Die Birzeit-Universität liegt mitten im Krisengebiet. Der Widerstand gegen die israelische Besatzung des Westjordanlands prägt den Alltag der Studierenden – ebenso wie nun der Protest gegen hohe Studiengebühren.
Eine gelbe Schlange aus Sammeltaxis windet sich den Berg hoch, auf dem die Birzeit University liegt. Die sandsteinfarbenen Gebäude heben sich nur unwesentlich von der kargen, trockenen Landschaft rund um Ramallah ab. Von den Olivenbäumen, die der Universität ihren Namen geben, ist auf dem Weg nichts zu sehen. Am Eingang des Campus angekommen, springen aus den rollenden Kleinbussen jeweils 7 Studierende, es geht schnell. Es ist der zweite Tag des neuen Semesters an der bekanntesten Hochschule der Palästinensischen Gebiete.
Vor dem Tor hat sich bereits eine große Menschenmenge versammelt. Der Campus ist verschlossen, noch ist nicht zu erkennen, woran es liegt. Rauch steigt auf, einige Studenten verbrennen Autoreifen. Untergehakt stehen mehrere Ketten ausschließlich männlicher Studenten in der Toreinfahrt und verwehren ihren Kommilitonen den Zugang zum Gelände. Sie sehen entschlossen aus, viele von ihnen tragen Kufiya, den palästinensischen Schal. »Wir streiken«, werden die etwas verwirrten Austauschstudenten aufgeklärt.
Ausnahmsweise geht es nicht um die israelische Besatzung der Palästinensischen Gebiete, die häufig zu politischen Konflikten in und um die Universität führt: Bestreikt werden die hohen Studiengebühren. Viele Studierende sind nicht in der Lage, ihre Kurse zu Beginn des Semesters vollständig zu bezahlen, bar und in Dollar, wie es üblich ist. Die traditionell starke Studierendenvertretung will gegenüber der Hochschulleitung durchsetzen, dass die Studierenden die Gebühren in Raten begleichen können. Eine Einigung ist in Sicht.
»Studenten und Dozenten trafen sich in Privatwohnungen in Ramallah, um ihre Kurse fortzusetzen«
Politische Auseinandersetzung spielt an der Birzeit University eine große Rolle. Schon beim Campusrundgang in der Einführungswoche werden Erstsemester darauf hingewiesen, welches Institut traditionell von der Hamas, welches von der linken Partei PFLP dominiert wird. Regelmäßig fallen an der gesamten Universität alle Veranstaltungen aus, um den Studierenden die Möglichkeit zu geben, an Demonstrationen und Kundgebungen teilzunehmen. Im laufenden Semester etwa anlässlich des UN-Antrags auf einen palästinensischen Staat und zur Unterstützung eines Hungerstreiks palästinensischer Gefangener in Israel.
Auch die Geschichte der Birzeit University ist eng verwoben mit dem Nahostkonflikt. Professor Sa'ad Nimr, der in Birzeit lehrt und palästinensischen und internationalen Studierenden die Geschichte des Nahostkonflikts nahe bringt, kann sich lebhaft an die Zeit der ersten Intifada erinnern, als israelische Panzer den Campus abriegelten. »Studenten und Dozenten trafen sich in Privatwohnungen in Ramallah, um ihre Kurse fortzusetzen.« In seinen Vorlesungen wird es oft laut, mit der bedächtigen Ausstrahlung vieler deutscher Professoren hat er wenig gemein. Nimr selbst blickt auf eine bewegte Vergangenheit im Widerstand gegen die israelische Besatzung zurück, wie fast ein Fünftel aller Palästinenser seiner Generation hat er Gefängniserfahrung. Nach einem Studium in England kehrte er nach Palästina zurück, um an der ältesten Hochschule der Palästinensischen Gebiete zu unterrichten.
Gegründet als Grundschule für Frauen in den 1920er Jahren und bis zum Sechs-Tage-Krieg 1967 zur weiterführenden Schule ausgebaut, wird Birzeit erst zu Beginn der 1970er Jahre zur Universität. Doch für Forschung und Lehre fehlt häufig die Ruhe. Zwischen 1979 und 1992 bleibt Birzeit über die Hälfte der Zeit geschlossen, allein 51 Monate während der ersten Intifada. Heute sind etwa 9.000 Studierende in Birzeit immatrikuliert, davon sind über 60 Prozent weiblich. Nur wenige Meter von dort, wo einige von ihnen mit einem Kaffeebecher in der Hand sitzen und Pläne für das kommende Wochenende schmieden, steht ein mit Blumen geschmückter Gedenkstein für den 1997 verstorbenen Khalil Salah. Er ist einer von 24 Studenten aus Birzeit, die bei Demonstrationen ums Leben kamen.
Nach der Zweiten Intifada kamen wieder mehr internationale Studierende nach Birzeit
»Es ist ein beständiges Auf und Ab«, sagt Helga Baumgarten, wenn sie über die Geschichte der Universität Birzeit spricht, und klingt dabei etwas müde. Seit 1987 lehrt die Stuttgarter Politikwissenschaftlerin in Palästina, leitet das Departement für Demokratie und Menschenrechte und ist gleichzeitig Vertreterin des Deutschen Akademischen Austausch Dienstes (DAAD), der bereits über 600 Stipendien an palästinensische Studierende vergeben hat. Baumgarten hat die erste und zweite Intifada miterlebt, die Euphorie nach den Friedensverträgen von Oslo und die anschließende Ernüchterung. »Als Israel während der zweiten Intifada mit dem Mauerbau begonnen und die Checkpoints ausgebaut hat, ist alles schlimmer geworden.« Heute braucht sie von der Universität zu ihrer Wohnung in Ostjerusalem häufig mehr als zwei Stunden.
UN-OCHA, das Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten in den Vereinten Nationen, zählt über 500 Checkpoints und Straßensperren im Westjordanland, die den Bewegungsradius der Palästinenser einschränken und die tägliche Fahrt zur Hochschule erschweren. Das verändert auch den Charakter der Universität: »Früher hatten wir sogar viele Studenten aus Gaza, die Birzeit hatte einfach den besten Ruf«, erinnert sich Baumgarten. Heute kämen Studierende fast ausschließlich aus den naheliegenden Städten Ramallah und Jerusalem.
Trotz aller Widrigkeiten ist die Atmosphäre auf dem Campus entspannt: In der Mensa mischen sich die Geschlechter so unproblematisch wie an nur wenigen öffentlichen Orten in Palästina. Frauen mit und ohne Kopftuch, säkulare und religiöse Palästinenser. Häufig ist nicht Arabisch, sondern Englisch die Sprache auf dem Unigelände: Viele der über die Welt verstreuten Palästinenser schicken ihre Kinder für ein Jahr zum Studieren in die Heimat. Nach den Unruhen der zweiten Intifada kommen zusätzlich wieder mehr internationale Studierende und studieren Arabisch und den Nahostkonflikt. Skandinavier und Amerikaner, aber auch deutsche Studierende laufen über den Campus.