Lesezeit: 7 Minuten
Gaddafis Gewalt- und Drogenexzesse

Die Bestie von Bab al-Aziziya

Feature

Muammar al-Gaddafi liebte Sex mit Minderjährigen ebenso wie Gewalt- und Drogenexzesse bis in die Morgenstunden. Annick Cojean hat seine Opfer getroffen und ein Buch darüber geschrieben. Entstanden ist ein Protokoll des Grauens.

»Er schlug mich und vergewaltigte mich, bepisste mich und schrie.« Dass sind nicht die Sätze aus einem neuen bizarren Fetischroman für gelangweilte Hausfrauen. Sie handeln von Muammar al-Gaddafi, haben ein junges Menschenleben zerstört und waren gerichtet an: Soraja, 1989 als eines von sieben Kindern in eine traditionelle Familie aus Marag geboren, einer libyschen Ortschaft unweit der ägyptischen Grenze.

 

Mit 15 Jahren wird sie zur Sexsklavin des ehemaligen Diktators, als der ihre Schule besucht und das Mädchen auswählte, ihm zu Diensten zu sein. Nun hat die mittlerweile erwachsene Frau ihr Martyrium stellvertretend für viele andere der französischen Journalistin Annick Cojean erzählt. Ihr Buch »Niemand hört mein Schreien. Gefangen im Palast Gaddafis« ist ein Protokoll des Grauens.

 

Sex im Schichtdienst

 

Das erste Mal war in Sirte, Gaddafis Heimatstadt. Er lag nackt auf dem Bett seines vergoldeten Wohnmobils deutscher Bauart. Mit Drogen zugedröhnt rief er: »Na komm, meine Nutte.« Dann drang er brutal in Soraja, das fünfzehnjährige Mädchen, ein – ihre inneren Verletzungen wurden von der ukrainischen Krankenschwester Galina notdürftig versorgt. Es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein. Blutergüsse, Fleischwunden gehörten fortan ebenso zu Sorajas Alltag wie Kokain, Zigaretten und Whiskey.

 

All das musste sie vor den Augen ihres »Meisters« konsumieren, in Sirte und in Bab al-Azizya, jener berüchtigten Festung Gaddafis in der Hauptstadt Tripolis, dem Symbol für dessen Autorität und Allmacht. Dort lebte Soraja jahrelang im Kellergeschoss, eingesperrt mit anderen Mädchen und jungen Frauen. Sie musste sich tagsüber Pornos »zu Lehrzwecken« anschauen und wurde nachts von Mabruka abgeholt, um den exzessiv Viagra konsumierenden Gaddafi und dessen perverse Fantasien und Launen mal alleine, mal mit einem anderen Mädchen oder einem jungen Mann, zu befriedigen. Immer wieder. Sex im Schichtdienst.

 

Mabruka – Kerkermeisterin und Puffmutter

 

Heute ist Muammar al-Gaddafi tot. Gepfählt. Mabruka, seine Kerkermeisterin und Puffmutter, lebt indes. Die Tuareg, die auch mal nach Paris zum »Shopping« von arabischstämmigen Mädchen reiste und die bekanntesten Hexenmeister Afrikas nach Libyen einlud, ist heute um die fünfzig Jahre alt und wohnt wieder bei ihrer Mutter in Ghat – wenn auch unter Hausarrest. Das bleibt den gepeinigten jungen Frauen, die in Gaddafi nicht mehr als die Bestie aus Bab al-Azizya sehen, verwehrt.

 

Den Kontakt zu ihren Familien haben all die Libjas, Lailas, Hadijas und Hudas oftmals abgebrochen. Mal aus Scham, mal wurden sie verstoßen. Die Schande ist zu groß im von traditionellen Stammesstrukturen geprägten Libyen.

 

Die Folterkammer im grünen Zimmer

 

Vor diesem Hintergrund ist die Arbeit Cojeans umso erstaunlicher. Sie hat es nicht nur geschafft – soweit es bei diesem Sachverhalt geht – einfühlsam über das Schicksal Sorajas zu schreiben, sondern deckt im zweiten Teil des Buches auch die Strukturen hinter dem Sex-Regime Gaddafis auf. Etwa, dass er sich einen versteckten Raum in der Universität Tripolis einrichten ließ. Nicht, um den dortigen Vorlesungen unerkannt folgen zu können. Nein, dieses grüne Zimmer war wie ein komplett ausgestatteter gynäkologischer Untersuchungsraum eingerichtet.

 

Wo eigentliche die Lehre vom grünen Buch gelernt werden sollte, folterte Gaddafi seine weiblichen Untertanen. Er benutzte Sex und Vergewaltigung jedoch nicht nur zur Befriedigung seines eigenen Triebs, sondern, so die Recherchen Cojeans, auch als Druckmittel – gegen Untergebene, aber auch die alteingesessene Elite der Hauptstadt. Fiel ein Politiker oder Militär in Ungnade kam es auch vor, dass er die Treue auf seine ihm eigene Art und Weise einforderte: Du gehorchst, oder ich vergewaltige dich, deine Frau und deine Kinder – der Reihenfolge nach. Das war die Nachricht, die Gaddafi übermitteln ließ und wohl auch wahr machte.

 

Gaddafis Amazonen – keine Eliteeinheit wie jede andere

 

Über Muammar al-Gaddafi wurde außerhalb Libyens jahrelang viel geschmunzelt: Im Laufe seines Despoten-Daseins legte er sich Fantasie-Uniformen zu, nannte sich selbst den »König der Könige« von Afrika und schlug FIFA-Chef Sepp Blatter einst vor, nicht mehr nur elf gegen elf spielen zu lassen – sondern hundert gegen hundert. Doch ein witziger Narr war dieser Mann nicht. Er ließ beinahe auf dem gesamten afrikanischen Kontinent nach hübschen, jungfräulichen Mädchen Ausschau halten, dann nach Tripoli bringen, um sie dort zu »öffnen«, wie Gaddafi es nannte.

 

Auch einige Frauen von hochrangigen Politikern des Kontinents soll er – im Austausch für Schmuck und Geld – in seine Lusthöhlen eingeladen haben; Namen nennt das Buch indes keine. Dafür wird deutlich, dass Gaddafis Amazonen keine Eliteeinheit wie jede andere war. Der Tyrann, gefeiert für seine Politik zur Befreiung der Frau, ließ Soraja und viele andere von seinen Schergen entführen, hielt sie sich als Sexsklavinnen – und im Ausland fungierten sie in Uniform als seine Amazonen. So erging es nicht allen, einige waren in der Tat Soldatinnen. Die überwiegende Mehrheit indes waren einfache Libyerinnen, jung, gut aussehend und einmal in ihrem Leben von Gaddafi gesehen worden. Es sollte ihr Leben für immer verändern.


Niemand hört mein Schreien

Gefangen im Palast Gaddafis

Annick Cojean

Aufbau-Verlag, 2013

296 Seiten, 19,99 Euro

Von: 
Dominik Peters

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