Weltweit ist ein Anstieg der Hymenorrhaphie zu beobachten. Welche Motive treiben Frauen dazu, sich das Jungfernhäutchen wiederherstellen zu lassen und wie wird im Nahen und Mittleren Osten auf diese Entwicklung reagiert?
Die ersten Assoziationen zu Jungfernhäutchen sind meist Unschuld, Reinheit oder Unversehrtheit. Das macht klar, dass es um viel mehr geht, als um eine Hautfalte, die weder als Garant für Jungfräulichkeit taugt, noch eine nachgewiesene biologische Funktion hat. Das Hymen oder Jungfernhäutchen, wie es im Volksmund heißt, ist ein Gewebesaum am Scheideneingang, von dem viele glauben, das es intakt als Beweis für sexuelle Enthaltsamkeit gilt.
Weltweit lassen Frauen aus unterschiedlichen Gründen ihr Hymen wiederherstellen. In den USA lässt sich seit einiger Zeit die Hymenrekonstruktion als neuer Lifestyle-Trend beobachten. Als besonderes Valentinstags-Geschenk, um wahre Liebe zu signalisieren oder gemeinsam das Erlebnis einer Defloration zu teilen, entscheiden sich Frauen für eine Operation. Auch in Deutschland finden sich Kliniken, beispielsweise ein Zentrum für Genitalchirurgie in München, das seinen Patientinnen für 2200 Euro »neue Höhepunkte in ihrem Leben« durch Hymenrekonstruktion verspricht.
Andere Motive haben Frauen aus wertkonservativen patriarchalen Gesellschaften, wie beispielsweise jüdisch-orthodoxe Kreise in den USA, katholisch konservative Gesellschaften in Guatemala oder traditionsgebundene Familien in Syrien, in denen zu Beginn der Ehe großer Wert auf Jungfräulichkeit gelegt wird. Wenn die Frauen beschuldigt werden, dass schon sie sexuellen Kontakt hatten, befinden sie sich in großer Gefahr. Die Konsequenzen können soziale Isolation, Scheidung oder Gewalt sein, im Extremfall auch Mord.
Der Irrglaube an das »Blut auf dem Laken«, also eine Frau würde beim ersten sexuellen Verkehr bluten, herrscht weiterhin vor. Das dies bei mehr als der Hälfte aller Frauen nicht der Fall ist, wird ausgeblendet. Auch gibt es Mädchen, die ohne Hymen geboren werden oder deren Hymen so elastisch ist, dass es selbst beim Geschlechtsverkehr nicht einreißt. Anhand des Hymens können selbst Ärzte nicht mit Sicherheit feststellen, ob eine Frau sexuell aktiv war.
Eine teure Affäre
Weltweit gibt es keine offizielle Operationsmethode für Hymenrekonstruktion. Je nach Klinik und Arzt werden verschiedene Methoden angeboten, zum Beispiel Lasertechnik oder das Einsetzten einer Gelatinekapsel. Häufig wird von einem kleinen Eingriff gesprochen und es gibt nicht genügend Aufklärung über eventuelle Komplikationen. Denn wie bei jedem Eingriff in den Körper birgt eine solche Operation auch Risiken und besonders da in den Schleimhäuten des Genitalbereichs so viele Nerven enden, wie in kaum einer anderen Körperregion. Mögliche Folgen können Infektionen, Blutungen, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr sowie Probleme bei der Geburt sein. Ein neues Hymen ist eine teure Angelegenheit, in Europa kostet die Rekonstruktion zwischen 500 bis 4000 Prozent. Der Eingriff hat keine medizinische Indikation und fällt in den Bereich der Schönheitschirurgie.
In einigen arabischen Ländern, wie etwa Syrien, ist die Hymenrekonstruktion gesetzlich verboten. Ärzte, die diese Operation durchführen, arbeiten illegal und verlangen hohe Summen, damit sich ihr Einsatz lohnt. In Tunesien ist der tabuisierte Eingriff geduldet, wird aber meist außerhalb öffentlicher Kliniken durchgeführt.
Von China bis nach Guatemala lassen Frauen ihr Hymen rekonstruieren
Unabhängig davon, welcher Religion Frauen angehören oder in welcher Region sie leben, ist global ein Wachstum der Hymenorrhaphie zu verzeichnen. Die steigende Nachfrage mag zum einen an den modernen medizinischen Möglichkeiten liegen, zum anderen bieten immer mehr Ärzte die Operation an und machen durch Marketing darauf aufmerksam.
Gesellschaften wandeln sich. Schönheitsoperationen sind akzeptierter als noch vor 20 Jahren. Praktizierte Sexualität und die Rückbesinnung auf Werte wie Keuschheit kollidieren. In den USA stieg die Nachfrage durch das Erstarken christlich fundamentalistischer Strömungen, wie zum Beispiel der amerikanischen »true love waits«-Bewegung oder der mit staatlichen Geldern finanzierte Kampagne »Silver Ring Thing«, die Enthaltsamkeit propagieren.
In Ägypten und Syrien etwa haben Errungenschaften wie der Zugang zu gemischten Universitäten den Umgang mit dem anderen Geschlecht außerhalb der Ehe vereinfacht, jedenfalls in den Metropolen. Das Internet, das außer dem aufklärenden Aspekt auch Sehnsüchte weckt, hat Einfluss auf die Sexualität von vielen jungen Menschen im arabischen Raum.
Gleichzeitig befinden sich viele in einer schwierigen Situation. Die Arbeitslosigkeit steigt, Löhne sind niedrig und es fällt jungen Menschen schwer, eine eigene Existenz zu gründen. Das Ausrichten einer Hochzeit und die Gründung eines eigenen Haushalts sind kostspielig. So steigt das Heiratsalter an und junge Menschen haben Geschlechtsverkehr ohne Trauschein. Simultan bewegen sie sich aber in einer Gesellschaft, die Sex nur im Rahmen der Ehe akzeptiert.
Die Billig-Variante: Der Jungfernhäutchen-Baukasten vom Schwarzmarkt
Der chirurgische Eingriff ist eine Möglichkeit, es gibt aber noch günstigere Lösungen. In Syrien ist der neueste Trend ein Jungfernhäutchen-Baukasten einer chinesischen Firma. Auf dem syrischen Schwarzmarkt kann man für umgerechnet 15 US-Dollar ein künstliches Plastikhymen mit Echtblutimitat kaufen. Das kleine Polster wird kurz vor dem Geschlechtsverkehr eingelegt. Durch Reibung und Druck wird Kunstblut freigesetzt.
Das künstliche Hymen hat für Wirbel in Syrien, aber auch in anderen arabischen Ländern gesorgt. In Ägypten wurde nach öffentlicher Diskussion die Einfuhr durch das Gesundheitsministerium verboten. Mohammad Habash, syrischer Parlamentsabgeordneter und islamischer Gelehrter, schlug vor, das künstliche Hymen legal nach Syrien zu importieren. Auf diesem Weg ließe sich die Verträglichkeit testen und mögliche Risiken bei der Anwendung ausräumen. Vergewaltigten Frauen würde durch das künstliche Hymen die Möglichkeit eingeräumt, zu heiraten ohne stigmatisiert zu werden, meint Habash.
Die verlorengegangene Kontrollfunktion
In der Diskussion der muslimischen Religionsgelehrten wird die weibliche Sexualität als ein Faktor gesehen, der die gesellschaftliche Ordnung durcheinander bringen könnte. Deshalb wird versucht, die Sexualität der Frau so gut es geht zu regulieren. Das Hymen hat hierbei eine Kontrollfunktion, jedoch ist diese unter den Geistlichen umstritten.
Weil Frauen nun durch Hymenrekonstruktion ihr Jungfernhäutchen operativ wiederherstellen können, fällt die angenommene Kontrollfunktion des Hymens weg. Daher wird Hymenrekonstruktion im islamischen Recht sehr kontrovers diskutiert. Während die eine Fraktion Hymenorrhaphie konsequent ablehnt und darin die Aufforderung zur Unzucht sieht, betrachtet die andere Fraktion die OP als Möglichkeit, vergangene Fehler zu verdecken und durch das Aufrechterhalten der Ehe den Frieden und die Ordnung in der Gesellschaft zu wahren.
Die erste öffentliche medizinethische Debatte um Hymenrekonstruktion wurde 1987 bei einer Tagung der »Islamic Organization of Medical Sciences« (IOMS) geführt. Es wurde diskutiert, ob Ärzte solche Operationen durchführen sollten. Der damalige Beschluss verbot alle Änderungen am menschlichen Körper, die Betrugscharakter hätten, wie zum Beispiel Schönheitsoperationen. In Ägypten wurden in den 1990er Jahren immer wieder Fälle von Hymenrekonstruktion erlaubt, meist für Frauen, die vergewaltigt wurden.
Zuletzt flammte dort die Diskussion um Hymenrekonstruktion 2007 wieder auf. Suad Ṣalih, eine Muftia, nahm in einer Fernsehshow ihre vor fünf Jahren erlassene Fatwa zurück, in der sie Hymenrekonstruktion verbot. Nun legitimierte sie die Wiederherstellung des Hymens für vergewaltigte und verführte Frauen. Die verführten Frauen sollten ihre Tat lediglich bereuen, dann sei eine Hymenrekonstruktion im Rahmen der Scharia erlaubt. In einer Talkshow im ägyptischen Fernsehen im Februar 2007 äußerte sich Ägyptens Großmufti Ali Gumaa zur Hymenwiederherstellung und erlaubte sie in fast allen Situationen, außer bei Frauen, die mutwillig und regelmäßig außerehelichen Sex hätten. Durch den operativen Eingriff könne man die Institution der Ehe schützen, meint Gumaa – und das sei vom größten Nutzen für die Gesellschaft.