liegt da so viel Potenzial.
 
 
Was sind die wichtigsten Kooperationsfelder und welche Fehler sollte Deutschland vermeiden im Umgang mit Pakistan?
Wir müssen einander auf Augenhöhe begegnen und unsere Partnerländer auch wirklich als Partnerländer wahrnehmen. Beiden Seiten steht es zu, ihre Interessen zu vertreten und die dürfen auch selbstbewusst auf den Tisch gelegt werden. Wir haben ein Interesse an der Stabilität der Region. Pakistan ist daher ein Gesprächspartner. Ein Beispiel: Dort leben über 3 Millionen Afghaninnen und Afghanen, die nicht zu den Taliban zurückwollen. Sie haben wenig Rechte und Perspektive in Pakistan. Was bleibt diesen Menschen? Irgendwann machen sie sich auf den Weg, dahin wo es Perspektiven gibt. Das betrifft auch viele Pakistanerinnen und Pakistaner.
 
Was kann Deutschland anbieten? 
Wir können zum Beispiel mehr für Bildung machen. Kommunalpolitikerinnen aus Peschawar haben mir erzählt, dass sie gerne eine Mädchenschule aufbauen würden. Von ihren männlichen Kollegen werden sie aber ausgebremst, und kriegen keine Ressourcen. Um eine Schule aufzubauen, brauchen sie rund 20.000 € - ein Kleinstbetrag, der Großartiges bewirken kann, und mit dem Frauen und junge Mädchen gestärkt werden. Immerhin haben wir uns der feministischen Außen- und Entwicklungspolitik verschrieben. Und natürlich das Thema Fachkräfte: Wir haben sehr viele pakistanische Studierende hier in Deutschland. Das kann man gut als Potenzial nutzen. 
 
Drei Jahre nach dem Fall von Kabul an die Taliban: Die Zusammenarbeit des Westens mit Pakistan war während der NATO-Mission in Afghanistan ab 2001 gelinde gesagt schwierig. Ist das nicht das beste Argument gegen eine vertiefte Zusammenarbeit?
Im Gegenteil.  Gerade jetzt müssen wir unsere Gesprächskanäle intensivieren. Wir dürfen nicht den Fehler machen, Pakistan sich selbst, aber in der Konsequenz vor allem auch Russland und China zu überlassen. Und: Nach 20 Jahren Einsatz in Afghanistan sehe ich unsere Verantwortung den afghanischen Geflüchteten gegenüber, die nach wie vor in Pakistan sind. Ungefähr 3000 haben eine Zusage über das Bundesaufnahmeprogramm bekommen, doch nur rund 540 sind bislang gekommen – übrigens mit ein Grund für unsere Reise. Aber zurück zu Ihrer Frage: Nein – wir müssen Pakistan als wichtigen Akteur in der Region wahrnehmen.

 
Pakistan pflegt gute Beziehungen zu China. Wie sollte Europa damit umgehen?
China hat großen Einfluss in Pakistan. Dieser ist nicht nur wirtschaftlicher Natur. Wir haben zu China zwar ein gespaltenes Verhältnis, aber es ist doch so: Wenn man das sachlich betrachtet und allen Seiten ihre Interessen zugesteht, offen miteinander spricht, kann man mehr Gesprächskanäle bemühen. Das ist wichtig, wenn wir noch als Player wahrgenommen werden wollen. 

 
In Indien, einem strategisch zunehmend wichtigen Partner, wird man über ein deutsches Pakistan-Engagement wohl wenig erfreut sein.
Und wenn wir Deals mit Indien aushandeln und dabei die Demokratie in Indien hervorheben, fragen sich pakistanische Gesprächspartnerinnen und Partner »Was ist mit uns?« Man spürt das Spannungsverhältnis mit Indien deutlich.Sowohl Indien als auch Pakistan muss klar sein: Wir haben ein großes Interesse daran, dass die Region stabil bleibt, so wie die beiden Länder ja auch. Wenn Deutschland und Europa sich als Brückenbauer betätigen können, dann ist das ein Gewinn für alle. 
 
 
Was sind die nächsten Schritte für die deutsch-pakistanischen Beziehungen? Was haben Sie konkret vor?
Den Reisebericht werde ich auf jeden Fall in meine Ausschüsse einbringen. Und: Ich möchte zusammen mit meinen Kollegen Michael Müller und Christoph Schmid eine deutsch-pakistanische Parlamentariergruppe auf den Weg bringen. Das stärkt den Austausch zwischen den Abgeordneten. Es entstehen weitere Gesprächskanäle. Wir können nicht durch die Welt ziehen und sagen: Die machen aber Geschäfte mit China und Russland. Mit denen reden wir nicht. Es ist vielmehr so: Wenn wir es nicht machen, machen es andere. 
 
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Derya Türk-Nachbaur (SPD) sitzt seit 2021 als Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Sie ist stellvertretende menschenrechtspolitische Sprecherin und Obfrau ihrer Partei in der Enquete-Kommission zu Afghanistan. Sie ist Kuratoriumsvorsitzende der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates.
 
 

Von: 
Leo Wigger

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