Lesezeit: 6 Minuten
Interview zu Protesten in Georgien

»Georgiens Regierung sabotiert den EU-Beitrittsprozess«

Interview
Interview zu Protesten in Georgien
Kober / Wikimedia Commons

Südkaukasus-Experte Mikheil Sarjveladze erklärt im Kurz-Interview, was in Georgien auf dem Spiel steht – und wie die Proteste in Tblissi mit Russlands Krieg in der Ukraine zusammenhängen.

Was besagt das Gesetz, das die georgische Regierung vorgebracht hat und welche Folgen hätte eine Ratifizierung?

Die georgische Regierung argumentiert, man wolle Transparenz schaffen und verweist auf den US-amerikanischen »Foreign Agents Registration Act« (FARA) als Vorbild. Der große Unterschied: FARA umfasst keine Medien, sondern dient dazu, politischen Lobbyismus durch Personen zu überwachen, die in den USA wirtschaftlich oder politisch für ausländische Rechtspersonen tätig sind. Das bereits zurückgezogene Gesetz in Georgien richtete sich vor allem gegen die Arbeit von NGOs und Medien, deren Finanzierung mehr als zu 20 Prozent aus dem Ausland stammt. So bekommt die Regierung die Möglichkeit an die Hand, diesen Sektor quasi zu monopolisieren und gegebenenfalls zu kriminalisieren.

 

Hat die georgische Regierung das Ausmaß des Widerstands gegen dieses Gesetz unterschätzt?

Um gegen Ende des Jahres den Status eines EU-Beitrittskandidaten zu erhalten, muss Georgien zwölf Voraussetzungen der EU erfüllen, unter anderem die Verbesserung des Umfelds für Medien und Zivilgesellschaft. Ich glaube, dass die Regierung mit dem Gesetzentwurf bewusst versucht hat, diesen Prozess zu sabotieren. Um ihren eigenen Machterhalt nicht aufzugeben, ist sie nicht bereit, die notwendigen Reformen durchzuführen, weshalb sie auch kein Interesse an der Erfüllung der zwölf Bedingungen hat. Deshalb versucht die Regierungspartei »Der Georgische Traum« den Westen für die Unruhen verantwortlich zu machen, aber auch dafür, dass die Chancen des Landes, den Kandidatenstatus zu erlangen, geringer werden.

 

Wen trieb der Widerstand gegen das Gesetz auf die Straße?

Die Protestwelle war nicht unbedingt von politischen Parteien dominiert. Das waren ganz junge Menschen, zum Teil Schüler und Studenten, deswegen waren die Proteste an sich kaum gezielt von den politischen Akteuren, wie etwa den Parteien organisiert. Die Demonstranten hatten keinen konkreten Plan, abgesehen davon, dass sie die Regierungspartei dazu bringen wollten, das »Agentengesetz« zurückzunehmen, was ihnen auch gelang. Eben weil dieser Prozess wirklich mitten aus der Gesellschaft kam und trotz der Dominanz der jungen Generationen generationsübergreifenden Charakter hatte.

 

»Georgien hat einfach nicht die Ressourcen, sich Russland zu widersetzen«

 

Wie würden Sie die russische Rolle in dieser Auseinandersetzung verorten?

Die georgische Regierung und der Oligarch dahinter – Bidzina Iwanischwili – erledigen zur Machtsicherung. Dabei unterstützen mehr als 80 Prozent der Menschen in Georgien den Kurs einer EU-Integration. Die Regierung sabotiert aber diesen Prozess. Das kann nicht im Interesse Georgiens sein. Die georgische Regierung verbreitet nun das Narrativ, dass der Westen sich in die inneren Angelegenheiten einmischt – mit dem Ziel eines Umsturzes. Nicht nur die EU, auch etwa Wolodomyr Zelenskyy wird dabei als vermeintlicher Drahtzieher ausgemacht. Der russische Fernsehmoderator Wladimir Solowjew …

 

… einer der Hauptpropagandisten des Kremls …

… lobt die georgische Regierung – das ist kein gutes Zeichen.

 

Wie wirkt sich der Krieg gegen die Ukraine auf die weitere Entwicklung in Georgien aus?

Sollte der Kreml entscheiden, eine Niederlage in der Ukraine mit anderen kleineren Siegen zu kompensieren, wie in Moldau oder in Georgien, wird der georgische Staat keinen erheblichen Widerstand wie die Ukraine leisten können. Georgien hat einfach nicht die Ressourcen, sich Russland zu widersetzen. Derzeit ist Moskau total auf die Ukraine fokussiert und weniger auf den Südkaukasus. Aber das hat weniger mit der Politik der georgischen Regierung zu tun, sondern mit den Prioritäten im Kreml. Statt das Momentum der Westintegration zu nutzen, das durch den russischen Krieg auch für Moldau und Georgien entstanden ist, stemmt sich die georgische Regierung dagegen und distanziert sich von westlichen Partnern. Die größte Gefahr für Georgien lautet für den Moment, dass das Land in einen hybriden Autoritarismus abdriftet. Eine Tragödie, wenn man bedenkt, dass Georgien mal Vorreiter für demokratische Reformen unter den Staaten der Östlichen Partnerschaft war.



Interview zu Protesten in Georgien

Mikheil Sarjveladze forscht als Post-Doc am Institut für Politikwissenschaften an der Universität Jena und ist Gastwissenschaftler bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) tätig.

Von: 
Robert Chatterjee

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.