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IS, Taliban und Islamismus in Zentralasien

Wie Tadschikistan mit Islamismus umgeht

Analyse
Zentralasien und der IS
Der Präsidialpalast in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe Wikimedia Commons

Tadschikistan nimmt IS-Rückkehrer aus Syrien auf, liegt mit den Taliban im Clinch – und sucht nach dem richtigen Umgang mit den erstarkenden Islamisten im eigenen Land.

146 Staatsangehörige ließ Tadschikistan aus Nordostsyrien zurückführen. Am 25. Juli wurden sie aus den Camps Al-Hol und Al-Roj zum Flughafen Qamishli im Norden der Region transportiert und erreichten schließlich per Flugzeug die tadschikische Hauptstadt Duschanbe. Zabidullah Zabidov, der tadschikische Botschafter in Kuwait, wickelte die Rückführung von 104 Kindern und 42 Frauen ab. Bereits 2019 hatte der Diplomat die Rückführung von 84 tadschikischen Kindern aus dem Irak arrangiert.

 

Ziel dieser Aktion, so heißt es in einer Meldung der staatlichen Nachrichtenagentur Khovar: »Die Kinder sollen aus der Hoffnungslosigkeit befreit und in ein friedliches Leben zurückgeführt werden«. Wie die Wiedereingliederung genau organisiert wird, was die Mütter der Kinder erwartet, darüber finden sich bislang keine offiziellen Informationen.

 

Dass es nun fast sieben Jahre dauerte, bis erstmals festgesetzte Frauen tadschikischer IS-Kämpfer samt deren Kindern von ihrem Heimatland aufgenommen werden, ist insofern erstaunlich, weil das zentralistische Land bereits 2015 ein Amnestiegesetz einführte. Es sollte reumütigen Bürgerinnen die Rückkehr ermöglichen, unter der Bedingung, dass sie nicht aktiv in Kampfhandlungen involviert waren. Auch wenn nur wenige diesem Angebot folgten, kann das Amnestiegesetz als erster Schritt der tadschikischen Regierung betrachtet werden, die Verantwortung für die eigenen Bürger zu übernehmen, die sich dem IS in Syrien und dem Irak angeschlossen hatten.

 

Seit der militärischen Niederlage des IS 2019, sitzen Tausende in Gefangenschaft. Wie viele der etwa 60.000 Menschen im Lager Al-Hol tatsächlich aktive Mitglieder, wer Anhänger und wer Mitläufer war, lässt sich nur schwer überprüfen. Fakt ist, dass die Betreiber des Lagers, die kurdisch dominierten Demokratischen Kräfte Syriens (SDF), regelmäßig davor warnen, welche Gefahr von den Insassen ausgeht. Dieses Risiko nimmt im Zuge der verstärkten türkischen Angriffe zu – und zwingt die SDF in einen kaum zu bewältigenden Zweifrontenkampf.

 

»Wir sind über Pläne des IS für solche Angriffe informiert«, warnte Mazloum Abdi, SDF-General auf einer Pressekonferenz in Hasaka am 15. Juli vor der Stürmung des Al-Hol Camps im Windschatten einer türkischen Invasion. Dass mit dem IS in Syrien weiterhin zu rechnen ist, verdeutlicht nicht zuletzt die versuchte Stürmung des Gefängnisses Al-Sina im Januar dieses Jahres. Es dauerte damals neun Tage, bis die Sicherheitskräfte vor Ort die Lage unter Kontrolle brachten, 140 SDF-Kämpfer kamen ums Leben.

 

Über 60 verschiedene Nationalitäten sind allein in Al-Hol vertreten. Mit allen Regierungen der Herkunftsländer der Lagerinsassen zu verhandeln, übersteigt oft die Kapazitäten der Kurdischen Autonomieregion. Die jeweiligen Staaten sind völkerrechtlich zur Aufnahme verpflichtet, die Rückholverfahren laufen aber weiter schleppend.

 

Kinder könnten zur nächsten Generation von Kämpfern heranwachsen

 

Dabei gingen zunächst einige zentralasiatische Staaten voran. Während sich europäische Länder noch darüber stritten, welche Verpflichtungen sie tragen und ob Staatsbürgerschaften aberkannt werden können, beliefen sich die Rückführungen nach Kirgistan, Kasachstan, Tadschikistan und Usbekistan im Sommer 2021 bereits auf 1.329 Menschen. Heute dürfte diese Zahl noch höher liegen.

 

Deshalb komme auch die jüngste Rückholaktion der tadschikischen Regierung nicht überraschend, meint Mélanie Sardozai. Die Doktorandin am Pariser »Institut national des langues et civilisations orientales« (INALCO) forscht über die Grenzregion zwischen Tadschikistan und Afghanistan. Die seit einigen Jahren laufenden Verhandlungen seien durch die Corona-Pandemie unterbrochen worden. »Man will alle Tadschiken so schnell es geht zurück ins Land holen, um sie im Blick zu haben«, sagt Sardozai. Die Regierung handele aus der Sorge heraus, die Kinder könnten indoktriniert werden und zur nächsten Generation von Kämpfern heranwachsen.

 

Gleichzeitig passe sich die Rückholaktion in die repressive antiislamistische Politik des tadschikischen Staates ein, meint Tim Epkenhans. Der Sicherheitsdienst sei an Informanten interessiert, um damit weitere potenzielle Islamisten zu identifizieren. »Außerdem lautet das Signal an die eigene Bevölkerung: Wir bekommen euch – früher oder später!«, erklärt der Professor vom Orientalischen Institut Freiburg. »Der Repressionsapparat funktioniert auch über die Staatsgrenzen hinaus.«

 

Der Kampf der tadschikischen Regierung gegen Islamismus und Terror ist elementarer Bestandteil der eigenen Herrschaftslegitimation. Aus Sicht der tadschikischen Führung darf der Islam nur als Staatsreligion existieren. Im privaten Raum hingegen wird die Religionsauslebung verfolgt und unterbunden. Menschen würden schikaniert, weil sie Bart oder Hijab tragen, erklärt Sardozai. Der Staat argumentiere mit dem Schutz der eigenen Kultur. »Die Behörden sehen diesen Islam als etwas Fremdes, das im Land nichts zu suchen hat«, sagt die Zentralasien-Expertin.

 

»Der Großteil hat sich im Ausland radikalisiert«

 

Angesichts des Generalverdachts und der entsprechenden Repressalien haben in den vergangenen Jahren ganze Familien ihre Heimatländer in Zentralasien verlassen, beobachtet Epkenhans. »Sie sehen keine Möglichkeit, ein religiöses Leben nach ihren Vorstellungen in ihrer Heimat zu führen.«

 

Ein Bericht der Stiftung Wissenschaft und Politik schätzt die Zahl der aus Zentralasien stammenden IS-Kämpfer auf mindestens 5.000. Die Mehrzahl davon stamme aus Tadschikistan und Usbekistan. Darunter nicht nur Kämpfer, sondern auch deren Familienmitglieder. »Der Großteil von ihnen hat sich im Ausland radikalisiert«, sagt Epkenhans – und verweist auf die Bedeutung des großen Nachbarn. » Arbeitsmigration und Aufenthalt in Russland waren ein unglaublich wichtiger Faktor für die Radikalisierung.« Die dortigen Netzwerke aus Tschetschenen und Dagestanern spielten eine wichtige Rolle bei der Rekrutierung. »Der Kontakt zu einer multinationalen Gemeinschaft und zu im Heimatland unzugänglichen Informationen erlaubt es, die Unzufriedenheit mit dem Staat zu kanalisieren.« Darin sieht Sadozai eine Gefahr: »Viele Menschen sind der Regierung feindselig gesinnt und auf diejenigen zielt die Rekrutierung des IS ab.«

 

Duschanbe erkennt die Taliban-Regierung nicht an

 

Emomali Rahmon leitet in seiner mittlerweile fünften Amtszeit als Präsident das zentralasiatische Land. Der 69-Jährige ist der letzte verbliebene Autokrat Zentralasiens, der seit Ende der Sowjetunion noch immer im Amt ist. Eine weitere Besonderheit: Als einziger postsowjetischer Staat der Region durchlebte Tadschikistan in den neunziger Jahren einen blutigen Bürgerkrieg gegen islamistische Aufständische. Auch aus dieser Erfahrung erklärt sich der verordnete Säkularismus und das Misstrauen gegenüber Islamisten im eigenen Land – und jenseits der eigenen Grenzen.

 

Kein Wunder also, dass die Taliban in Afghanistan der tadschikischen Regierung ein Dorn im Auge sind. Duschanbe erkennt die Taliban-Regierung nicht an und fährt im Gegensatz zu den Nachbarstaaten einen strengeren Kurs, indem man die Kommunikation mit den Behörden der neuen Machthaber verweigert – zum Unmut der Taliban. Schließlich bietet Tadschikistan nicht nur afghanischen Oppositionellen Unterschlupf, sondern unterstützt auch die in Afghanistan agierende »Nationale Widerstandsfront«. Immer wieder verübt diese Gruppe, die aus den Resten der Nordallianz hervorgegangen ist, Anschläge auf die Taliban. Der tadschikische Staat hat damit genug Grund zur Sorge. Bereits kurz nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 ließ Duschanbe die Grenzregion mit russischen Waffen aufrüsten.

 

Auf der anderen Seite dieser Grenzen liegt das Hauptsiedlungsgebiet der zweitgrößten Ethnie Afghanistans: der Tadschiken. Zwar kämpfen auch viele tadschikische Afghanen auf Seiten der Taliban, dennoch häufen sich seit der Machtübernahme die Anfeindungen gegen nicht-paschtunische Taliban.

 

»Der IS fokussiert sich auf Minderheiten in der Grenzregion«

 

Ein kürzlich errichteter Wachposten auf afghanischer Seite der Grenze ließ bei der Regierung in Duschanbe die Alarmglocken läuten. Inwieweit die Regierung in Kabul dahintersteckt, konnte bislang nicht geklärt werden. Fakt ist: Die Taliban legen wenig Interesse an den Tag, solche Aktivitäten zu unterbinden. Stattdessen ließen sie verkünden, dass sich die tadschikischen Behörden doch an die Kollegen auf afghanischer Seite wenden könnten, um gemeinsam eine Lösung zu finden – ein Seitenhieb auf ausbleibende diplomatische Anerkennung durch Duschanbe.

 

Die Situation in Afghanistan spielt den Aktivitäten einer anderen islamistischen Gruppe in die Karten: Die Zweigstelle »IS – Khorasan« (IS-K) in Zentralasien kann seine Macht in dem von den Taliban regierten Land zwar nicht maßgeblich ausbauen, habe aber ohne die Präsenz von US- und NATO-Truppen mehr Handlungsspielraum, meint Sadozai. »Außerdem fokussiert sich der IS auf Minderheiten in den Grenzregionen, wie etwa tadschikische Afghanen.« Ob der IS-K die Tadschiken, die von der paschtunisch dominierten Taliban-Regierung nicht ernst genommen werden auf seine Seite ziehen kann? Seit Anfang des Jahres fährt der IS-K eine groß angelegte Online-Kampagne mit Propagandamaterial auf Tadschikisch. Dennoch werde die Reichweite der Gruppe häufig überschätzt, meint Tim Epkenhans. »Ich habe den Eindruck, dass es sich um eine sehr kleine Keimzelle handelt«, befindet der Zentralasien-Experte. Die Grenze zwischen Tadschikistan und Afghanistan sei gut gesichert und die umliegenden Gebiete relativ ruhig – nicht zuletzt auf Grund bedeutsamer Drogengeschäfte, an denen die beide Regierungen viel verdienen.

 

Sadozai ist sich sicher, dass sich die tadschikische Regierung über die Situation in Afghanistan und die islamistischen Aktivitäten in der Region bewusst ist. Inwieweit ist die Regierung aber in der Lage, diese Machenschaften zu minimieren? Tadschikistan ist ein autoritär geführtes Land. Mit Repressionen versucht die Regierung, dem immer wieder im Land heranwachsendem Islamismus zu begegnen. Nachdem zwischen 2010 und 2014 mehr terroristische Gruppierungen im Land heranwuchsen, reagierte der Staat 2015 mit einem Verbot der gesamten politischen Opposition.

 

Für den angemessenen Umgang mit erwachsenen Rückkehrenden und aus dem Gefängnis entlassenen Extremistinnen und Extremisten hingegen sei Tadschikistan laut einem Bericht des United States Institute of Peace nicht ausreichend vorbereitet. Während für Kinder verschiedene Programme zur Reintegration und Traumabewältigung zur Verfügung stünden, würden die Frauen umgehend ins Gefängnis kommen, vermutet Tim Epkenhans. »Der Umgang mit Oppositionellen ist oft willkürlich und die Justiz intransparent«, sagt der Zentralasien-Experte. »Die Prozesse laufen hinter verschlossenen Türen ab und es ist unklar, was mit den Angeklagten passiert.«

Von: 
Hannah Jagemast

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