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Brettspiel »Persian Incursion«

Schwere Kost für Pappgeneräle

Feature

»Persian Incursion« versucht, die militärischen und diplomatischen Hürden eines israelischen Luftschlages gegen das iranische Atomprogramm zu ergründen. Echtes Spielvergnügen kommt dabei nicht auf.

Militärisches Säbelrasseln und das Rauschen im Blätterwald – obwohl vielfach Wahlkampfgeplänkel – erwecken häufig den Anschein, ein israelischer Luftschlag gegen das iranische Atom-programm sei unausweichlich. Welche militärischen Voraussetzungen – ganz abgesehen von den wahrscheinlichen Opferzahlen und diplomatischen Konsequenzen – ein erfolgreicher Luftschlag indessen hat, spielt in der Diskussion deutlich seltener eine Rolle.

 

Einen besonderen Debattenbeitrag hierzu lieferte die amerikanische Brettspielschmiede »Clash of Arms Games« bereits Ende 2010 ab. »Persian Incursion« – eine abendfüllende Papierorgie für zwei Personen – bildet die Planung und Durchführung eines israelischen Militärschlags gegen die iranischen Atomanlagen nach. Da selbst der Begriff »Planspiel« eine noch zu große Erwartungshaltung auf Spielspaß generiert, sollte man dieses Werk jedoch eher als Simulation begreifen.

 

Spezifikationen der einzelnen Flugzeug- und Raketentypen spielen darin eine ebenso große Rolle wie die politischen Beziehungen zwischen Israel, Iran und ihren möglichen Verbündeten. Einer der Autoren ist Larry Bond, ungekrönter König der Szene der amerikanischen Boardgamer. Er ist vor allem bekannt als Schöpfer der Marine-Simulation »Harpoon«, die 1980 zuerst als Brettspiel erschien, und 1989 erstmals als Computerspiel.

 

Der Spielplan, das Regelbuch und die Kampfjet-Spielsteine von »Persian Incursion« vor sich ausgebreitet, plant ein Spieler die israelischen Flugbewegungen, während sein Gegenüber die Position von iranischen Luftabwehrgeschützen bestimmt und darauf hofft, seine veraltete, unterfinanzierte Luftwaffe würde doch endlich ab-heben. Einundzwanzig Runden, das Äquivalent einer Woche Echtzeit, haben die Spieler Frist, um den Spielsieg zu erringen – doch zumindest in den ersten Durchläufen werden sie deutlich mehr Zeit damit verbringen, in den engbedruckten Seiten des Regelbuches nachzulesen, was als nächstes zu tun ist. Das eigentliche Spielgeschehen erweist sich als zäh – selbst für erfahrene Analogstrategen.

 

Die Macher zapften Quellen selbst im US-Militär an

 

Argumentierten Politiker in den vergangenen Monaten meist emotionsgeladen, und entwickelten Medien nahezu wahrsagerische Fähigkeiten auf Basis lückenhafter Geheimdienstberichte, schlägt »Persian Incursion« die entgegengesetzte Richtung ein. Die inhaltliche Grundlage zogen die Macher aus dutzenden Publikationen verschiedenster Forschungsinstitute weltweit und zapften – wie sie selbst angeben – Quellen im US-Militär an. Mangelnde Recherche ist den Clash of Arms-Verantwortlichen nur mit Blick auf die Wahrnehmung des Konfliktes in persischsprachigen Medien vorzuwerfen. Diese fehlt weitgehend.

 

Auch ist die Spielwelt, abgesehen von wenigen, online publizierten Aktualisierungen, weitestgehend auf dem Stand von Ende 2010. Während der israelische Spieler nur Erfolge verzeichnen kann, wenn er vorausschauend überlegt, welche der zahlreichen Einzelziele er in Natanz, Arak oder Isfahan zuerst bombardiert, baut der Iran auf Propagandaerfolge.

 

Beide Kontrahenten müssen mit unterschiedlichen Strategien vorgehen. Soll der iranische Staat Geld und diplomatischen Einfluss – im Spiel beides durch Aktionssteine dargestellt – investieren, um technologisch fortgeschrittene Waffensysteme im Ausland einzukaufen, oder sich nicht besser doch in die Opferrolle begeben und versuchen, Israel in einem globalen Medienkrieg zu besiegen? Die Aktionskarten, die beide Seiten nutzen können, um fremde Nationen auf ihre Seite zu ziehen, sind der Teil der Simulation, der am meisten Spielgefühl aufkommen lässt. Man würfelt um Erfolg oder dessen Ausbleiben, man freut sich, wenn der gegnerische Marker für innenpolitische Stabilität einen Punkt weiter gen Niederlage gerückt ist. Die Komplexität der militärischen Planungen erreicht dieses Diplomatiesystem nicht.

 

Man freut sich, wenn die innenpolitische Stabilität des Gegners weiter gen Niederlage rückt

 

Doch letztendlich geht es dem Spiel auch nicht darum, die Erfolgschance eines Luftschlages anhand der Dogfightqualitäten einer iranischen F-5E gegen eine israelische F-16 zu bestimmten – laut beiliegender Tabelle sind diese miserabel. Vielmehr vermittelt es wenige, jedoch umso wichtigere Lehrsätze: Die iranische Luftabwehr hat keine Chance, einen Angriff abzuwehren. Israel ist bei seiner Mission auf die Unterstützung durch Drittstaaten – insbesondere die USA – an-gewiesen und die israelische Luftwaffe würde durch eine solche Operation bis an die Grenzen und teils darüber hinaus belastet.

 

Es ist unmöglich, im gegebenen Zeitrahmen alle Ziele zu zerstören und bereits mit ein wenig Pech, technischem oder menschlichem Versagen könnte Israel an der Heimatfront und in den Augen der Weltgemeinschaft als Verlierer dastehen. Michael Peck, der das Spiel im vergangenen November – quasi rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft – für Foreign Policy und Wired‘s Danger Room getestet hat, kommt vor allem zu dem Schluss: »Eine Luftoffensive zu planen, ist harte Arbeit.« Er bezeugt Respekt vor Planern der US Air Force, nachdem er selbst als israelischer Spieler »Persian Incursion« erlebt hat.

Von: 
Nils Metzger

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