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Interview über Marschgebiete im Irak

»Der Damm bedroht eine einzigartige Kulturlandschaft«

Interview

Die Marschgebiete im Südirak sind ein mesopotamisches Wahrzeichen. Der irakische Umweltschützer Jassem al-Asadi über das türkische Stauprojekt »Illisu« am oberen Tigris und dessen gravierende Folgen für sein Land.

zenith: Herr al-Asadi, 2014 ist es so weit: Die Türken wollen den Staudamm von Illisu am Oberlauf des Tigris fertigstellen, um sauberen Strom zu produzieren und den Fluss für die landwirtschaftliche Nutzung regulieren zu können. Welche Konsequenzen hat das für die Marschlandschaften im südlichen Irak?

Jassem al-Asadi: Lebensbedrohliche. Die Marschen hier hängen vor allem vom Wasser aus Euphrat und Tigris ab. Sie werden zum Teil austrocknen. Der Illisu-Damm staut ja annähernd 11 Milliarden Kubikmeter. Das bedeutet, dass der Tigris zunächst mindestens 50 Prozent seines Wassers verliert. Es gäbe dann keinerlei Reserven. Nicht nur die Marschen werden leiden, sondern auch die Landwirtschaft.

 

Sie und Ihre Umweltorganisation »Nature Iraq« haben im vergangenen Herbst eine »Tigris-Flotte« auf den Weg geschickt. Mit Kajaks und Schilfbooten im sumerischen Stil sind sie dort, wo er befahrbar war, den Tigris hinabgerudert. Was steckte dahinter?

Wir wollen eine nachhaltigere, gemeinsame Nutzung der Flüsse Mesopotamiens erreichen und die Gemeinden und Anrainer vernetzen. Und natürlich auf die Probleme aufmerksam machen. Aus Sicherheitsgründen musste die »Tigris-Flotte« einige Passagen auslassen. Aber es war eine großartige Aktion und ein großes Fest, als wir am 15. Oktober hier in Chibayish eingetroffen sind.

 


Jassim al-Asadi 

ist Wasser-Ingenieur und Regionalleiter der Organisation »Nature Iraq« in den Marschgebieten von Chibayish. Er gehört den Ahl al Hor an, wie die Marsch-Araber auch genannt werden. 


 

Die Türken scheinen sich aber nicht von ihrem Plan abbringen zu lassen, die Stauseen am Illisu-Projekt zu fluten.

Wir haben uns mit türkischen Umweltaktivisten getroffen. Auch die irakische Regierung, das Wasserministerium und das Außenministerium, verhandelten mit den Türken. Aber ohne Erfolg. Es gibt nicht genug Wasser für solche Projekte, wir müssen es fair teilen. 96 Prozent des Euphratwassers kommen aus der Türkei; beim Tigris sind es über 80 Prozent. Die Türken haben in den letzten 20 Jahren 23 Dammprojekte umgesetzt. Wir brauchen andere Ansätze.

 

Woran denken Sie?

Nun, der Handel zwischen dem Irak und der Türkei beläuft sich nun auf mehr als 12 Milliarden US-Dollar jährlich. Der Irak ist derzeit eines der wichtigsten Exportländer für die Türkei. Da sollten die Türken ein Interesse haben, dass das auch so bleibt. Vielleicht kann der Irak auch Strom aus der Türkei bekommen. Wir müssen uns zusammensetzen. Übrigens auch mit den Iranern, die ja ebenfalls viel in den Irak exportieren, uns aber Probleme beim Wasser bereitet haben.

 

Iran und der Irak sind über den Karun-Fluss verbunden und teilen sich die Marschgebiete, unter anderem die Ahwaz-Marschen.

Ja. 2004 gab es ein Treffen zwischen Irakern und Iranern in Genf, um über Umwelt- und Gewässerschutz zu sprechen. Ich war dabei, als Ingenieur im irakischen Wasserministerium. 58 Prozent des Wassers in den Ahwaz-Marschen kam aus dem Iran, der Rest aus irakischen Flüssen, wir tragen also eine gemeinsame Verantwortung. Bis heute haben wir uns nicht mehr getroffen. Und kurz nach dem ersten Treffen haben die Iraner den Zufluss der Marschen an mehreren Stellen sogar abgedeicht. Dabei haben wir doch ähnliche Probleme.

 

Die Marschen im südlichen Mesopotamien wurden von Saddam Hussein fast trockengelegt, nach 2003 aber wieder erfolgreich geflutet. Sie sind heute ein einzigartiges Natur- und Kulturdenkmal. Wie steht es mit den Plänen, sie zum Nationalpark zu erklären?

2007 haben wir mit Hilfe der Italiener begonnen, eine Strategie für die Marschen zu entwickeln. Dazu gehört die Einrichtung eines Nationalparks für die Feuchtbiotope. 2009 waren wir mit der Management-Planung und der Machbarkeitsstudie fertig. Seitdem warteten wir darauf, dass das Ministerium zustimmt. Nun, im Herbst 2013, haben wir endlich einen positiven Beschied. Ein Teil der Marschen soll zum Nationalpark werden. Aber es ist wichtig, das nicht nur so zu nennen, sondern auch so zu behandeln. Die Gesetzgebung zum Umweltschutz ist nicht schlecht, aber sie wird überhaupt nicht überwacht. Wir brauchen eine Natur- und Umweltpolizei. 9.600 Quadratkilometer Marschgebiet im Süden sind schließlich eine gewaltige Fläche.

 

Sie sitzen hier in Chibayish als Umweltaktivist und könnten als Hydro-Ingenieur Staudämme mitbauen und dabei viel Geld verdienen. Was hält sie hier?

Einige sagen, dass wir Marsch-Araber von den Sumerern abstammen. Ich liebe diese Landschaft, auch weil sie so viel Kultur erleben lässt. Eine einzigartige Kultur, auch wenn das Leben einfach ist. Saddam Hussein hätte sie fast zerstört, aber wir haben gekämpft, um sie zu erhalten und wieder zu beleben.

Von: 
Daniel Gerlach

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