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Marokko bei der Frauenfußball-WM

Angriff der Atlas-Löwinnen

Feature
Marokko bei der Frauenfußball-WM
CAFOnline

Marokkos Traumlauf bis ins WM-Halbfinale war auch Ergebnis der Fußball-Strategie des Königreichs. Nun will das Frauen-Team die Erfolgsgeschichte weiterschreiben. Was den Frauenfußball in Marokko von Katar unterscheidet und was vom Auftaktgegner der deutschen Mannschaft zu erwarten ist.

Erst vor wenigen Monaten feierten Marokkos Herren den Einzug ins WM-Halbfinale – bisher der größte fußballerische Erfolg des Landes. Die Begeisterungswelle erfassten auch zahlreiche andere arabischen Staaten – in Tunesien, Ägypten und Algerien bejubelten die Menschen die Leistung der Marokkaner beinahe ebenso euphorisch. Marokko ist Vorreiter und Vorbild – und nicht zuletzt auch Repräsentant für den arabischen Fußball.

 

Im Sommer 2023 steht das marokkanische Nationalteam wieder im Fokus – dieses Mal das der Frauen. Auch sie schrieben mit der Qualifikation für die WM in Australien und Neuseeland Geschichte. In Marokko wird die WM von Arryadia, dem Sportkanal der staatlichen Rundfunk- und Fernsehgesellschaft (SNRT), übertragen. Doch auch auf den Social-Media-Kanälen des marokkanischen Fußballverbandes, der über die Herren- wie die Frauennationalmannschaft berichtet, herrscht im Vorfeld der WM rege Aktivität, vor allem unter dem Hashtag #dimamaghrib (»immer Marokko«).

 

Dass der Frauenfußball gerade in Marokko derzeit einen so großen Aufschwung erfährt und das Team sich bei der WM durchaus gute Chancen ausrechnen kann, kommt nicht von ungefähr: Als 2018 der Afrika-Cup der Frauen im Jahr 2022 an Marokko vergeben wurde, begann die Regierung massiv in die sportliche Infrastruktur des Landes zu investieren. Mit Millionen-Investitionen stärkte man die heimischen Vereine der 1. und 2. Liga, die Spielerinnen bekamen einen festen Mindestlohn zugesagt und jedem Verein wurde auferlegt, eine U17- und eine U15-Mannschaft zu unterhalten.

 

Viele der marokkanischen Spielerinnen sind längst im europäischen Klubfußball angekommen

 

Diese Entwicklung stärkt nicht nur das Fundament des marokkanischen Fußballs im Allgemeinen, sondern trägt auch dazu bei, Marokkos Aussichten auf den WM-Zuschlag zu erhöhen. Denn seit Jahrzehnten bemüht sich das nordafrikanische Land vergeblich um die Ausrichtung einer WM-Endrunde. Beim fünften Versuch für die WM 2026 scheiterte das Königreich an einem zentralen Punkt: Die sportliche Infrastruktur war noch nicht gut ausreichend ausgebaut. Mittlerweile geht Marokkos Bewerbung gar als Favorit in die Vergabeentscheidung, die die FIFA vor wenigen Wochen in den Herbst verlegte. Dank neuer Nachwuchszentren und einer Partnerschaft mit Spanien und Portugal soll der WM-Traum 2030 endlich wahr werden.

 

Vor allem eine derart erfolgreiche Frauenmannschaft dürfte Marokkos Profil weiter stärken, schließlich gehört auch das zum Auflagenkatalog der FIFA. Was in Katar Feigenblatt und Mittel zum Zweck war, ist in Marokko durchaus ein ehrlicheres Unterfangen. Außerdem schafft das Königreich Grundlagen, die in der regionalen Nachbarschaft, wie zum Beispiel in Tunesien oder Algerien, noch stiefmütterlich behandelt werden: den Fußballnachwuchs im eigenen Land heranziehen und ausbilden. Im neu errichteten »Complexe Mohammed VI de Football« in Salé, der gleichzeitig Sportinternat für junge Nachwuchstalente der einhemischen Klubs ist, trainieren die 15- bis 16-jährigen Jungs und Mädchen auf rund 30 Hektar für ihren Einsatz in Stadien auf der ganzen Welt. Die 60 Millionen US-Dollar teure Anlage hat König Muhammad VI. 2019 höchstpersönlich eingeweiht.

 

Der Erfolg dieser sportlichen Investitionen ließ nicht lange auf sich warten. Im Sommer 2022 stürmten die »Atlas-Löwinnen« bis ins Finale des Afrika-Cups und qualifizierten sich damit gleichzeitig für die Weltmeisterschaft. Eine steile Erfolgskurve für ein Team, das bis vor einem Jahr wenige auf dem Schirm hatten. Dabei sind viele der Spielerinnen längst im europäischen Klubfußball angekommen.

 

Über 50.000 Zuschauer verfolgten im vergangenen Juli im Moulay Abdallah-Stadion in Rabat das Finale

 

Mehr als die Hälfte des marokkanischen WM-Kaders stellen Vereine im Ausland, darunter sechs aus Frankreich, zwei aus Belgien und einer aus der englischen Premier League. Doch gerade die Leistungsträgerinnen spielen nicht bei Tottenham oder Nantes – sondern in der marokkanischen Hauptstadt. Zehn von Ihnen stehen beim AS FAR Rabat unter Vertrag, mit zehn Meisterschaften nicht nur der erfolgreichste Verein in Marokko, sondern auch der derzeitige Titelträger der Afrikanischen Champions League.

 

Herz des Teams ist Kapitänin Ghizlane Chebbak. Sie ist die Tochter des ehemaligen Nationalspielers Larbi Chebbak, der in den 1970er-Jahren für Marokko auflief. Die 32-jährige Stürmerin erzielte in ihren bisher 60 Länderspielen 21 Tore und wurde beim Afrika-Cup im eigenen Land vor einem Jahr als beste Spielerin des Turniers ausgezeichnet. Über 50.000 Zuschauer verfolgten im vergangenen Juli im Moulay Abdallah-Stadion in Rabat das Finale, in dem die Gastgeberinnen knapp mit 1:2 gegen Südafrika unterlagen.

 

Dass die Verteidigung der »Atlas-Löwinnen« um Zineb Radouani, Nouhaila Benzina, Najat Badri, Hanane Ait El Haj (alle AS FAR Rabat) sowie Yasmin M’Rabet (FC Levante Las Planas) und Nesryne El Chad (OSC Lille) breit aufgestellt ist, zeigte sich in den Vorbereitungsspielen gegen Italien (Weltranglisten-Platz 16) und die Schweiz (Weltranglistenplatz 20). Dort konnten die Marokkanerinnen (Weltranglistenplatz 72) beide Male ein Remis erzielen.

 

Trotz der positiven Resultate dürfte es für den französischen Trainer Reynald Pedros, in den 1990er-Jahren selbst Nationalspieler für die »L՚Équipe Tricolore«, Sorgen bereiten, dass sein Team in allen drei Testspielen vor dem Turnier kein einziges Tor erzielte. Gegen Deutschland will man im Eröffnungsspiel trotzdem eine gute Figur machen und zumindest eine Niederlage vermeiden, heißt es vor der Partie. Die beiden Mannschaften sind sich bisher noch nie auf dem Rasen begegnet, doch das Team von Martina Voss-Tecklenburg geht als klarer Favorit in die Partie. Das waren aber auch Belgien und Spanien bei der Herren-WM in Katar.

Von: 
Sophia Hiss

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