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Afrikanische Flüchtlinge in Tel Aviv

Auszug aus dem gelobten Land

Feature

Nach wiederholten Brandattacken und fremdenfeindlichen Kundgebungen gegen afrikanische Flüchtlinge in Tel Aviv beginnt in Israel die Sammelabschiebung von rund 250 Südsudanesen. Sie blicken in eine ungewisse Zukunft.

Während seines Wahlkampfs 2010 wurde der damalige Kandidat bei den südsudanesischen Präsidentschaftswahlen und der derzeitige Vorsitzende der oppositionellen SPLM-DC, Lam Akol, gefragt, ob er wie andere Südsudanesen davon träume, dass der Südsudan nach der Unabhängigkeit ein Paradies wird. Akols lapidare Antwort: »Der seit 1956 unabhängige Norden, aus dem wir zurückgekommen sind, ist noch kein Paradies geworden, wie soll dann der Süden ein Paradies sein?«

 

Am 17. Juni begannen auf Anweisung der israelischen Regierung die Sammelrückführungen von rund 250 Südsudanesen, unter ihnen mindestens 43 Minderjährige, der circa 1500 großen in Israel lebenden südsudanesischen Bevölkerung. Derweil protestierten in Israel rund 300 afrikanische Flüchtlinge vor dem UN-Flüchtlingshilfswerk unter dem Motto »Wir sind kein Tumor – Wir sind Menschen«. Flüchtlinge wenden sich in den letzten Wochen immer wieder an NGOs, wie die »Hotline for Migrant Workers«, und beklagen Drohungen und Attacken von Israelis.

 

Viele Afrikaner sind enttäuscht vom jüdischen Staat, einen Staat von dem sie sich erhofft hatten, dass er sie vor dessen geschichtlichen Hintergrund akzeptieren würde. Insgesamt leben in Israel um die 60.000 afrikanische Migranten, die meisten aus dem Sudan und Eritrea. Die Regierung und das rechts-religiöse Spektrum behaupten, dass die Migranten aus wirtschaftlichen Gründen nach Israel kommen, und um den jüdischen Charakter des Staates zersetzen.

 

Da das Innenministerium unter dem orthodoxen Schas-Vorsitzenden Eli Jischai kaum einen Migranten die Möglichkeit gibt, einen Antrag auf Flüchtlingsstatus zu erheben, hängt diese Argumentation faktisch in der Luft. Der Aufschrei von linken und Menschenrechtsgruppierungen, sowie Aufrufe von ausländischen jüdischen Gruppierungen, mitunter auch eher rechtslastige Organisationen wie »Beitar Australien«, lässt auch vermuten, dass es gerade die Art des Umgangs mit Minderheiten, wie den afrikanischen Flüchtlingen ist, die zur Erosion des jüdischen Moralkodexes im Staate Israels führt.

 

Die Neuankömmlinge aus Israel werden sich an die Gegebenheiten im Südsudan anpassen müssen

 

Was erwartet südsudanesische Rückkehrer bei ihrer Ankunft in Südsudans Hauptstadt Juba? Die Jahre des offenen Krieges sind vorüber. Jedoch ist der Kontrast, dem sich die Rückkehrer aus einem weitestgehend demokratischen Land wie Israel mit sozialer Grundversorgung und Meinungsfreiheit im Südsudan ausgeliefert sehen werden, nicht zu unterschätzen. Ihre Kinder wurden in Tel Aviv, Arad, Eilat oder Ashdod geboren, sprechen hebräisch, und trotz Diskriminierung und Ausgrenzung sehen sich afrikanische Flüchtlinge, oder »Eindringlinge«, wie sie in Israel oft betitelt werden, nicht systematischer Verfolgung ausgesetzt.

 

Selbst wenn Flüchtlinge, wie der Südsudanese Gabriel Kuol, davon sprechen, sich in Israel mittlerweile ähnlich bedroht zu fühlen wie im Nordsudan oder in Ägypten. In Juba, oder wo sie sonst unterkommen werden, werden sie mit gänzlich anderen Herausforderungen konfrontiert: ein nur nomineller Frieden, keine Unterkunft oder Arbeit und ein sich nur langsam etablierender Staat. Es fehlt an Infrastruktur, Bildungs- und Gesundheitsdienstleistungen. Die Sicherheit wird weiter von Stammeskonflikten bedroht.

 

Die Grenzstreitigkeiten mit dem sich destabilisierenden Nordsudan gehen weiter. Wie auch der derzeit stärkste Oppositionelle Akol kommentiert, sind der Norden und der Süden weiterhin »sehr rückständig«. Die Neuankömmlinge aus Israel werden sich an diese Gegebenheiten anpassen müssen. Für viele der zurückkehrenden Flüchtlinge wird sich eine andere Art der Diskriminierung im Südsudan fortsetzen. Einige, die bereits freiwillig zurückkamen, wurden von Südsudanesen, die während der Kriegszeit im Südsudan verharrten, angegriffen, oder ihnen wird bei gleicher oder besserer Qualifizierung keine Arbeit gegeben.

 

Der Vorwurf lautet, nicht am Krieg teilgenommen zu haben und nun unverdient die Früchte der Unabhängigkeit auskosten zu wollen. Mit dieser Begründung wird ihnen dazu noch oft das Recht auf eine Wohnung genommen. »Eine sehr wichtige Herausforderung, der man hier begegnet ist, eine Unterkunft zu finden. Das wird aber eines Tages gelöst werden«, so Anglo Welo, Koordinator des Flüchtlingslagers in Juba. Sowohl die politische als auch die wirtschaftliche Lage lassen derzeit noch nicht darauf schließen. Jedoch werden Rückkehrer aus Israel besser behandelt, als jene aus dem Norden des Sudans. Man wird zumindest nicht als Spion Omar al-Baschirs betrachtet.

 

»Sie bringen Ideen, Investitionen und Sprachen mit sich. Sie sind eine Bereicherung«

 

Eine weitere Herausforderung wird die soziale Reintegration sein. »Dass jemand in Israel versagt hat und mittellos zurück in die Heimat kommt, gilt als Katastrophe«, sagte Altayeb Mustafa, der aus Israel in den Sudan zurückkommt. Dem scheint die israelische Regierung mit Zahlungen von 800 Euro (plus 300 Euro pro Kind) an Rückkehrer zumindest ansatzweise entgegenzuwirken. Die psychischen Auswirkungen des mit der Rückkehr verbundenen sozial-wirtschaftlichen Abstieges werden sich bei Rückkehrern erst mit der Zeit ermessen lassen. Trotz alledem gibt es auch ermutigende Zeichen. Die Regierung in Juba nimmt ihre aus Israel abgeschobenen Bürger mit offenen Armen auf.

 

Am Flughafen empfing sie der Minister für humanitäre  Angelegenheiten, Lual Aschwel, mit den Worten: »Sie sind willkommen. Wir haben mit Hilfe der Internationalen Organisation für Migration und dem UN-Flüchtlingshilfswerk zwei Wartestationen eingerichtet. Sie bleiben hier, bis wir einen besseren Ort gefunden haben. Außerdem bereitet die Regierung spezielle Projekte für sie vor.«

 

Wie viele dem Integrationsprogramme folgen werden, oder wie vielen Rückkehrern der finanziell klamme Staat Südsudan zumindest adäquate Unterkünfte bieten kann, bleibt abzuwarten. Vizepräsident Deng Alor erklärte jedoch schon vor der Staatsgründung am 9. Juli 2011, dass »diese Rückkehrer für uns sehr hilfreich sein können. Sie bringen Ideen, Investitionen und Sprachen mit sich. Sie sind eine Bereicherung.« Die historisch engen Beziehungen zwischen dem Südsudan und Israel reflektierend, besuchte eine südsudanesische Delegation Israel, um die Reise der ersten 100 Rückkehrer am 17. Juni zu erleichtern.

 

Einer der ersten Auslandsbesuche führte Präsident Salva Kiir im vergangenen Jahr nach Israel. Bei Gesprächen mit israelischen Regierungsmitgliedern wurde bekannt gegeben, dass die neue südsudanesische Botschaft nicht internationaler Praxis folgend in Tel Aviv, sondern in Jerusalem eröffnet werden soll. Der israelische Botschafter in Juba, Dan Shaham, kündigte darüber hinaus an, dass in Juba eine hebräische Sprachschule gegründet werden soll.

 

Rückführungen als Resultat einer fremdenfeindlichen Regierungslinie

 

Innenminister Jischai bezeichnete die Zahl der Abgeschobenen als »einen Tropfen im Ozean«, aber als einen wichtigen Anfang. In einem Anflug von Mitgefühl erklärte Jischai am Flughafen Ben Gurion am 17. Juni, dass er »den Schmerz der zurückkehrenden Familien nicht unterschätzt«. Jedoch würde er die Interessen Israels vertreten, und zähle darauf, dass zwangsläufig auch die Eritreer und Nordsudanesen Israel verlassen würden.

 

Yohannes Bayu, einer der wenigen in Israel anerkannten Flüchtlinge und Vorsitzender des »African Research Development Center« (ARDC) in Tel Aviv, schaut auf bessere Zeiten zurück, als die Regierung unter Ehud Olmert 2007 noch hunderten Flüchtlingen aus dem Darfur die israelische Staatsbürgerschaft verlieh. Er macht die Regierung Netanjahu dafür verantwortlich »Hass zu propagieren« und sieht fremdenfeindliche Attacken auf der Straße als »Resultat der Regierungslinie, dass Flüchtlinge ein Last für die israelische Gesellschaft seien«.

 

Es bleibt abzuwarten, ob die Deportationsmaßnahmen Israels die Wirkung unter potenziellen Flüchtlingen im Nordsudan auslöst, den oft lebensgefährlichen Weg via Ägypten und Sinai nicht mehr anzutreten. Sollte Israel trotz Unterschrift der UN-Flüchtlingskonvention, die das Prinzip der Abschiebung in Länder, in denen Rückkehrer von Verfolgung bedroht sind, verbietet, auch beginnt Nordsudanesen auszuweisen, könnte dies einen dramatischen Einfluss auf die Kosten-Nutzen-Analyse der politisch, ethnisch oder religiös Verfolgten im Sudan haben. Im Nordsudan, in dessen Reisepässen noch immer ausdrücklich vermerkt ist, »Gültig für alle Länder, bis auf Israel«, werden Rückkehrer auf absehbare Zeit nicht von Ministern al-Baschirs, sondern von seinen Geheimdiensten am Flughafen mit einem herzlichen Willkommen geheißen.

Von: 
Omer Younis und Amir Heinitz

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