Ägypten und Griechenland haben zuletzt ihre Zusammenarbeit ausgebaut. Nun überschattet ein Klosterkonflikt die Beziehungen zwischen Kairo und Athen.
Bis zum 28. Mai schien alles im Lot im Verhältnis zwischen Griechenland und Ägypten. Drei Wochen zuvor war Präsident Abdul-Fattah Al-Sisi nach Athen gereist. Beide Seiten feierten das Gipfeltreffen als großen Erfolg. Allein die Tatsache, dass Sisi bereits zum fünften Mal seit 2014 am Fuße der Akropolis gastierte, belegt die Enge der bilateralen Beziehungen.
Wie bei solchen Anlässen üblich, unterzeichneten Sisi und der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis eine Reihe von Vereinbarungen. Athen war Schauplatz der konstituierenden Sitzung des neuen »Hochrangigen Kooperationsrats«. Vor der Presse zeigte sich der Gast aus Kairo begeistert: »Dieser Rat markiert einen Meilenstein und qualitativen Sprung in den ägyptisch-griechischen Beziehungen«, erklärte Sisi.
Ein zentrales Thema war die Zusammenarbeit im Energiesektor. Konkret geht es um ein gemeinsames Projekt: Ein Unterseekabel soll Solar- und Windstrom aus Ägypten über Griechenland nach Europa transportieren. Die EU hat großes Interesse an solchen Partnerschaften mit Drittstaaten und signalisierte finanzielle Unterstützung. Doch Athen agiert nicht nur im Energiebereich als Brückenbauer zwischen Kairo und Brüssel. Griechenland stellt sich auch als Mittler für die europäischen Ambitionen Ägyptens zur Verfügung. »Griechenland ist ein fester Verbündeter Ägyptens – auch in den Beziehungen Ihres Landes zur EU«, versicherte Mitsotakis seinem sichtlich angetanen Gast.
Zum Abschluss der Pressekonferenz kam ein sensibles Thema zur Sprache: das Katharinenkloster im Süden der Sinai-Halbinsel. Sisi wies Spekulationen zurück, die ägyptische Politik könne das Kloster gefährden, und betonte die religiöse Toleranz seines Staates: »Gäbe es jüdische Mitbürger, hätten wir Synagogen gebaut.« Mit Blick auf das Kloster erklärte er: »Ich werde nicht zulassen, dass böswillige Gerüchte unsere guten Beziehungen zu Griechenland trüben.«
Der Schock aus Ismailia
Vor diesem Hintergrund traf das Urteil des Berufungsgerichts von Ismailia am 28. Mai wie ein Paukenschlag – sowohl für die kleine orthodoxe Mönchsgemeinde am Sinai als auch für die Öffentlichkeit in Griechenland, das sich traditionell als Schutzmacht der Orthodoxie versteht. Die katholisch geprägte Publikation Omnes titelte: »Ägypten enteignet das Katharinenkloster auf dem Berg Sinai nach fünfzehn Jahrhunderten der Autonomie.« In dem Bericht heißt es weiter: »Das historische Kloster, das im 6. Jahrhundert von Kaiser Justinian gegründet wurde, ist durch ein umstrittenes Urteil in staatliches Eigentum übergegangen. Damit endet die über 1.500-jährige Autonomie des ältesten durchgehend bewohnten christlichen Klosters der Welt.«
In Griechenland löste das Urteil einen Sturm der Entrüstung aus. Der Erzbischof von Athen, Ieronymos, reagierte prompt: »Ich will und kann nicht glauben, dass Hellenismus und Orthodoxie eine weitere historische Eroberung erleben.« Dass er das Wort »Eroberung« (άλωση) benutzte, das unweigerlich an die osmanische Einnahme Konstantinopels 1453 erinnert, verlieh seiner Aussage eine dramatische Note.
Die politische Debatte ließ nicht lange auf sich warten. Die Opposition warf der Regierung außenpolitisches Versagen vor und erklärte die Klosterfrage zur »nationalen Angelegenheit«. Über Tage hinweg dominierte das Thema die Medienlandschaft. Doch ein entscheidendes Detail blieb meist unerwähnt: Der vollständige Wortlaut des 160-seitigen Urteils lag öffentlich nicht vor.
Ein offizielles Kommuniqué aus dem ägyptischen Präsidialamt sollte die Gemüter beruhigen – ließ die schlimmsten Befürchtungen der Mönche aber wahr werden. Zwar bestätigte es deren Nutzungsrechte an Kloster und heiligen Stätten, stellte jedoch klar: Das Eigentum verbleibt beim ägyptischen Staat. Deutlicher konnte man die Enteignung nicht formulieren.
Im Kern des kirchenpolitischen Zwists um das Katharinenkloster, der längst zu einem bilateralen Konflikt zwischen Griechenland und Ägypten eskaliert ist, geht es um die Frage, wem das Land und die historischen Gebäude (samt ihrer einzigartigen Kulturschätze) gehören, die die Mönchsgemeinschaft seit Menschengedenken (und weit darüber hinaus) ihr eigen wähnte.
Sehr lange war dies überhaupt kein Thema. Die nun seitens des ägyptischen Staates in Bedrängnis geratene Klostergemeinschaft verweist auf eine anderthalbtausendjährige Tradition. Die Crux dieser Argumentation besteht darin, dass das angeführte Gewohnheitsrecht offenbar im Katasteramt der Arabischen Republik Ägypten nicht dokumentiert ist.
Kloster gegen Großprojekt
Medienberichten zufolge beansprucht das Kloster 71 Liegenschaften. Bereits 2015 hatte das Gouvernorat Süd-Sinai deren Eigentümerschaft juristisch angefochten, darunter auch den imposanten Klosterbau und 40 landwirtschaftliche Flächen. Die Argumentation der Kläger: Das Kloster kann keine juristische Person in Ägypten vorweisen und habe daher kein Recht auf Eigentum. Dieses rechtliche Vakuum ist die Achillesferse der Klostergemeinschaft.
Während das Verfahren über Jahre hinweg lief, bemühten sich Vertreter beider Seiten um eine außergerichtliche Einigung. Die schien Ende 2024 erreicht: Die Athener Zeitung Kathimerini veröffentlichte Anfang Juni ein Dokument mit dem Titel »Vereinbarung und Vergleichsvertrag«. Darin erklärten beide Seiten ihre Absicht, alle gegenseitigen Klagen zurückzuziehen und eine gemeinsame Verwaltung der Liegenschaften durch eine noch zu gründende juristische Person einzurichten. Doch der entscheidende Schritt blieb aus – die ägyptische Seite unterschrieb das Abkommen nicht.
Ein zentraler Akteur ist der 91-jährige Abt Erzbischof Damianos. In einem Interview erklärte er: »Ich schätze Präsident Sisi sehr, aber viele seiner Untergebenen verstehen ihn nicht – oder wollen ihn nicht verstehen.« Journalistische Beobachter sehen in der Entwicklung das Wirken radikaler Kreise innerhalb des sogenannten tiefen Staates, deren Einfluss Sisi nicht einzuhegen vermag.
Wahrscheinlicher ist jedoch ein anderer Grund für den Bruch mit der Tradition: Das Katharinenkloster liegt im Zentrum eines Gebiets für einen ambitionierten Entwicklungsplan. Das »Great Transfiguration Project« will die Region um das Kloster in ein nachhaltiges, internationales Tourismusziel verwandeln – mit Eco-Lodges, Berghotels und Seilbahnen. Die staatlichen Planer sehen darin einen Weg Richtung Modernisierung. Für das Kloster aber bedeutet es einen tiefen Einschnitt – und eine ungewisse Zukunft. Die Eigentumsfrage muss geklärt sein, bevor Bagger und Investoren anrücken – darin liegt wohl das wahre Motiv für das unerwartete Urteil von Ismailia.
Die Mönchsgemeinschaft, die heute aus nur noch 20 Brüdern besteht, wehrt sich, so gut sie kann. In einem symbolischen Akt hat sie das Kloster für Besucher geschlossen. Doch ihr Widerstand wirkt wie ein Kampf gegen Windmühlen. Auch Giorgis Manginis, wissenschaftlicher Direktor des Benaki-Museums in Athen, sieht wenig Hoffnung auf Erhalt des Status quo: »Seit Jahren liegt die größte Spannung im Kloster zwischen monastischem Leben und Tourismus. Manchmal sieht man wahre Touristenhorden – als wäre man auf der Akropolis.« Sein Fazit fällt ernüchternd aus: »Es ist ein Kampf, den wir verlieren.«
Dr. Ronald Meinardus ist Senior Research Fellow bei der Hellenischen Stiftung für Europäische und Auswärtige Politik (ELIAMEP).