Mit liberalen Gesetzen avanciert Georgien zum Zocker-Paradies. Die Region Adscharien erlebt eine Investitionswelle. Hält der Boom trotz Machtwechsel an?
»Wir nennen es das Wunder von Batumi«, erklärt Nino Jintcharadze mit leuchtenden Augen. Sie kramt aus den Regalen in ihrem Büro der adscharischen Tourismusbehörde aufwendig gestaltete Bildbände hervor, welche die Verwandlung der Stadt illustrieren. Alte Aufnahmen von brachen Landschaften der neunziger Jahre werden von einer Skyline mit Hoteltürmen und moderner Architektur kontrastiert. Stolz erklärt sie, dass die Innenstadt zur Zeit einer Baustelle gleiche. Über eine Million Quadratmeter Batumis seien derzeit unter Konstruktion.
Es muss mehr Platz her, um dem Touristenansturm gerecht zu werden, meint Jintcharadze. 2012 verzeichnete die Hafenstadt bereits 1,5 Millionen ausländische Besucher. Deswegen soll das einstige sowjetische Urlaubsparadies in den nächsten zwei Jahren ein neues Antlitz bekommen. Georgien lockt nicht nur mit wunderschönen Landschaften und Qualitätswein, sondern auch mit verführerischem Freizeitangebot. Im März 2005 hat das georgische Parlament das Glücksspiel legalisiert.
Umringt von Ländern wie der Türkei oder Aserbaidschan, in denen das Spiel am Automaten verboten ist, ziehen die hoteleigenen Kasinos seitdem zunehmend ausländische Spieler an. Einzige Konkurrenz macht sich derzeit nur aus Armenien bemerkbar, da Zocken außerhalb der Hauptstadt weiterhin legal bleibt. Geopolitisch liegt der Vorteil jedoch auf georgischer Seite. Durch die zentrale Lage ist es leicht erreichbar und historische Grabenkämpfe machen es türkischen oder aserbaidschanischen Spielern unmöglich nach Armenien zu reisen.
Mamuka Berdzenishvili aus dem Tourismusministerium Batumis nennt als besonderes Merkmal der Stadt, die einzigartige Verbindung von Strandurlaub und Unterhaltung. »In einer Umfrage aus dem Sommer 2012 haben wir festgestellt, dass diese beiden Faktoren unsere Haupttouristenattraktionen geworden sind.«
Vom Badeparadies zur Spielhölle
Batumi im Herbst wirkt grau. Am Ende der Strandpromenade dreht sich einsam ein 40 Meter hohes Riesenrad. Werbeplakate versprechen Sonnenschein und glückliche Touristen. Doch die sauber gefegte Promenade liegt menschenleer zwischen dem Rohbau des Kempinski Hotels und einem steinigen Strand. Trotzdem ist die dortige Glücksspielbranche zu einem beliebten Spielfeld für Investoren geworden. Die halbautonome Region Adscharien nimmt, im vom Separatismus geplagten Georgien, eine Sonderstellung ein. Unabhängig von der Regierung in Tiflis, verfügt sie über die Festlegung der Kasino-Lizenzgebühren und Regulierungen.
Diese Sonderposition nutzt Adscharien, um die Glücksspiel-Investitionen an den Ausbau von touristischer Infrastruktur zu knüpfen. Ein Hotelneubau mit mindestens 100 Zimmern erspart dem Bauherrn die Kasino-Lizenzgebühr für zehn Jahre. Neben dem finanziellen Anreiz für Spielhallen- und Hotelbetreiber, bedeutet es zugleich die Ausdehnung von saisonunabhängigem Freizeitvergnügen. Hans-Ulrich Trosien, deutscher Hotelexperte und Service-Berater der adscharischen Tourismusbehörde, sieht die Verbindung von Hotel und Kasino als pragmatische Entscheidung.
Die Urlaubssaison in Batumi sei auf zwei bis drei Sommermonate beschränkt. In den übrigen Monaten müssen aber trotzdem Touristen angezogen werden, dies gelinge durch Kasinos. Im Gegensatz zur Hauptstadt Tiflis, in der eine Kasino-Eröffnung 2.4 Millionen Euro (fünf Millionen Lari) kostet, belaufen sich die Kosten in Batumi auf 120.000 Euro (250.000 Lari). Daher wachsen die Hoteltürme in den Himmel. Den Anfang hat 2010 das Sheraton Batumi gemacht. Kurz darauf zogen andere etablierte Hotelketten nach - 2011 eröffnete das Radisson Blue, 2013 sollen das Kempinski und der Trump-Tower folgen.
»Die Glücksspieler sind Ausländer«
Der Investitionsschub scheint nicht Enden zu wollen. Seit der Rosenrevolution 2003 haben sich die Bedingungen maßgeblich verbessert, erzählt Nino Jintcharadze. »Vorher war hier nichts! Wir waren einer unter vielen postsowjetischen Staaten, der mit seinen Schulden und der verbreiteten Korruption zu kämpfen hatte.« Die neue Regierung unter Michael Saakashwili habe die Grundlage für die heute zu beobachtenden Entwicklungen gelegt. Derzeit sind in den beiden bekanntesten Glücksspielstädten Tiflis und Batumi insgesamt sieben Kasinos neu eröffnet worden. Landesweit belaufen sich die Kasinoeinnahmen auf etwa 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Wenn der Bauboom in Batumi anhält, kann in den nächsten Jahren bereits ein Zuwachs von 50 Prozent verzeichnet werden.
Um weitere Investoren nach Batumi zu locken, organisierte die Stadt den ersten internationalen Kasino Investment Congress (CIC) im September 2012. Er zog über 120 Teilnehmer aus 22 Ländern an, darunter Vertreter aus der Ukraine, Bulgarien, USA, Großbritannien, Ägypten und der Türkei. Das Investitionsinteresse aus dem Ausland wundert Jintcharadze nicht. »Wir bekommen jedes Jahr unsere fünffache Einwohnerzahl zu Besuch. Die überwiegende Zahl der Glücksspieler sind Ausländer.« Zu den Hauptinvestoren im derzeitigen Hotel- und Kasinobau gehören Unternehmen aus der Türkei. Laut Jintcharadze haben sie die größte Erfahrung im Glücksspielgeschäft. In den 1980er Jahren war es in der Türkei selbst eine lukrative Einnahmequelle.
Nach dem dortigen Verbot sahen sich aber zahlreiche türkische Unternehmer nach einem Ausweichmarkt um. Die nachbarschaftliche Nähe war ein ausschlaggebender Faktor, so dass sie schnell in Georgien Fuß fassten. Auch in der Hauptstadt Tiflis beobachtet Vedran Bajat, Manager des Adjara-Kasinos, vorrangig Besucher aus der Türkei, Iran oder Aserbaidschan, aber der Großteil seiner Kunden komme aus Georgien. Täglich zählt er etwa 1000 einheimische Spieler.
Einzelne Kasinos in Batumi hingegen verzeichnen rund 2000 türkische Besucher nur an den Wochenenden. Die vereinfachten Grenzkontrollen mit der Türkei haben sich positiv auf Batumis Reiseverkehr ausgewirkt. Denn bei der Einreise sind nur noch Personalausweise notwendig. »Das führt besonders in den Grenzgebieten zu einer Ansammlung von Stripklubs und kleinen Spielhallen«, meint Hans-Ulrich Trosien.
Las Vegas am Schwarzen Meer?
Ob das Glücksspiel weiterhin ein Touristenmagnet bleibt, hängt von der zukünftigen Politik ab. »Der Besucheransturm wird signifikant zunehmen, wenn die neue Regierung keine nachteiligen Regulierungen für Kasinobetreiber verabschiedet«, erwartet Jintcharadze. Zur Zeit zirkulieren etwa 35-40 Millionen Dollar in den Kasinos der Adschara-Region. Das unterstreicht die Bedeutung der Industrie. Im Oktober 2012 hat Georgien gewählt. Die Vereinte Nationale Bewegung von Michael Sakashwili bekam an den Wahlurnen die Rechnung für ihre investorenfreundliche aber autokratische Politik der letzten 9 Jahre. Die Erwartungen an die neue Regierungspartei »Georgischer Traum« sind hoch.
David Oponishvili, Vorsitzender des Finanzausschusses im georgischen Parlament, redet gern über die Versäumnisse der Sakashwili-Regierung und eine gerechtere Sozialpolitik. Sichtliches Unbehagen bereiten ihm hingegen Fragen zum Parteistandpunkt gegenüber der zukünftigen Investitionspolitik in der Glücksspielindustrie. Oponishvili steckt in einem Dilemma, denn er will kein kaukasisches Las Vegas in Georgien. Hinzu kommt, dass sein Parteivorsitzender Bidsina Iwanishwili angeblich einer türkischen Zeitung gegenüber bemerkte, er werde das Gewerbe stärker regulieren und eventuell sogar Spielorte schließen lassen.
Während die Investitionsfreude in den letzten Jahren relativ groß war, beobachten Investoren nun erst einmal die Schritte der neuen Regierung, schätzt Nino Jintcharadze die gegenwärtige Lage ein. Der Politiker Oponishvili plädiert dafür, keine übereiligen Schlüsse zu ziehen. Eine Abschaffung des Glücksspiels hätte nie zur Debatte gestanden, verteidigt er sich. »Die Kasinos sind ein bedeutender wirtschaftlicher Faktor, aber wir müssen eine neue Regulierung diskutieren. In der Innenstadt sind Spielhallen keine gern gesehenen Einrichtungen.
Spezielle Zonen sind natürlich eine Option, aber eine endgültige Entscheidung bleibt abzuwarten.« Kasinomanager Vedran Bajat steht solchen Plänen skeptisch gegenüber. Seiner Erfahrung nach ist die Branche ausreichend reguliert. Bedenklich hingegen seien die Verhältnisse der neunziger Jahre gewesen, als etwa 100 Spielorte über die gesamte Stadt verteilt waren und keiner Kontrolle unterlagen. Das habe sich inzwischen geändert. Bajat preist das hohe Niveau der georgischen Kasinos und führt es auf die neu eingeführten Lizenzgebühren zurück.
Der Standard sei durchaus mit Russland vergleichbar, bevor die dortigen Spielhallen in Zonen verbannt und dem Verfall preisgegeben wurden. Sollte es tatsächlich zu einer Neuregulierung in speziellen Glücksspielzonen kommen, sieht er negative Auswirkungen für das Gewerbe. »In einigen anderen Ländern ist dieses Vorhaben bereits gescheitert«, so Bajat. »Spielhallen brauchen ein gewisses Umfeld um erfolgreich operieren zu können. Drängt man sie an den Stadtrand oder gar aus der Stadt, wirkt sich das negativ auf die Besucherzahlen aus.«
Das beste Beispiel dafür sei Russland. Hier gebe es nach Einrichtung der Zonen keine einzigen funktionieren Abschnitt. Dies treibe immer mehr Spieler ins kaukasische Nachbarland. Vor diesem Hintergrund prophezeit Bajat, das Georgien mit negativen Konsequenzen rechnen müsse, sollte es dem russischen Beispiel folgen. Hans-Ulrich Trosien befürchtet darüber hinaus bei der Schließung oder Auslagerung von Kasinos ernsthafte Probleme für den Arbeitsmarkt. Der Verlust von Steuereinnahmen aus der Glücksspielbranche sei verkraftbar, der Verlust von Arbeitsplätzen hingegen wäre eine Katastrophe.