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Kritik an Buch über Poesie der Taliban

Dichtende Taliban?

Kommentar

Mit einem Buch über die Poesie der Taliban sorgten zwei Feldforscher aus Großbritannien und Deutschland für Aufheben. Doch längst nicht alle darin enthaltenen Gedichte stammen aus der Feder von Taliban-Kämpfern.

In dem 2012 erschienenen Buch »Poetry of the Taliban« gaben die Autoren Alex Strick van Linschoten und Felix Kühn vor, eine von afghanischen Taliban-Kämpfern verfasste Gedichtsammlung zu präsentieren. Das Buch löste heftige Reaktionen aus und erntete teilweise auch negative Kritik. Viele Menschen sahen darin eine Art positive Propaganda für die radikalislamischen Kämpfer.

 

Dabei übersehen sie, dass die Dichtkunst seit jeher ein wichtiger Bestandteil der afghanischen Kultur ist – und man im Buch nicht nur Taliban-Werke bestaunen kann. Strick van Linschoten und Kühn reisten eine Zeit lang durch Afghanistan, unter anderem lebten sie in der südlichen Stadt Kandahar, welche seitens der Medien immer wieder als »Taliban-Hochburg« betitelt wird. Während ihres Aufenthalts sammelten die zwei jungen Autoren über dreihundert Gedichte, die in Paschto verfasst wurden und übersetzten sie ins Englische.

 

Van Linschoten und Kühn gaben an, dass sie allesamt aus der Feder von Taliban-Kämpfern stammten. Nach eigenen Angaben wollten die Autoren sowie der Verlag mit der Publikation lediglich verdeutlichen, dass auch die Taliban nur »Menschen mit Gefühlen« seien. So weit, so gut. Doch wenn überhaupt, dann ist das nur die halbe Wahrheit. Nachdem das Werk veröffentlicht wurde, zog es auch das Interesse des afghanischen Journalisten und Dichters Hanan Habibzai auf sich. Dieser wurde beim Lesen auf Gedichte aufmerksam, die nicht von irgendwelchen Fanatikern oder Analphabeten stammten, sondern von Dichtern, die in Afghanistan alles andere als unbekannt sind.

 

Schon seit Jahrhunderten ist die Dichtkunst fest innerhalb der afghanischen Gesellschaft verankert

 

Einer von ihnen ist Ezatullah Zawab. Der Dichter ist unter anderem als Journalist tätig und schreibt für die afghanische Nachrichtenagentur Pajhwok News. Seltsamerweise landeten einige seiner Werke ebenfalls in dem Buch von Van Linschoten und Kühn. Von einigen englischsprachigen Medien wurde Zawab in der Vergangenheit daraufhin gar als »Taliban-Poet« bezeichnet. Ein fanatischer Extremist mit schwarzem Turban und Kalaschnikow ist Zawab mitnichten.

 

Allerdings gilt er als scharfer Kritiker der amerikanischen Besatzung. Im Jahr 2008 deckte Zawab in der östlich von Kabul gelegenen Provinz Nangarhar ein Massaker auf. Damals wurde eine Hochzeitsgesellschaft von US-Kampfjets bombardiert. 55 Menschen – unter ihnen zahlreiche Frauen und Kinder – kamen dabei ums Leben. Ezatullah Zawab schreibt und dichtet in Paschto, der Sprache der Paschtunen, die auch den Großteil der Taliban ausmachen.

 

Zusätzlich kritisiert er die fremde Besatzung und deckt ihre Verbrechen auf. Warum er aus diesen Gründen als »Talib« bezeichnet wird, ist unverständlich. Genauso fragwürdig ist es, warum die beiden Autoren seine Werke für ihr Buch übersetzten. Das mediale Echo auf »Poetry of the Taliban« war beachtlich. Kaum jemand schenkte jenen Personen Gehör, die auf die Fehler der beiden Autoren aufmerksam machten. Tatsächlich ist die Dichtkunst schon seit Jahrhunderten fest in der afghanischen Gesellschaft verankert.

 

Diese historische Tatsache hat zunächst einmal nichts mit den Taliban zu tun. Allerdings ist über die Jahrhunderte das Verseschmieden gegen fremde Besatzer – ob nun Moguln, Briten oder Amerikaner – ebenso fester Bestandteil dieser Dichtkunst geworden. Laut afghanischen Sagen, Legenden aber auch Geschichtsbüchern gilt Amir Kror Suri, der im 8. Jahrhundert nach Christus lebte, als erster Dichter des Paschto. Daneben soll er angeblich als  Erster seine Poesie mit der Kriegskunst verbunden haben – sein Beiname »Kror« bedeutet auf Paschto »stark«.

 

Die Kunst des Verseschmiedens und die Kriegsführung

 

Um einen weiteren großen Dichter der afghanischen Geschichte handelt es sich bei Ahmad Schah Durrani, dem ersten Emir und Gründer Afghanistans, aus dem 18. Jahrhundert. Der Emir dichtete nicht nur in Paschto, sondern auch auf Persisch. Zuvor produzierte im 17. Jahrhundert der Poet Khuschal Khan Khattak zu Lebzeiten über 45.000 Gedichte und mehr als 200 Bücher und tat sich daneben auch im Widerstand gegen die indischen Mogul-Herrscher hervor.

 

Das Bild von Khattak, der in einer Hand die Feder und in der anderen sein Schwert geführt haben soll, ist bis heute in Afghanistan populär. Der wohl bekannteste paschtunische Dichter ist aber wohl Abdul Rahman Mohmand, auch als »Rahman Baba« bekannt. Mohmand war Mitglied eines mystischen Sufi-Ordens – kein Krieger, aber ein Mystiker, der den Großteil seines asketischen Lebens mit Meditation verbrachte. Seine unzähligen Werke werden bis heute noch auf traditionelle Art und Weise mit Musik kombiniert.

 

Wohl dem, der seine Gedichte vor den westlichen Autoren zu verbergen wusste

 

Auch der weithin bekannte, aus der nordafghanischen Balch-Region stammende Jalaluddin Rumi war ein Sufi. Während die Persisch sprachigen Dichter und Mystiker auch vielen Europäern ein Begriff sind, bleiben Persönlichkeiten wie Rahman Baba außerhalb Afghanistans weitestgehend unbekannt. Stattdessen landen sie posthum in einen Topf mit den Taliban und anderen Extremisten.

 

Matiuallah Turab, gegenwärtig einer der bekanntesten Dichter Afghanistans – und selbst der New York Times ein ausführliches Porträt wert – ist ein Mann mit einem wilden Vollbart. Er kann weder schreiben, noch lesen. All seine Werke kreiert er in seinem Kopf, jedes Einzelne kann er auswendig. Wenn Turab ein Gedicht vorträgt und mit seiner markanten, bebenden Stimme mit den Worten spielt, sammeln sich Politiker und andere Würdenträger um ihn. Selbst Präsident Hamid Karzai hat ihn bereits empfangen.

 

Auch Turab gilt als Kritiker der Besatzung. Immer wieder machte er auf das Leid aufmerksam, welches Afghanistan seit Jahrzehnten heimsucht. Er beklagt sich über mordende Soldaten, korrupte Politiker und über die Weltpolitik. Glücklicherweise kann Turab nicht schreiben. Womöglich wäre sonst auch eines seiner Werke in die Hände von van Linschoten und Kühn geraten und als »Taliban-Werk« verkauft worden.

Von: 
Emran Feroz

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