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Ali Akbar Hashemi Rafsandschani

Der Mullah-Machiavelli

Portrait

Iran wählt in wenigen Wochen einen neuen Präsidenten. Im letzten Moment hat Ali Akbar Hashemi Rafsandschani Witterung aufgenommen und seinen Turban in den Ring geworfen. Ein Schritt, der von Rachegelüsten getrieben ist und wenig Erfolg verspricht.

Die Kriterien, die der Nachfolger von Mahmud Ahmadinejad im Amt des iranischen Präsidenten zu erfüllen hat, sind recht vage. Das Parlament und der Wächterrat der Islamischen Republik verlangen von denjenigen, die sich bis zum 11. Mai als Kandidat registriert haben lassen, dass sie fromm, vertrauenswürdig und iranische Staatsbürger sind, über Führungs- und Managementfähigkeiten ebenso verfügen wie über einen guten Leumund. Solche Attribute glaubt auch Ali Akbar Hashemi Rafsandschani zu haben, der Kleriker, Milliardär, Politiker und Intimfeind des obersten geistlichen Führers, Ali Khamenei, zugleich ist.

 

Im letztmöglichen Moment hat der gewiefte Taktiker seinen Turban in den Ring geworfen und hofft nun vom entscheidenden Wächterrat zum Rennen um das Präsidentenamt zugelassen zu werden. Einzig: Er ist nicht alleine, Neider, Feinde und Gegner hat er genauso viele wie Anhänger. Eine Gefahr auf dem Weg zum Präsidentenamt stellt etwa Esfandiar Rahim-Mashaei dar. Der hat zwar beim Establishment als Ahmadinejad-Getreuer offiziell schlechte Karten.

 

Doch da er Rafsandschani wertvolle Stimmen kosten könnte, glauben Beobachter, der Wächterrat könnte der früheren Vizepräsidenten und Schwiegervater des Sohnes des amtierenden Präsidenten im Zuge des Kandidaten-Auswahlprozess zulassen. Sollte er nicht antreten dürfen, würde er nach jetzigem Stand durch den zweiten Ahmadinejad-Intimus ersetzt werden – Ali Nikzad, gegenwärtig Minister für Straßenbau und Stadtentwicklung.

 

Staatlich kontrolliertes Kandidatenkarussell

 

Ebenfalls wenig Aussicht auf Erfolg dürften Hassan Rohani, ein Kandidat der Reformer, Mohsen Rezaei, der Generalsekretär des Schlichtungsrates, und Ali Fallahian, ein Mitglied des Expertenrates, haben; die beiden letzteren werden mit Interpol-Haftbefehl gesucht. Weitere Kandidaten, die beim staatlichen kontrollierten Kandidatenkarussell einen Platz ergattern wollen sind: Mohammad-Bagher Ghalibaf, der konservative Oberbürgermeister von Teheran, Ali Akbar Velayati, der Ali Khamenei in Fragen der Außenpolitik berät und der ehemalige Parlamentspräsident Gholam Haddad-Adel sowie der ehemalige Außenminister Manutschehr Mottaki.

 

Die besten Aussichten auf Erfolg hat indes der gegenwärtige Atom-Chefunterhändler Said Jalili, der zudem dem Nationalen Sicherheitsrat vorsitzt. Der 47-Jährige hat allem Anschein nach die Loyalität Khameneis, was angesichts der gnadenlosen Grabenkämpfe ein hohes Gut darstellt. Die hat Rafsandschani spätestens seit der niedergeknüppelten »Grünen Revolution« nicht mehr. Aber auch die Opposition hat ihn seinerzeit nur notgedrungen zu ihrem Herzblatt ernannt.

 

Der clevere Drahtzieher hat sich in jenen Tagen verkalkuliert, als er erst offen für den Oppositionskandidaten Mir-Hossein Mussawi warb und kurze Zeit später die Regimegegner öffentlich dazu aufforderte, selbigem zu gehorchen. Im März 2011 zog er sich vom Vorsitz des Expertenrats zurück. Dann schwieg das politische Alpha-Tier lange Zeit. Nun ist er mit Pauken und Trompeten wieder zurück und strebt nach der Macht im Land. Wie schon so oft in seinem Leben.

 

Vom Pistazien-Magnaten zum politischen Alpha-Tier

 

Der 1934 geborene Rafsandschani, in dem westliche Beobachter ein persisches Pendant zu Kardinal Richelieu zu erkennen glauben, begann als Sohn einer Patrizierfamilie – die ihren Reichtum mit dem Pistazien-Handel begründet hat – seine religiöse Ausbildung im Alter von 14 Jahren in der Gelehrten-Hochburg Qom und avancierte zum Schüler des Ajatollah Ruhollah Khomeini. Heute, ein halbes Jahrhundert, eine Revolution und einen überlebten Mordanschlag später, ist er ein unter Klerikern einflussreicher Hodschat-ol-Islam und einer der reichsten Männer des Landes, dem das Magazin Forbes einst attestiert hat, er halte »mehr oder weniger die Islamische Republik am Laufen«.

 

Seine Kinder führen die merkantile Dynastie fort, er selbst war zwei Amtszeiten, von 1989 bis 1997, Präsident, dazu Vorsitzender des einflussreichen Expertenrates und ist gegenwärtig Vorsitzender des Schlichtungsrates, der zwischen Parlament und Wächterrat vermittelt.

 

Rafsandschani und Khamenei – in Feindschaft verbunden

 

Was treibt Rafsandschani nun an, sich noch einmal um das Amt des Staatspräsidenten zu bewerben? Der 78-Jährige hat eine Rechnung zu begleichen – mit Ayatollah Ali Khamenei, dem geistlichen Führer des Landes. Die Rivalität der beiden reicht bis in die Khomeini-Zeit zurück und wurde 2005 noch weiter verschärft. Damals hatte sich Rafsandschani erneut um das Präsidentenamt bemüht – und Khamenei einen Gegenkandidaten aus dem Ärmel gezaubert, der das Rennen für sich entschied: Mahmud Ahmadinejad. Diese indirekte Ohrfeige hat er nie verwunden. Der in der Bevölkerung nicht sonderlich beliebte und als korrupt geltende Rafsandschani zieht nun also zur letzten großen Schlacht der Greise aus. Unterstützung erhält er dabei von einem weiteren Ex-Präsidenten – Mohammed Khatami. Der 69-Jährige galt lange als Favorit der Reformer im Iran, hat schlussendlich auf eine erneute Kandidatur verzichtet und stattdessen an seine Anhänger appelliert, Rafsandschani zu unterstützen. Doch ob er ernsthafte Chancen auf einen Sieg hat, ist äußerst ungewiss.

 

Auf den Punkt gebracht: Im undurchsichtigen Machtkampf um das Präsidentenamt vor und hinter den iranischen Kulissen ist heute noch kein endgültiger Favorit zu erkennen, wenngleich etwa die staatliche TV-Anstalt IRIB jüngst eine Umfrage verkündet hat, der zufolge die Mehrheit der Befragten Rafsandschani im Präsidentenamt sehen will. Sollten er, Mashaei und Jalili vom Wächterrat zugelassen werden, dann droht ein Dreikampf. Ob der nach demokratischen Regeln ablaufen würde, sei dahingestellt. Im Zweifel wird sich Khamenei in seiner Rolle als geistlicher Führer der Islamischen Republik auf die Seite Jalilis schlagen.

 

In einem solchen Szenario würde Rafsandschani in seiner Rolle als Khamenei-Antipode – und damit nolens volens als Repräsentant der Opposition – vor einer schier unlösbaren Aufgabe stehen. Der avisierte Schachzug des Mullah-Machiavellis, dem geistigen Führer der Islamischen Republik in die Suppe spucken und damit alte Rechnungen begleichen zu wollen, wäre demnach der Todesstoß für all jene, die sich einen Wandel im Iran erhoffen – Aberratio Ictus.

Von: 
Dominik Peters

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