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Militäroffensive im Vorwahlkampf

Militäroffensive im Vorwahlkampf

Analyse

In Falludscha und Ramadi sind Proteste gegen die Regierung Maliki in einen offenen Aufstand umgeschlagen. Der Premier hat eine Konfrontation herbeigeführt, in der er sich für eine dritte Amtszeit empfehlen oder endgültig scheitern kann.

Am 21. Dezember 2013 musste die irakische Regierung den Tod von 24 Offizieren der 7. irakischen Armeedivision melden. Die Soldaten waren in einem Hinterhalt von Al-Qaida-Kämpfern ermordet worden. Unter den Toten befand sich auch der kommandierende General der Division, die in der westirakischen Provinz Anbar den Terror bekämpfen sollte. In Bagdad stellte Premierminister Nuri al-Maliki das Massaker als weitere »Katastrophe« in die lange Reihe von Al-Qaida-Angriffen, die das Land seit einem Jahr erlebt:

 

»Die Situation in Anbar ist nicht akzeptabel und unsere Aufgabe ist es, Terroristen nicht gewähren zu lassen«, erklärte Maliki der Presse. Den Aufständischen müssten jetzt alle Rückzugsgebiete abgenommen werden. Diese seien auch in Protestcamps von Regierungskritikern in Falludscha und Ramadi zu finden: »Die Sit-Ins in Anbar haben sich zu Hauptquartieren der Al-Qaida Führung gewandelt«, so Maliki.

 

Daher sei es an der Zeit, die Camps aufzulösen. Von den Betroffenen wurde die Erklärung des Premierministers rasch als empörende Gleichsetzung empfunden: Die seit Monaten andauernden Massenproteste in Anbar, auf denen die Regierung regelmäßig für die Diskriminierung von Sunniten, die willkürliche Polizeigewalt und die grassierende Korruption verantwortlich gemacht wurde, hatte Maliki in eine Reihe mit den Terrorangriffen von Al-Qaida gestellt.

 

Entsprechend aufgebracht kündeten mehrere Organisatoren – unter ihnen prominente Stammesführer – offenen Widerstand an, sollte der Premierminister die Staatsmacht gegen die Demonstranten einsetzen. Iraks höchster sunnitischer Geistlicher, Großmufti Rafi al-Rifai warnte am 23. Dezember vor einer Eskalation: »Die Bemerkungen von Premierminister Nuri al-Maliki sollen die Sit-Ins beenden; aber sie schütten eher Öl ins Feuer und sie führen eine angespannte Sicherheitslage herbei, die zu Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und den Bürgern führen wird.«

 

Unbeeindruckt setzte der Regierungschef den Protestlern am 27. Dezember ein letztes Ultimatum – die Menschen sollten ihre Zeltstadt verlassen, bevor sie »brenne«. Zwei Tage später rückten Einheiten der irakischen Armee in Ramadi ein und besetzten das Stadtzentrum mit Unterstützung von Polizei und regierungsnahen Stammeskämpfern. Dabei kam es nur zu kleineren Übergriffen und Gefechten, sodass die Armee die Stadt bereits am folgenden Tag wieder verlassen konnte.

 

Doch am 1. Januar wurden die verbliebenen Sicherheitskräfte in Ramadi angegriffen und in ihren Quartieren und Checkpoints überrannt. Zeitgleich bemächtigten sich Rebellen in Falludscha der Stadtverwaltung. In beiden Städten hissten die Bewaffneten die schwarze Flagge von Al-Qaida im Irak (AQI). Am 3. Januar musste die Regierung erklären, dass sie die Kontrolle über Falludscha und Teile Ramadis verloren habe.

 

Maliki nahm die Eskalation in Kauf – und sicherte sich die Unterstützung des sunnitischen Establishments in Anbar

 

Trotz vorhergehender Warnungen hatte Bagdad diese mögliche Eskalation des Konflikts in Kauf genommen. Dabei hatte bereits im vergangenen April die gewaltsame Räumung eines Protestcamps in der Stadt Hawija massive Gegenwehr ausgelöst. Damals wurde die irakische Armee mehrere Tage in offene Gefechte mit Aufständischen verwickelt, an deren Spitze sich rasch radikale Kräfte stellten.

 

Im Fall von Ramadi war es wahrscheinlich, dass der Nutznießer schließlich Al-Qaida sein würde: Seit September 2013 hatten die Dschihadisten des Al-Qaida-Ablegers »Islamischer Staat im Irak und in Syrien« (ISIS) die direkte Konfrontation mit den Sicherheitskräften und den Schulterschluss mit empörten Demonstranten gesucht. Hatte das Terrornetzwerk in der ersten Jahreshälfte vorwiegend mit Bombenanschlägen und spektakulären Gefangenenbefreiungen auf sich Aufmerksam gemacht, wurden nun Stützpunkte von Polizei und Militär in sunnitischen Landesteilen systematisch angegriffen.

 

Dabei hatten die Dschihadisten im Oktober sogar Gebäude in der Protesthochburg Falludscha besetzt und sich ein neunstündiges Feuergefecht mit der Polizei geliefert. Diese drastische Verschlechterung der Sicherheitslage hatte die Regierung unter Zugzwang gesetzt,  nach dem Massaker vom 21. Dezember spitzte sich die Lage erneut zu. Dass der Premierminister sich dabei nicht allein auf eine Militäroffensive gegen Al-Qaida Basen in der Wüste von Anbar beschränken wollte, sondern auch die Demonstranten in Ramadi und Falludscha ins Visier nahm, wurde von vielen Seiten unterstützt.

 

Seitdem auf den Massenprotesten anti-schiitische Parolen laut wurden und vereinzelt Flaggen von AQI gezeigt wurden, galten die Protesthochburgen in Regierungskreisen als »Rückzugsräume für Terroristen«. In dieser Sicht wurde Maliki auch von Anbars Parlamentssprecher Sabah Karhout und von Scheich Muhammad al-Hayes, dem militärischen Führer der Erweckungsräte, bestärkt.

 

Weitere Unterstützung aus dem sunnitischen Establishment erhielt Maliki von dem prominenten Scheich Ahmad Abu Risha, der wie schon 2006 seine Anhänger zum Kampf gegen die Dschihadisten aufrief: »Sie sind zurück und ich bin froh, dass sie sich aus ihrem Versteck gewagt haben, wo sie die Sicherheitskräfte nicht gefunden haben. Möge dies die entscheidende Konfrontation mit Al-Qaida sein.«

 

Die fragile politische Bilanz hängt vom weiteren Vorgehen der Streitkräfte ab

 

Bei seinem Entschluss, staatliches Durchgreifen zu demonstrieren, dürfte Nuri al-Maliki aber auch die Zustimmung seiner schiitischen Wähler im Blick gehabt haben, die ihn bei den Nationalratswahlen im April 2014 in seinem Amt bestätigen sollen. Denn nach immer häufigeren Terroranschlägen im Sommer und Herbst fordern die Menschen im Südirak erneut Stabilität. Diese sehen sie zunehmend nicht mehr durch Polizei und Armee garantiert, sondern erwarten sie von streng religiösen Milizen und deren politischen Führern.

 

Der politische Druck auf Maliki, die Ausgangslage seines Wahlbündnisses im bevorstehenden Wahlkampf durch einen demonstrativen Militäreinsatz zu verbessern, ist dadurch stetig gewachsen. Dabei hatte Maliki bisher tendenziell Erfolg: Gemeinsam mit sunnitischen Stammeskämpfern haben die Sicherheitskräfte die Aufständischen weitgehend aus Ramadi verdrängt. Eine landesweite Revolte wurde nicht ausgelöst – trotz kurzfristiger Operationen von AQI in Abu Ghraib, Hit, Husseba und Khaldiya.

 

Falludscha bleibt zwar in der Hand von ISIS, doch die Stadt ist eingeschlossen und wird belagert. Im Zuge der Kämpfe wurde zudem die Protestbewegung gespalten, indem sich prominente Sunniten auf die Seite der Regierung stellten. Die verbliebene Gefahr scheint für den Regierungschef nun darin zu liegen, die politische Balance im weiteren Vorgehen zu verlieren. Denn sollte den Streitkräften die anstehende Rückeroberung Falludschas schwer fallen und weitergehende Operationen gegen Dschihadisten im irakisch-syrischen Grenzgebiet misslingen, könnte dies dem Ansehen des Oberbefehlshabers bei seinen schiitischen Wählern weiter schaden.

 

Geht die Armee hingegen mit demonstrativer Stärke auch unter Einsatz von Artillerie und Luftwaffe gegen die Rebellen vor, droht auch der Zivilbevölkerung massiver Schaden, was viele Sunniten zu neuer Wut und Gewalt aufstacheln würde. Vier Monate vor dem Wahltermin hat Nuri al-Maliki sein Land somit in blutige Kämpfe gestürzt, die nicht nur seine politische Existenz bedrohen, sondern auch die Einheit des Iraks gefährden.

Von: 
Hauke Feickert

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