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Das türkisch-iranische Handelsvolumen

Goldrausch im Schwarzen Loch

Analyse

Das türkisch-iranische Handelsvolumen ist nach Inkrafttreten des jüngsten Öl- und SWIFT-Embargos drastisch gewachsen. Die Islamische Republik ist dazu übergegangen, ihr Öl gegen türkisches Gold zu handeln.

Ob die Beamten des Türkischen Institutes für Statistik zunächst an einen Rechenfehler glaubten? 513,2 Prozent Zuwachs des Außenhandelsvolumens mit dem Iran allein zwischen den Monaten April und Mai 2012 haben sie in dieser Woche verkündet. Zwar hatte Entwicklungsminister Cecdet Yilmaz noch im Juni angekündigt, den Handel zwischen beiden Staaten auf 35 Milliarden US-Dollar bis 2015 ausweiten zu wollen – Ende 2011 waren es 16 Milliarden US-Dollar –, nun scheint man aber deutlich übers Ziel hinaus geschossen zu sein und die türkische Regierung muss eine Reihe unangenehmer Fragen beantworten.

 

Aus den Datenerhebungen geht hervor, dass sich gegenwärtig 82 Prozent des in den Iran exportierten Warenwertes aus Goldlieferungen zusammensetzt, die direkt oder indirekt an die iranische Zentralbank fließen. Allein im Mai summieren sich diese Transaktionen auf 1,4 US-Milliarden Dollar. Diese Zahlen sorgen nun in türkischen und internationalen Medien für Aufregung: Hat der Iran etwa einen Weg gefunden, die gerade erst verschärften Sanktionen gegen das heimische Ölprogramm zu umgehen, indem er seine Rohstoffe nicht mehr gegen Dollar, sondern Gold verkauft?

 

Eine Wahl hat Teheran kaum. Über das vergangene Jahr stürzte die Volkswirtschaft in eine essenzielle Krise, die Inflation nahm stetig zu, die inoffiziellen Schätzungen der Arbeitslosenquote gehen von deutlich mehr aus als den offiziellen 14,1 Prozent. Als im März schließlich die USA und Europa Iran vom globalen Finanztransaktionssystem SWIFT ausschlossen, verloren viele Geschäftsleute und Unternehmen eine Möglichkeit, legal Geschäfte betreiben zu können. Das Land wurde zum Schwarzen Loch für die internationale Finanzwelt.

 

Die türkische Wirtschaft ist schlicht auf das iranische Öl angewiesen

 

Bereits in den vergangenen Wochen gab es mehrfach Berichte in türkischen Medien über eine große Zahl iranischer Unternehmer, die im Auftrag der iranischen Zentralbank in Istanbul, Dubai oder Neu-Delhi große Mengen an Golf beschafften. Der Goldhandel mit dem Iran ist im Gegensatz zu anderen Wirtschaftszweigen nicht von Sanktionen betroffen. Gleichzeitig legt sich die iranische Zentralbank so von der Inflation unabhängige Währungsreserven an. Ein doppelter Gewinn.

 

Die türkische Regierung beeilte sich, den Darstellungen, sie würde Iran helfen, die Sanktionen zu umgehen, zu widersprechen. »Alle Transaktionen finden auf Basis geschlossener Verträge statt«, sagte Energieminister Taner Yildiz der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu. Der türkische Ölgigant Botas würde den Iran weiterhin in US-Dollar bezahlen. Zwar gingen die iranischen Ölexporte in die Türkei auf zuletzt 110.000 Barrel am Tag zurück – Anfang 2012 lagen sie noch bei bis zu 280.000 Barrel am Tag – tatsächlich ist die türkische Wirtschaft aber schlicht auf das iranische Öl angewiesen, so lange keine neuen Verträge mit zentralasiatischen Lieferanten abgeschlossen werden.

 

Obwohl die türkische Wirtschaft zu den Top-Performern der MENA-Region zählt, kämpft die Regierung seit Jahren gegen ein anhaltendes Handelsdefizit. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres verzeichneten Volkswirtschaftler ein Minus von 35,6 Milliarden US-Dollar. Damit nahm die Differenz verglichen mit dem Vorjahreszeitraum um 18,9 Prozent ab. Iran war der wichtigste Handelspartner der Türkei, während der Außenhandelsanteil mit den Staaten der Europäischen Union von 46,8 auf 36,2 Prozent fiel.

Von: 
Nils Metzger

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