Feldherr und Politiker, Schürzen- und Antiquitätenjäger: Mosche Dajan war ein Tausendsassa. Mordechai Bar-On hat nun die bisher detailreichste und mit Bonmots gespickte Biographie über Israels kontroversen Kriegshelden geschrieben.
»Er wachte jeden Morgen mit hundert Ideen auf, 95 von ihnen waren gefährlich, drei weitere waren schlecht, die letzten beiden jedoch waren brillant.« So beschrieb Ariel Scharon einst Mosche Dajan – jenen Mann, der für die einen die israelische Version Karl Martells war, für Levi Eschkol eine »Schlange« und für andere ein egomanischer Schürzen- und Antiquitätenjäger. Bis heute üben Dajans Siege auf den Schlachtfeldern des Nahen Ostens und dessen widersprüchliche Persönlichkeit eine Faszination auf seine Landsleute aus.
Mordechai Bar-On, der ihm einst als Bürochef diente, hat nun eine Biographie geschrieben, in der er den Fokus auf den Menschen hinter dem Mythos legt und dessen militärische Meriten weitgehend außen vor lässt; dieses Feld hat schließlich schon der Militärhistoriker Martin van Crefeld bestellt. Herausgekommen ist ein sehr persönliches Buch, gespickt mit Bonmots und Anekdoten, die bisher nicht bekannt gewesen sind.
Dajan tauscht mit 14 Jahren die Schiefertafel gegen Pferd und Flinte ein
So verlor Dajan, der 1915 als Erstgeborener zweier ukrainischer Einwanderer im Kibbutz Deganja am See Genezareth geboren wurde, bereits beinahe im Kindesalter sein Augenlicht durch ein Trachom. Was im Jerusalemer Krankenhaus gerettet werden konnte, wurde während eines Kommandoeinsatzes am Litani-Fluss gegen Truppen des französischen Vichy-Regimes Philippe Pétains im Libanon 1941 indes zerschossen. Fortan bedeckte Dajan sein linkes Auge mit einer schwarzen Augenklappe – und zog selbige auf manch offizieller Veranstaltung gerne ab, um sich über das Entsetzen der schockierten Damen der Runde und seinen rustikalen Humor zu amüsieren.
Der verhinderte Farmer wuchs in Nahalal auf, ging zwischenzeitlich in Nazareth zur Schule, tauschte aber bereits mit 14 Jahren die Schiefertafel gegen Pferd und Flinte ein. Dem Dienst bei der Hagana in der seinerzeit sumpfigen Moskitolandschaft Nordisraels folgte ein Gefängnisaufenthalt in Akko, der Einsatz bei den »Nachtkommandoeinheiten« Charles Winegates, des christlich-zionistischen Offiziers im Dienste des British Empire – und die Hochzeit mit seiner ersten Frau Ruth. Sie versuchte ihm Englisch beizubringen und die Schwiegereltern dem ungehobelten Haudegen Manieren: als Hochzeitsgeschenk gab es eine Reise nach England. Doch auf Betreiben Chaim Weizmanns, der erster Präsident Israels werden sollte, paukte Dajan nicht Etikette, sondern immatrikulierte sich an der Londoner School of Economics, wo er selbst im Winter an der Themse seine Sandalen aus Palästina trug.
Kometenhafter Aufstieg unter der schützenden Hand des »Alten«
Die Stärke an Mordechai Bar-Ons Buch liegt jedoch nicht nur in den biographischen Details. Vielmehr schafft er es, eben diese in ihren historisch-politischen Kontext einzuordnen. Und der Name Dajan wäre nicht zum Mythos avanciert, hätte er nicht die Unterstützung David Ben-Gurions gehabt. Unter dem »Alten« wurde er binnen fünf Jahren vom Major zum Generalleutnant, war Kommandeur Jerusalems ebenso wie der Abschnitte Süd und Nord, verhandelte mal inkognito mit König Hussein von Jordanien in dessen Winterpalast in Shuneh über den Grenzverlauf, mal offiziell auf Rhodos nach dem Unabhängigkeitskrieg 1948 über Frieden.
Was folgte, ist bekannt: Mosche Dajan wurde Generalstabschef, Verteidigungs- und Landwirtschaftsminister sowie Mitglied der damals hegemonialen Mapai-Partei. Unter den sozialistischen Bürokraten war er indes nicht beliebt – zu arrogant, zu forsch, das war ihre Meinung. Einer notierte sarkastisch in sein Tagebuch: »Nicht jeder Mose, der vom Sinai kommt, bringt die zehn Gebote mit.« Die hatte er 1956 nach der sogenannten »Operation Musketier«, besser bekannt als »Suez-Krieg« wirklich nicht mitgebracht, stattdessen ließ er von seinen Soldaten noch kurz vor dem Rückzug die Stehlen eines Schreins, der ägyptischen Göttin Hathor gewidmet war, abbauen und ins Israel-Museum transportieren.
Der Hobbyarchäologe nahm für sich selbst noch einige kleinere Ausgrabungsgegenstände mit und die Mönche des St. Katharinen-Klosters schenkten ihm zum Abschied eine kleine Kanone, die der General in seinen heimischen Garten stellte.
»Heißer Sand« – ein Enthüllungsbericht über das Sexleben des Generals
Unabhängig vom Kriegsdebakel und der immer lauter werdenden Kritik aus der Partei, hielt Ben-Gurion an Dajan fest. Auch als er, der drei Kinder in die Welt setzen sollte, eine Affäre mit der Frau eines untergebenen Offiziers anfing und sich der gehörnte Ehemann bei Ben-Gurion höchstpersönlich beschwerte. Der erwiderte, indem er Dajan mit König David gleichsetzte, der als großer König gefeiert wurde, obwohl er Batsheva geschwängert hatte, die Frau des Hethiter-Königs Uria; nachdem die Liaison von Dajan beendet worden war, brachte die Geliebte indes noch 1963 ein Buch auf den israelischen Markt, in dem sie über das Erlebte berichtete – der Titel: »Heißer Sand«.
Weder das Buch noch die Neider aus dem Parteiapparat konnten indes die Popularität des einäugigen Generals schmälern, der auch das Fallschirmspringen in die israelische Armee eingeführt hat; natürlich war er der erste, der den Lehrgang erfolgreich absolvierte. Doch das Bild des Draufgängers bekam infolge des Sechs-Tage-Krieges 1967 Risse.
Der gefeierte Kriegsheld von 1967 war in Wirklichkeit nicht mehr als eine Schaufensterpuppe
Zwar ließen die historischen und weltbekannten Fotos von ihm – der erst kurz vor Ausbruch des Krieges von Levi Eschkol als Verteidigungsminister eingesetzt worden war – die Öffentlichkeit glauben, dass die gewaltigen Gebietsgewinne sein Verdienst gewesen waren, doch die Eroberung des Gaza-Streifens, der Golanhöhen, des Westjordanlandes und der Sinai-Halbinsel sowie Jerusalems waren das Werk von Jitzchak Rabin und weiteren Offizieren wie etwa Uzi Narkiss. Dajan war primär die Schaufensterpuppe der israelischen Armee, der der Welt und der eigenen Bevölkerung als bekanntes und markantes Gesicht präsentiert wurde und Stärke symbolisieren sollte.
In die Planung und Durchführung sämtlicher Vorstöße und Kommandoaktionen war er kaum eingebunden. Die volle Verantwortung musste Dajan indes für das Debakel des Jom-Kippur-Krieges 1973 übernehmen. Er und die seinerzeit amtierende Ministerpräsidenten Golda Meir mussten abdanken, zu groß war der Frust und der Schock über die Beinahe-Niederlage, die Israel nachhaltig verändern sollte. Die Schmach hat Dajan, der im selben Jahr seine zweite Frau Rachel heiratete, nie überwunden – dennoch widmete er sich fortan den Friedensverhandlungen von Camp David, die im Friedensvertrag mit dem Ägypten Anwar al-Sadats mündeten.
Der arabische Herrscher wurde am 6. Oktober 1981 ermordet – zehn Tage später starb Mosche Dajan, abgemagert und halb blind. Mordechai Bar-On hat ihm mit seinem Buch ein kritisches Denkmal gesetzt. Und der Verlag das unter haptischen Gesichtspunkten schönste Buch seit langem publiziert.
Moshe Dayan: Israel's Controversial Hero
Mordechai Bar-On
Yale University Press, 2012
247 Seiten, 19,99 Euro