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Russland und das Rote Meer

Ein Platz an der Sonne

Analyse
Russland und das Rote Meer
Der russische Außenminister Sergej Lawrow (links) wird in Eritrea von Präsident Isaias Afwerki empfangen. Russisches Außenministerium

Während steigende Versicherungskosten und das Risiko einer Konflikteskalation die internationale Gemeinschaft beunruhigen, schlägt Russland Profit aus dem Chaos – und verfolgt am Roten Meer einen lang gehegten Traum.

In den letzten beiden Jahren sind das Rote Meer und das Horn von Afrika in einen Zustand extremer Instabilität geraten. Aus der Motivation heraus, sich für die westliche Unterstützung der israelischen Kriege gegen die Hamas im Gazastreifen und die Hizbullah im Libanon zu rächen, haben die jemenitischen Huthis unablässig Drohnen und Schiffsabwehrraketen auf Handelsschiffe abgefeuert. Seit April 2023 haben die Sudanesischen Streitkräfte (SAF) unter Abdul-Fattah Al-Burhan und die »Rapid Support Forces« (RSF) unter Muhammad »Hemedti« Dagalo ihr Land in einen Bürgerkrieg gestürzt. Die Unterzeichnung einer Absichtserklärung zwischen Äthiopien und Somaliland im Januar 2024, durch die Somaliland 19 Kilometer der Küstenlinie des Golfs von Aden um Berbera pachtet, hat Ägypten, Somalia und Eritrea zur Gründung einer rivalisierenden trilateralen Achse veranlasst.

 

Diese Atmosphäre der Instabilität hat westliche Handelsinteressen untergraben und ausländische Investitionen erschwert. Doch das Chaos hat auch Chancen für Akteure geschaffen, die versuchen, ihre eigenen Interessen voranzutreiben. Russland ist der Hauptnutznießer der Instabilität am Roten Meer und hat sich intensiv um die Ausweitung seines Einflusses bemüht. Moskau hat der RSF unter der Hand Waffen geliefert und Gesprächskanäle mit den Huthis aufgebaut, während der Kreml weiterhin positive diplomatische Beziehungen zu allen wichtigen Akteuren in der Nachbarschaft unterhält.

 

Der erzwungene Rückzug aus dem Jemen und Äthiopien ermöglichte es Moskau, die angespannten Beziehungen zu Saudi-Arabien und Ägypten zu verbessern

 

Russlands Strategie, aus der Instabilität am Roten Meer Kapital zu schlagen, hat eine widersprüchlich anmutende Vorgeschichte. Während Michail Gorbatschows Amtszeit als sowjetischer Staatschef von 1985–91 musste Moskau die immensen Militärkosten zurückfahren und so mitansehen, wie das Einflussgebiet aus Zeiten des Kalten Krieges erodierte. Die Sowjetunion stellte die Entwicklungshilfe für das Derg-Regime von Mengistu Haile Mariam in Äthiopien ein und musste akzeptieren, dass sich ihr marxistisch-leninistischer Klientelstaat Südjemen 1990 mit Nordjemen wiedervereinigte. Die Militäreinrichtungen der Sowjetunion auf der äthiopischen Insel Nokra, in Aden und auf Sokotra wurden abgezogen oder aufgegeben.

 

Dieser erzwungene Rückzug ermöglichte es Moskau immerhin, die angespannten Beziehungen zu Saudi-Arabien zu verbessern. Riad hatte das Bündnis der Sowjetunion mit dem Südjemen stets als Bedrohung wahrgenommen. Der Kurswechsel in Bezug auf Äthiopien schuf in ganz ähnlicher Weise die Grundlage für ein besseres Verhältnis mit dessen Rivalen Ägypten. Die Sowjetunion und die neu gegründete Russische Föderation konnten jedoch nicht länger den Status einer Großmacht am Roten Meer für sich beanspruchen.

 

Die Erosion des russischen Ansehens in der Region machte den prowestlichen Verbündeten von Präsident Boris Jelzin, wie Außenminister Andrej Kosyrew, wenig aus, ärgerte aber russische Nationalisten und Nostalgiker des sowjetischen Großmachtstatus. Der Kreml versuchte zunächst, diese Kluft zu überwinden, indem er sich als stabilisierende Kraft präsentierte. Während des jemenitischen Bürgerkriegs 1994, in dem sich die USA, Jordanien, Ägypten und Katar hinter den jemenitischen Präsidenten Ali Abdullah Saleh stellten und Saudi-Arabien, Oman und China ihre Solidarität mit der südjemenitischen separatistischen Demokratischen Republik Jemen bekundeten, nahm Russland eine Position der Äquidistanz ein. Moskaus Versuche, zwischen den Kriegsparteien zu vermitteln, fanden jedoch wenig Anklang und verdeutlichten die Marginalisierung als geopolitisch relevanter Akteur am Roten Meer.

 

Unter dem Deckmantel der Nichteinmischung hat sich Moskau als treuer Verbündeter autoritärer Regime und Möchtegern-Autokraten profiliert

 

Da Russland nicht mehr über die materiellen Ressourcen und die harten Machtmittel verfügte, um als Ordnungskraft aufzutreten, sah der Kreml in der Destabilisierung und der Förderung der Autokratien den kürzesten Weg zur Wiedererlangung des Großmachtstatus in der Region. Während des Krieges zwischen Äthiopien und Eritrea 1998–00 unterstützten 500 russische Militärberater und Söldner die äthiopische Armee – russische Waffen wurden an beide Konfliktparteien verkauft. Als der sudanesische Präsident Omar Al-Baschir in den 2000er-Jahren den Völkermord in Darfur verüben ließ, bezog sein Regime 87 Prozent seiner Waffen aus Russland. Baschir revanchierte sich für die Waffenhilfe unter anderem in Form von lukrativen Konzessionen für Goldminen. Im Jahr 2014 erkannte Khartum Russlands Annexion der Krim 2014 an und heuerte die Söldner der Gruppe Wagner an.

 

Die derzeitige Strategie Russlands gegenüber der Rotmeerregion ist weitgehend eine Fortführung des in den späten 1990er- und frühen 2000er-Jahren eingeübten Ablaufs: Unter dem Deckmantel der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten hat sich Moskau als treuer Verbündeter autoritärer Regime und Möchtegern-Autokraten am Roten Meer profiliert. Die derart aufgebauten Netzwerke haben sich bewährt und lukrative Handelsgeschäfte eingebracht. Vor allem haben sie die Aussicht auf den lang ersehnten Bau einer russischen Marinebasis am Roten Meer eröffnet.

 

Als dem ägyptischen Präsidenten Abdul-Fattah Al-Sisi die Kürzung der US-Hilfen wegen des Vorgehens gegen Anhänger der Muslimbruderschaft und politische Dissidenten nach dem Staatsstreich von 2013 drohte, sah Russland seine Chance gekommen. Wladimir Putin unterstützte im Februar 2014 öffentlich Sisis Präsidentschaftskandidatur, nannte ihn bei seinem Besuch in Kairo im Februar 2015 als »vertrauenswürdigen Partner« und überreichte seinem neuen Verbündeten symbolisch eine Kalaschnikow.

 

Russland blockierte Resolutionen des UN-Sicherheitsrats, die die Menschenrechtsverstöße der äthiopischen Regierung anprangerten

 

Ägypten hat die russische Rechtfertigung für die Invasion der Ukraine nicht übernommen und zeigte sich frustriert angesichts der ambivalenten Haltung des Kremls im Streit um den »Grand Ethiopian Renaissance Dam« (GERD). Dennoch haben Moskau und Kairo enge wirtschaftliche Beziehungen aufgebaut. Das bilaterale Handelsvolumen hat einen Wert von 7,1 Milliarden US-Dollar erreicht – mehr als ein Drittel des gesamten russischen Afrika-Geschäfts. Ägypten wiederum bezieht 80 Prozent seines Weizens aus Russland. Das Kernkraftwerk Al-Dabaa dient nach wie vor als Vorzeigeprojekt des staatlichen Nuklearkonzerns Rosatom in Afrika und soll bis 2030 vollständig in Betrieb genommen werden. Dass Russland im Oktober 2023 sich vom Projekt für eine Industriezone am Sueskanal zurückzog, ist ein Rückschlag, tut der insgesamt enger werdenden Kooperation aber keinen Abbruch.

 

Nachdem die USA Äthiopien vom Investitionspaket »African Growth and Opportunity Act« (AGOA) ausgeschlossen und Sanktionen gegen äthiopische Offizielle wegen des Tigray-Krieges 2020–22 verhängt hatten, wandte sich Addis Abeba Moskau zu. Russland blockierte Resolutionen des UN-Sicherheitsrats, die die Menschenrechtsverstöße der äthiopischen Regierung anprangerten. Zudem verkaufte der Kreml das elektronische Störsendersystem »Krasukha-4« an das äthiopische Militär. Äthiopien hat sich auch zu einem wichtigen Schauplatz für Russlands Bildungsdiplomatie in Afrika entwickelt.

 

Russlands enge Beziehungen zu beiden Kriegsparteien im Sudan und zu Eritreas Präsident Isayas Afewerki sind untrennbar mit dem Streben nach einem Marinestützpunkt am Roten Meer verbunden. Solch ein Knotenpunkt würde Moskau als Machtfaktor im Indischen Ozean stärken. Seit November 2020 liegt der Entwurf eines Abkommens für solch eine Basis in Port Sudan vor. Weil Hemedti während seines Moskau-Besuchs im Februar 2022 einen russischen Stützpunkt in Aussicht gestellt hatte, kam er leichter mit Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin ins Geschäft über den Handel von Gold gegen Waffen. Als Moskau allerdings zur Erkenntnis gelangte, dass Burhan bei der Errichtung einer Basis hilfreicher sein würde, orientierte man sich dementsprechend um.

 

Mittlerweile hat Russland Eritrea und Jemen als potenzielle Alternativen für einen Marinestützpunkt ins Auge gefasst

 

Da der andauernde Bürgerkrieg und die fehlende parlamentarische Zustimmung die Akzeptanz eines russischen Stützpunktes im Sudan gefährden könnten, hat Russland Eritrea und Jemen als potenzielle Alternativen ins Auge gefasst. Eritreas offene Unterstützung für die russische Invasion in der Ukraine in der UN-Generalversammlung hebt es von den blockfreien Positionen vieler anderer afrikanischer Staaten ab. Diese Solidarität ist in Moskau nicht unbemerkt geblieben. Nachdem der russische Außenminister Sergej Lawrow im August 2018 sein Interesse am Bau einer logistischen Einrichtung in Eritrea bekundet hatte, positioniert sich Russland nun als Investor in der Hafeninfrastruktur des Landes.

 

Seit jeher erachtet Russland die jemenitische Küste als optimalen Stützpunkt für eine Basis. So erklärt sich auch die Doppelstrategie, sowohl mit den Huthis, als auch der international anerkannten Regierung die Beziehungen zu intensivieren. Bisher hat Saudi-Arabien die Lieferung russischer Anti-Schiffs-Raketen an die Huthis unterbunden. Zuletzt hatte der Anfang des Jahres freigekommene Waffenhändler Wiktor But versucht, mit der jemenitischen Terrorgruppe ins Geschäft zu kommen.

 

Ein riskantes Unterfangen, das von russischen Rachegelüsten gegenüber dem Westen motiviert ist. Russland nutzt die Huthis, um sich an den westlichen Mächten für die Lieferung von Langstreckenraketen an die Ukraine zu rächen. Gleichzeitig ist Moskaus Kurs auch Ausdruck der seit langem verfolgten Politik der strategischen Blockfreiheit, die es ermöglicht, in einem Nachkriegsszenario mit allen Parteien zu verhandeln. Die Entscheidung, die russische Botschaft in Aden Anfang 2025 wieder zu eröffnen, spiegelt diese Politik wider.

Von: 
Samuel Ramani

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