Einst verantwortete er den schmachvollen Rückzug der Fatah, heute steht der Strippenzieher Muhammad Dahlan vor der Rückkehr nach Gaza. Sein neuer Lifestyle könnte dabei zum Problem werden.
Im April 2024 hatte der damalige israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant angekündigt, dass Muhammad Dahlan die Kontaktperson für die Entgegennahme von Hilfsgütern in Gaza werden solle. Im Juli drangen dann erste Inhalte diverser Gespräche zwischen Israel, der Hamas und der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) an die Öffentlichkeit: Dahlan sollte demnach künftig als neuer Sicherheitschef in Gaza fungieren. Als Teil einer Übergangsregierung würde der 63-Jährige dann eine 2.500 Mann starke Truppe führen, die mit den USA und Israel zusammenarbeiten soll.
Muhammad Dahlan wäre kein Quereinsteiger, sondern ein Rückkehrer. In den 1990er-Jahren sprach man von Dahlanistan, wenn von Gaza die Rede war. Der 1961 geborene Politiker wuchs Seite an Seite mit Yahya Sinwar und Muhammad Deif in Khan Yunis auf. Während die beiden in den 1980er-Jahren zur Hamas stießen, verfolgte der junge Abu Fadi, wie Dahlan auch genannt wird, seine politischen Ambitionen bei der Shabiba, der Jugendorganisation der Fatah.
Nach fünf Haftstrafen in Israel beherrschte er Hebräisch und erregte so die Aufmerksamkeit von Jassir Arafat. 1987 schoben ihn die israelischen Behörden nach Jordanien ab. Dort schloss er sich bald dem Palästinenserführer und seiner PLO an, die damals noch von Tunis aus operierten. Später sollte er bei den Oslo-Verhandlungen den Titel »Leiter des Gaza-Komitees« tragen.
40 Prozent der am Grenzübergang Karni eingenommenen Gebühren sollen auf Dahlans persönliches Bankkonto umgeleitet worden sein
Nach seiner Rückkehr nach Palästina wurde Dahlan 1994 zum Sicherheitschef des Gazastreifens der neu gegründeten Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) ernannt. Mit 200.000 Mann sollte er eine Destabilisierung der Fatah verhindern. Immer wieder wurden seiner Truppe schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Willkürliche Verhaftungen, Folter und Mord – vor allem an Hamas-Anhängern. »Die USA haben Dahlan nach Oslo mit offenen Armen empfangen«, erinnert sich Ehud Yaari im Gespräch mit zenith. Der Journalist war in den 1990er-Jahren Analyst am Washington Institute for Near East Policy und beschreibt die damalige Sicht der Amerikaner auf Arafats Mann fürs Grobe in Gaza: »Er war ihr Liebling.«
Im Jahr 1997, als sich Dahlan zum ersten Mal mit Korruptionsvorwürfen auseinandersetzen musste, wurde das Ende von Dahlanistan eingeläutet. 40 Prozent der am Grenzübergang Karni eingenommenen Gebühren sollen auf Dahlans persönliches Bankkonto umgeleitet worden sein. Und während Dahlan während der Camp-David-II-Verhandlungen noch hinter Arafat stand, verschlechterte sich das Verhältnis mit Ausbruch der Zweiten Intifada drastisch, und es dauerte nicht lange, bis Dahlan an der Seite von Mahmud Abbas gegen Arafat auf die Straße ging. Nicht wenige Palästinenser sahen in dieser gemäßigten Politik auch ein Signal an den Westen.
Im Jahr 2003 ernannte ihn Abbas zum Staatsminister für Sicherheitsfragen, und als dieser Arafat nach dessen Tod als Präsident ablöste, begleitete Dahlan ihn als Minister für zivile Angelegenheiten – als Koordinator mit Israel. Zwei Jahre später wurde er als Vertreter von Khan Yunis in den Palästinensischen Legislativrat gewählt. Doch die Parlamentswahlen im selben Jahr sollten Dahlans Karriere einen herben Dämpfer versetzen. Nach dem Wahlsieg der Hamas brachen in Gaza Unruhen aus. Dahlan, der zuvor noch von Abbas zum Chef des Nationalen Sicherheitsrates ernannt worden war und auf die Unterstützung der Bush Administration und Israels zählen konnte, befand sich aber im Ausland – offenbar für eine Rückenoperation.
Dahlans Abwesenheit während der Kämpfe, die nach nur wenigen Tagen mit der totalen Niederlage der Fatah in Gaza und der Spaltung der Palästinensischen Gebiete endeten, hängt ihm bis heute nach. Und obwohl dem inzwischen nach Ramallah geflohenen Dahlan mehrere Anklagen wegen Korruption drohten, war es schließlich vor allem das Gerücht, Dahlan habe Jassir Arafat ermordet, das die Fatah-Führung 2011 als Grund für seinen Parteiausschluss anführte.
Dahlan half den Herrschern von Abu Dhabi, ihr Beziehungsnetz unter anderem in Ost- und Südosteuropa auszubauen. Im Jahr 2010 erhielt Dahlan zum Dank die montenegrinische Staatsbürgerschaft
Heute lebt Dahlan in Abu Dhabi und steht unter dem Schutz von Muhammad Bin Zayed Al Nahyan (MBZ). »Er ist sozusagen der siebte der Bani-Fatima-Brüder«, glaubt Ehud Yaari und meint damit die sechs Kinder der ehemaligen First Lady der Emirate, Fatima Bint Mubarak Al-Kitbi, die heute die wichtigsten Positionen im Golfstaat innehaben. Dahlan half der Familie Al Nahyan, den Herrschern von Abu Dhabi, ihr Beziehungsnetz unter anderem in Ost- und Südosteuropa auszubauen. Im Jahr 2010 erhielt Dahlan zum Dank die montenegrinische Staatsbürgerschaft, drei Jahre später wurde der sechsköpfigen Familie Dahlan der serbische Pass angeboten.
Dahlan soll auch in Waffengeschäfte der VAE mit Khalifa Haftars »Libyscher Nationalarmee« verwickelt sein. Seinen guten Draht zum ägyptischen Präsidenten Abdul-Fattah Al-Sisi nutzte Dahlan zuletzt bei der Vermittlung zwischen Äthiopien, Sudan und Ägypten, die ihren Streit um den Renaissance-Damm beilegen konnten. Und 2016 soll er – ganz im Sinne der VAE eine wichtige Rolle beim Putschversuch gegen den türkischen Präsidenten Recep Erdoğan gespielt haben. Daraufhin wurde die Liste der meistgesuchten Terroristen der Türkei um einen weiteren Namen ergänzt – den von Muhammad Dahlan. Nur ein Jahr später soll er schließlich maßgeblich zum Abschluss der Abraham-Abkommen beigetragen haben.
Mit MBZ verbindet Dahlan eine Männerfreundschaft. Auf nächtlichen Autofahrten durch Abu Dhabi besprechen die beiden angeblich alle wichtigen Themen. Sein emsiges Treiben könnte auch der Versuch sein, den Boden für seine Rückkehr als künftiger Sicherheitschef nach Gaza zu bereiten. Vom Golf aus unterhielt Dahlan stets Verbindungen in die Palästinensischen Gebiete.
Anhänger des von ihm gegründeten »Demokratischen Reformblocks« innerhalb der Fatah erhielten über die von seiner Frau Jalila geleitete NGO regelmäßig Hilfsgüter. Während des Krieges soll Dahlan einflussreiche palästinensische Familien in Kairo überzeugt haben, Geld in den Küstenstreifen zu schicken. Er habe sogar seine guten Beziehungen zu den Machthabern in Abu Dhabi spielen lassen, sodass die Zelte der VAE in den neuen Flüchtlingslagern Rafah und Al-Mawasi von Mitgliedern des »Demokratischen Reformblocks« bewacht wurden – nicht zuletzt, um die Menschen vor Ort daran zu erinnern, wem sie die Hilfslieferungen verdanken.
Da die Chancen auf eine Freilassung des populären Fatah-Politikers Marwan Barghuthi nach wie vor gering sind, bietet sich Dahlan als realistische Alternative sowohl zur Hamas als auch zur alten Fatah-Führung an
Zu den Plänen, ihn zum neuen Sicherheitschef zu machen, äußert sich Dahlan öffentlich zurückhaltend. »Ich habe mich wiederholt geweigert, irgendeine Sicherheits-, Regierungs- oder Exekutivfunktion zu übernehmen«, wiegelte er noch im März in den sozialen Medien ab. Angesichts seiner Akzeptanz sowohl bei israelischen und US-amerikanischen Vertretern als auch bei verschiedenen arabischen Führern ist sein Dementi jedoch mit Vorsicht zu genießen. Selbst die Hamas äußerte sich in Gesprächen zuletzt positiv über Dahlan.
Das Zünglein an der Waage scheint also die PA zu sein. Denn obwohl Abbas auf Druck Saudi Arabiens, Jordaniens und Ägyptens im März angekündigt hatte, ausgeschlossene Fatah-Anhänger zu begnadigen, kann eine solche Amnestieregelung nach Ansicht führender Fatah Funktionäre nicht für Dahlan gelten. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, wie diese Pläne von der palästinensischen Bevölkerung aufgenommen werden. Dahlan stand während seiner politischen Karriere in engem Kontakt mit dem israelischen Inlandsgeheimdienst Shin Bet und der CIA – viele halten ihn deshalb für einen Kollaborateur. Auch die zahlreichen Korruptionsvorwürfe während seiner letzten Regierungszeit in Gaza sind vielen noch in Erinnerung.
Dennoch trägt Muhammad Dahlan bereits Verantwortung für den Geldtransfer nach Gaza. Seine politische Basis, die er bis heute in Gaza hat, gibt ihm eine gewisse Legitimität vor Ort. Nicht zuletzt ist Dahlan in Gaza geboren und aufgewachsen, auch das zählt für manche. Und da die Chancen auf eine Freilassung des populären Fatah-Politikers Marwan Barghuthi nach wie vor gering sind, bietet sich Dahlan als realistische Alternative sowohl zur Hamas als auch zur alten Fatah-Führung an.
Und selbst Palästinenser, die der manipulativen Politik Dahlans überdrüssig sind, könnte sein gutes Verhältnis zu Arafats Neffen überzeugen: Nasser Al-Kidwa hat im vergangenen Jahr gemeinsam mit Israels Ex-Premier Ehud Olmert einen Friedensplan vorgelegt und ist eine weit weniger umstrittene Persönlichkeit als die übrigen Fatah- und Hamas-Kader. Dass sich Muhammad Dahlan dennoch in der Öffentlichkeit zurückhält, macht Sinn. Gaza liegt in Trümmern. Den Lebensstil, den sich Dahlan in Abu Dhabi angeeignet hat, könnte er dort nicht weiterführen. Und so hat der Politiker seinen eigenen Plan geschmiedet: Die Führung von 2.500 Sicherheitskräften in Gaza – aus dem Homeoffice am Golf heraus.