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Russland, Georgien und Südossetien

Die Russland-Frage bei den Wahlen in Südossetien

Analyse
Russland, Georgien und Südossetien
»Z« hinter einer Statue des ossetischen Nationaldichters Kosta Chetagurow in Wladikawkas, der Hauptstadt der russischen Provinz Nordossetien-Alanien Alik Puhati

Russland beitreten – dieses Ziel verfolgt Präsident Anatoli Bibilov. Doch bei der Präsidentschaftswahl im Separatistenstaat Südossetien in Georgien könnte der oppositionelle Alan Gaglojew genau das noch verhindern.

Wer wird der nächste Präsident?

 

Wahlen sind in Südossetien immer eine einsame Angelegenheit: Die internationalen Wahlbeobachter fehlen. Denn nur fünf Staaten (Russland, Nicaragua, Venezuela, Nauru und Syrien) erkennen die Kaukasusrepublik an. Die Wähler müssen sich zwischen Regierungskandidat Anatoli Bibilov und dem Oppositionellen Alan Gagloyev entscheiden. Der ehemalige KGB-Offizier und Chef der nationalistischen Partei »Nykhaz« (zu Deutsch »Sitzung«) hatte in der ersten Wahlrunde am 10. April bereits die meisten Stimmen abstauben können. In wenigen Tagen folgt nun die Entscheidung in der Stichwahl.

 

»Gaglojev wird gewinnen«, meint der ossetische Blogger Alik Puhati. »Die Südosseten stimmen nicht für Gagloyev, weil er so überzeugend ist – es ist eine Wahl gegen Bibilov«, erklärt Puhati, selbst ein Gegner des jetzigen Präsidenten. Bibilov ist in weiten Teilen der Bevölkerung in Ungnade gefallen: 2020 verstarb der Regierungsgegener Inal Dzhabiev, nachdem er in Polizeihaft gefoltert worden war. »Wir werden die Täter bestrafen. Ich nehme das persönlich in die Hand«, versprach Bibilov damals, doch die Opposition wirft ihm mittlerweile vor, die Untersuchungen aktiv zu blockieren.

 

Bibilov hatte zudem im Zuge einer neuen Grenzziehung ungefähr 200 Quadratkilometer Land an Georgien abgetreten – und erzürnte damit die Opposition, die damals sich mittlerweile geschlossen hinter Gagloyev gesammelt hat. Dazu kommen eine Reihe von Korruptionsvorwürfen gegen den Amtsinhaber.

 

»Bibilov ist sich seiner Unbeliebtheit bewusst. Er könnte die Wahlkomission und den Obersten Gerichtshof beeinflussen. Und womöglich sogar die Stichwahl absagen«, sagt Puhlati. Tatsächlich wurde die zweite Wahlrunde nun zum zweiten Mal verschoben – auf den 8. Mai.

 

Um seine Politkariere zu retten, setzt der derzeitige Präsident auch auf ein anderes Pferd: Er versprach ein Referendum über einen Beitritt zu Russland. »Bibilovs Vorschlag ist als populistischer Schachzug zu bewerten«, sagt die Georgien-Expertin Maia Otarashvili vom US-Thinktank »Foreign Policy Research Institute«. Ein Beitritt zu Russland genießt in Südossetien durchaus Unterstützung. Und für Bibilov bietet diese Gemütslage eine Chance, bei der Stichwahl doch noch mehr Stimmen einzufangen.

 

Wie populär wäre eine »Vereinigung« mit Russland?

 

In der südossetischen Hauptstadt Zkhinvali spricht man von einem »nationalen Traum«. Die Heimat der Volksgruppe der Osseten ist quasi in zwei Hälften geteilt: Ein Teil lebt in der russischen Teilrepublik Nordossetien-Alanien, der andere im Seperatistenstaat Südossetien in Georgien. Dass ein geeintes Ossetien Teil von Russland wäre, stört die Mehrheit nicht: »Wir hatten historisch immer gute Beziehungen zu den Russen«, meint Kocty Soslan, ein Südossete, der in Moskau »Internationale Beziehungen« studiert.

 

»Mehr als die Hälfte ist für den Beitritt. Die ältere Generation unterstützt ihn fast zu hundert Prozent, die jüngere bevorzugt die Unabhängigkeit«, erklärt der 21-Jährige. »Früher war die Idee sich mit Russland zu vereinigen noch populärer als heute. Aber die Menschen beobachten, dass es in Nordossetien-Alanien keine funktionierenden politischen Parteien gibt. Bei einem Beitritt verlieren wir unsere Demokratie und unsere Wirtschaft könnte in den Abgrund gerissen werden«, sagt Alik Puhlati.

 

Gibt Moskau grünes Licht?

 

Schon in der Vergangenheit wollte Südossetien Russland beitreten. Doch in Moskau stieß man mit diesem Anliegen bislang auf taube Ohren. Die Regierung in Zkhinvali ist ohnehin abhängig von seiner Schutzmacht im Norden: Laut einem Bericht der russischen Online-Zeitung Meduza aus dem Jahr 2018 gibt der Kreml jährlich sechs Milliarden Rubel – ungefähr 80 Millionen Euro – für die kleine Separatistenrepublik aus. Moskau unterhält in der nicht-anerkannten Kaukasusrepublik eine Militärbasis, während Teile des südossetischen Militärs direkt unter russischem Kommando stehen. Wirtschaftlich und militärisch sind alle Bedürfnisse des Kremls erfüllt.

 

Ein Beitritt Südossetiens – und die darauffolgenden internationalen Verurteilungen und Sanktionen – wurden in Moskau sogar als kontraproduktiv angesehen. Das Regime von Wladimir Putin hatte bis jetzt schlicht nichts zu gewinnen bei solch einem Schritt. Doch Moskaus Einstellung könnte sich mit dem Ukraine-Krieg geändert haben. Weitreichende Sanktionen sind bereits in Kraft: Hat der Kreml noch etwas zu verlieren?

 

Putin-Pressesprecher Dmitri Peskov ließ am 31. März anklingen, dass Russland zu einer Aufnahme Südossetiens bereit wäre: »Wir haben noch keine rechtlichen Maßnahmen ergriffen, aber wenn das südossetische Volk seinen Willen ausdrückt, werden wir ihn respektieren.« Unklar ist, ob Moskau wirklich zu diesem Schritt bereit ist. »Die Russen haben doch dafür eigentlich gerade keine Zeit und Ressourcen – die sind mit dem Donbas beschäftigt«, meint Alik Puhati.

 

Maia Otarashvili schätzt eine Eingliederung Südossetiens momentan als unwahrscheinlich ein, doch der Ausgang des Krieges gegen Kiew könnte die Position des Kremls schnell ändern: »Bei einer Niederlage in der Ukraine könnte Putin aus PR-Gründen einer Annexion Südossetiens zustimmen. Um einerseits dem eigenen Volk einen Sieg zu präsentieren, aber auch, um dem Westen gegenüber Stärke zu zeigen.«

 

Wie reagiert Tiflis?

 

Georgien bezeichnete ein mögliches Referendum als »inakzeptabel« und die Präsidentschaftswahlen als »weitere illegale Aktion Russlands«. Die Spannungen zwischen Tiflis und Südossetien bleiben groß: In den Separatistengebieten fürchtete man nach russischen Truppenabzügen zu Beginn des Ukraine-Krieges einen Rückeroberungsversuch. Doch diese Ängste scheinen vorerst unbegründet. Trotz großer Protestmärsche zur Unterstützung der Ukraine bleibt die Regierung in Tiflis neutral.

 

Einerseits ist man vom russischen Markt abhängig, aber auch Russlands Militärmacht sowie die Angst vor einem neuen Krieg zwingt die Regierungspartei »Georgischer Traum« zum Schweigen. Der Westen unterstützt allerdings weiterhin Georgiens territoriale Integrität: Südossetien ist weiterhin Teil der Kaukasusrepublik, so die Position der USA und der EU, die die Wahlergebnisse nicht anerkennen.

 

Was steckt hinter dem Konflikt?

 

Ende 1990 hatte sich Südossetien von der Zentralregierung in Tiflis de facto abgespalten. Als Georgien ein Jahr später den Austritt aus der Sowjetunion einleitete, schwappte eine Welle des Nationalismus durch das Land. Die »Georgien-den-Georgiern«-Hysterie des ultranationalistischen Präsidenten Zviad Gamsakhurdia ließ wenig Raum für Georgiens Minderheiten. Währenddessen stiegen in Südossetien die Übergriffe auf ethnische Georgier, die dort ein Drittel der Bevölkerung ausmachten.

 

Ein Versuch der Zentralregierung, Südossetien wieder unter ihre Kontrolle zu bringen, eskalierte in einem Bürgerkrieg. Geführt wurde er von unkontrollierbaren Milizen: Es folgten ethnische Säuberungen auf beiden Seiten. 1992 verhandelte Russland einen Waffenstillstand. Doch der Krieg hinterließ tiefe Wunden zwischen Georgiern und Osseten: 100.000 Osseten und 23.000 Georgier waren geflohen.

 

Als international isolierte Separatistenrepublik blieb das Land stark vom Kreml abhängig. 2008 marschierte Georgien in Südossetien ein. Die Schutzmacht Russland antwortete mit einem Gegenschlag, vertrieb die Truppen seines südlichen Nachbarn aus dem Seperatistenstaat und nutzte die Situation aus um – trotz internationaler Proteste – tief in georgisches Territorium vorzudringen. Als der 12-tägige Krieg beendet war, erkannte Moskau Südossetien als unabhängigen Staat an, was die Republik noch enger an den Kreml band. Währenddessen sieht man in Tiflis die Seperatistenrepublik umso mehr als russischen Vorhof.

 

Was würde ein Beitritt Südossetiens zu Russland bedeuten?

 

Für Georgien würde ein Referendum eine Provokation bedeuten. Doch könnte die Situation zu einem neuen Krieg eskalieren? Momentan nicht, sagt Maia Otarashvili: »Die georgische Regierung verfolgt eine extreme Beschwichtigungs-Politik. Man möchte Moskau nicht provozieren. Im Fall einer Annexion glaube ich, dass Tiflis jenseits der Rhetorik kaum aktiv werden wird.«

 

In Südossetien wiegt indessen das Trauma des Krieges 2008 weiterhin schwer, doch dass ein neuer Konflikt aufgrund des Referendums ausbricht, erwartet man auch hier nicht: »Mikhail Saakaschwilis Regierung war 2008 weitaus aggressiver – anders als heute. Ich denke nicht, dass Georgien das Risiko eingehen würde, noch mehr Territorium zu verlieren«, sagt Student Kocty Soslan.

 

Ein Beitritt Südossetiens zu Russland würde vermutlich die derzeitige Führung zu Fall bringen, meint Maia Otarashvili: »Die Regierung in Tiflis ist unpopulär – eine Rückkehr zu Autoritarismus und Oligarchie ausgeschlossen. Die Folge davon sind regelmäßig große Proteste.« Und ein Nicht-Handeln bei einem bei sehr vielen Georgiern emotionalen Thema wie Südossetien könnte das Ende der Regierung von Premier Irakli Garibashvili zeitigen. »Eine Annexion Südossetiens würde die Menschen auf die Straße strömen lassen. Das könnte der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt«, sagt Maia Otarashvili.

Von: 
Raphael Bossniak

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