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Drohnenkrieg im Jemen

Ramstein arbeitet – New Mexico schießt

Kommentar

Die US-Armee nutzt die Basis Ramstein für den Drohnenkrieg im Jemen. Die Bundesregierung relativiert und resigniert, statt auf Aufklärung zu drängen. Schluss mit Schulterzucken und Wegducken, fordert Botschafter a.D. Gerhard Fulda.

15 Menschen verloren Mitte Dezember 2013 bei einem Luftangriff ihr Leben, als eine US-amerikanische Drohne den Konvoi auf dem Weg zu einer Hochzeitsgesellschaft in der jemenitischen Provinz Al-Baidha ins Visier nahm. Raketenbestückte Drohnen sind völkerrechtlich umstritten. Sind es einfach nur ferngesteuerte Waffen, für deren Einsatz das Kriegsvölkerrecht der UN und das humanitäre Kriegsvölkerrecht gelten? Sind »Terroristen« legitime Ziele in einem »Krieg gegen den Terror«? Kann die ganze Welt zum Kriegsschauplatz erklärt werden? Spielt es eine Rolle, ob Menschen den Einsatzbefehl geben oder ob die Zielerfassung durch Algorithmen aus riesigen Datenbeständen gefiltert wird?

 

Näher am klassischen Völkerrecht liegt die Beurteilung einer Situation, in der die USA ihren Luftwaffenstützpunkt in Ramstein in der Bundesrepublik Deutschland dazu benutze, um Bilder laufender Drohneneinsätze zu analysieren, sie mit nachrichtendienstlichen Erkenntnissen abzugleichen und schließlich Steuerungsbefehle an die weltweit operierende Drohnenflotte zu übermitteln. Unterstellen wir also zunächst, dass die entsprechenden Enthüllungen von NDR und WDR sowie in der Süddeutschen Zeitung zutreffend waren.

 

Nach dem einschlägigen NATO-Truppenstatut vom 19. Juni 1951 haben die in Deutschland anwesenden Angehörigen einer ausländischen Truppe nach Artikel II »... die Pflicht, das Recht des Aufnahmestaates zu achten und sich jeder mit dem Geiste dieses Abkommens nicht zu vereinbarenden Tätigkeit, insbesondere jeder politischen Tätigkeit im Aufnahmestaat, zu enthalten.«

 

Ergänzend bestimmt das Zusatzabkommen von 1959 zum Nato-Truppenstatut in seinem Artikel 12 zum Gebrauch von Waffen: »Die Behörden der Truppe erlassen über den Waffengebrauch durch die nach Absatz (1) ermächtigten Personen Bestimmungen, die sich im Rahmen des deutschen Notwehrrechts halten.« Die Rechtslage ist demnach eindeutig: In Ramstein gilt deutsches Recht. Allerdings sind die amerikanischen Soldaten von der deutschen Strafjustiz befreit.

 

Rechtliche Schranken dürfen die rechtliche Prüfung nicht verhindern

 

Und schon die Feststellung der Fakten ist schwierig bis unmöglich. Deutsche Ermittler dürften auf dem Gelände nur mit dem Einverständnis des amerikanischen Kommandeurs tätig werden. Der aber würde nicht einmal milde lächeln, wenn wir Einsicht in einen Computer oder gar die Herausgabe einer  Festplatte verlangten. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat deshalb auf Anfrage des Abgeordneten Omid Nouripur resignierend festgestellt, die Bundesregierung könne höchstens das Truppenstatut kündigen.

 

Trotzdem darf die rechtliche Prüfung damit noch nicht einfach abgebrochen werden. Nachdem ein früherer amerikanischer Drohnenpilot vor deutschen Medien ausgesagt hat, dass »der gesamte Drohnenkrieg des US-Militärs ohne Deutschland nicht möglich wäre«, besteht mehr als nur ein Anfangsverdacht, dass hier systematisch völkerrechtliche Verträge und darüber hinaus die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland verletzt worden sind.

 

Der Wortlaut des amerikanischen »Dementi« ist so vielsagend wie irreführend. Nach Auskunft von Regierungssprecher Seibert hat die amerikanische Regierung erklärt, dass »von Deutschland aus ferngesteuerte Luftfahrzeuge weder geflogen noch befehligt werden«. Das mag so sein – der Mann am Auslöseknopf des Joysticks sitzt bei diesen Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren wohl jeweils in New Mexico.

 

Kein Cyberwar, sondern die klassische Abfolge von Zielbestimmung, Zielerkennung und Feuerbefehl

 

Doch selbst wenn Ramstein nur die Datendrehscheibe vom Satelliten zum Glasfaserkabel wäre, würde hier deutscher Boden zur Durchführung einer militärischen Aktion benutzt, die nach deutscher Rechtsaufassung ein völkerrechtswidriger Angriff im Sinne der Angriffsdefinition der Vereinten Nationen ist. Genau so, wie für Überflüge über deutsches Territorium im Laufe militärischer Konflikt eine Genehmigung der Bundesregierung erforderlich wäre, gilt das auch für den Datenverkehr über oder unter deutschem Boden.

 

In Wirklichkeit geht es aber in Ramstein offenbar um sehr viel mehr als das, was man sich unter dem verharmlosenden Ausdruck einer Datendrehscheibe vorstellen mag. Wenn der frühere amerikanische Drohnenpilot jeden Morgen zu Dienstbeginn erst einmal in Ramstein angerufen hat, um sich mit den jüngsten Bildanalysen und Informationsabgleichen aus verschiedensten Quellen vertraut zu machen, dann hat dort eine (wie starke?) Arbeitsgruppe von Experten essenziell an der militärischen Zielerfassung gearbeitet – wahrscheinlich war der in Deutschland vorgenommene Anteil an der Vorbereitung eines Angriffsbefehl meist deutlich größer und wichtiger als der des (nur noch auf den Knopf drückenden?) Drohnenpiloten in den USA.

 

Es geht hier nicht um Cyberwar, mit dem wir uns alle ja noch nicht wirklich auskennen. Es geht nur um militärische Angriffe, bei denen die klassische Abfolge von Zielbestimmung, Zielerkennung und Feuerbefehl arbeitsteilig in den Orbit und auf drei verschiedene Kontinente verteilt worden ist. Die Bundesregierung aber hat – wieder einmal – von all dem nichts gewusst. Auch nicht davon, dass der Konvoi zur jemenitischen Hochzeitsgesellschaft von Deutschland aus getötet worden ist. »Für die Missachtung internationalen Rechts«, hat Bundeskanzlerin Merkel gerade mit Blick auf die Krim gesagt, »werden wir auch Sanktionen verhängen .... und es soll sich niemand täuschen ... Gemeinsam werden wir auch eine Entscheidung treffen.«

 

Da wüssten wir doch gern, welche Entscheidung die Bundeskanzlerin jetzt mit Blick auf die Vereinigten Staaten treffen wird. 

Von: 
Gerhard Fulda

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