Die Mine Kumtor birgt eines der größten Goldvorkommen der Welt. Seit dem Ende der Sowjet-Subventionen ist sie der Tropf, an dem die kirgisische Volkswirtschaft hängt – und ein ständiger politischer Zankapfel.
Immer höher windet sich die Straße die Berge hinauf. Ein Wegstein am Rand der Fahrbahn gibt die Meereshöhe mit 2.900 Metern an – fast so hoch wie die Zugspitze. Die Luft wird merklich dünner, auf den restlichen 1.100 Höhenmetern bis zum Ziel lässt selbst die Zugkraft des Automotors allmählich nach. Oben angekommen, verursacht jede Bewegung ein Schwindelgefühl.
Drei Besucher nehmen an diesem Tag bereits die Dienste der Medizinstation samt Sauerstoffzelt in Anspruch. Willkommen in der kirgisischen Goldmine Kumtor, einem Ort der Extreme und Superlative. Mit 606,5 Tonnen gilt Kumtor nicht nur als eines der größten Vorkommen des begehrten Metalls, es ist auch eine der höchstgelegenen Goldminen der Welt.
Entsprechend unwirtlich ist die Umgebung. Die Durchschnittstemperatur auf dieser Höhe beträgt minus 7,6 Grad Celsius. Beißend kalt pfeift der Wind über die Hochebene. Nur noch Hartgräser und kleinstes Gebüsch wachsen hier oben, die Baumgrenze hat man längst hinter sich gelassen. Den Horizont bilden Gletscher und Gipfel des Tian-Shan-Gebirges. Die chinesische Grenze ist nur 60 Kilometer entfernt.
Die hochgiftigen Rückstände werden in Deponien im Permafrostboden abgelagert
Von dem Schatz im unwirtlichen Boden Kumtors ist auf den ersten Blick nichts zu sehen: Er liegt versteckt im Fels. Die Schichten, die als Goldvorrat gezählt werden, haben hier einen durchschnittlichen Anteil von 3,3 Gramm Gold pro Tonne. Um eine einzige Feinunze Gold – also 31,1 Gramm – zu gewinnen, braucht man zehn Tonnen Gestein.
Mit der romantischen Vorstellung von der Suche nach faustdicken Nuggets hat das nichts mehr zu tun. 2011 wurden hier nach Angaben der Betreibergesellschaft Centerra Gold 150 Millionen Tonnen Gestein verarbeitet, also 413.000 Tonnen pro Tag. Zur Gesteinsmühle werden diese Massen mit fast 1.800 PS starken Speziallastwagen, den sogenannten Muldenkippern, transportiert. Jeder dazu nötige Tropfen Treibstoff muss selbst erst auf 4.000 Höhenmeter transportiert werden. Gefährlicher für die Umwelt sind jedoch die weiteren Arbeitsprozesse.
Um den Gesteinsmassen das Edelmetall abzuringen, wird das Erz fein zermahlen und in Natriumzyanidlösung aufgeschwemmt. Diese Laugung mit dem giftigen Salz der Blausäure findet unter freiem Himmel statt, da sich das Gold nur in Reaktion mit Sauerstoff löst. Dazu stehen Becken von der Größe jeweils eines Fußballfeldes mit hellblauer Brühe auf dem Minengelände.
Aus dem so erzeugten Schlamm wird in weiteren Verarbeitungsschritten Rohgold gewonnen, das schließlich zu Feingold raffiniert wird. Dieser Prozess findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt; Besucher bekommen in Kumtor keinen einzigen Goldbarren zu sehen. Die hochgiftigen Rückstände der Goldgewinnung werden in Deponien im Permafrostboden abgelagert.
Aufgrund des Klimawandels birgt dies unabsehbare Gefahren, denn Kumtor befindet sich im Einzugsgebiet des Naryn-Flusses. Der wiederum mündet in den Syr Darya, der große Baumwoll-Anbaugebiete in Zentralasien bewässert. »Sollten die gewaltigen Deponien hochgiftiger Schlämme undicht werden, dann wären davon aufgrund der Flusssysteme Millionen Menschen in Kirgistan, Usbekistan und Kasachstan betroffen«, warnt der Kulturgeograf Matthias Schmidt von der Leibniz-Universität Hannover.
Seit 1997 die kommerzielle Ausbeutung des Vorkommens in Kumtor begann, hat Centerra Gold hier mehr als 260 Tonnen gefördert – nicht zuletzt zur Freude der kirgisischen Regierung, die mit 33 Prozent an dem Unternehmen beteiligt ist. 2011 betrug die Produktion 18,1 Tonnen. Die kanadische Betreibergesellschaft geht davon aus, dass in Kumtor bei einem Goldpreis von 1.200 Dollar je Feinunze weitere 196 Tonnen wirtschaftlich gewonnen werden können.
Beim derzeitigen Preis von rund 1.600 Dollar je Feinunze entspricht dies einem Marktwert von zehn Milliarden Dollar. Mindestens weitere 149,3 Tonnen sind demnach gegenwärtig noch nicht gewinnbringend abbaubar, was sich mit effizienterer Technik oder weiter steigendem Goldpreis jedoch schnell ändern könnte.
2011 trug Kumtor fast zwölf Prozent zur Wirtschaftsleistung Kirgistans bei
Dennoch dürfte die Stimmung bei Centerra, das neben Kumtor nur eine weit weniger ergiebige Mine in der Mongolei betreibt, in den vergangenen Monaten eher verhalten gewesen sein. Ein zehntägiger Arbeiterstreik im Februar lieferte nur einen schwachen Vorgeschmack auf das, was noch kommen sollte: Nachdem ein Untersuchungsbericht Umwelt- und Gesundheitsschäden durch die Mine anprangerte, wies das kirgisische Parlament die Regierung an, die Verträge mit der Betreibergesellschaft neu zu verhandeln; einige Abgeordnete hatten sogar eine Verstaatlichung der Mine gefordert.
Ende August schließlich musste der erste Versuch abgebrochen werden, gemäß einem neuen Bergbaugesetz die Schürfrechte für einige kleinere Minen öffentlich zu versteigern. Demonstranten stürmten das Fernsehstudio, aus dem die Auktion live übertragen werden sollte. Sie verlangten, bevor die Regierung weitere Bodenschätze verkaufe, müsse sie zunächst die Überprüfung der Kumtor-Verträge abschließen.
Den Gewinnausblick für das laufende Jahr musste Centerra Gold inzwischen kräftig nach unten korrigieren. Statt ursprünglich bis zu 19,4 Tonnen Produktion rechnet das Unternehmen jetzt nur noch mit höchstens 12,75 Tonnen – deutlich weniger als in allen Jahren seit 2007. Centerra machte für den Rückgang vor allem verstärkte Gletscherbewegungen verantwortlich, die den Zugang zu besonders ergiebigen Gesteinsschichten versperrt hätten.
Der Streik vom Februar habe diesen Effekt noch verstärkt. Das wird auch die kirgisische Volkswirtschaft zu spüren bekommen, denn die hängt am Tropf des Goldes. Vergangenes Jahr trug die Mine Kumtor fast zwölf Prozent zur gesamten Wirtschaftsleistung des Landes bei, ihr Anteil an der nationalen Industrieproduktion betrug gut ein Viertel.
In den ersten sieben Monaten dieses Jahres nun schrumpfte Kirgistans Wirtschaft – auch infolge der Beeinträchtigungen in Kumtor – um fünf Prozent, was im Sommer mit zum Zerbrechen der Koalitionsregierung von Ministerpräsident Omurbek Babanow führte. Doch ganz gleich wer in Bischkek regiert, zumindest kurzfristig hat er wirtschaftlich kaum Alternativen zu der Goldmine.
Zu Zeiten der Sowjetunion wurde das heutige Kirgistan noch von den industriellen Zentren im heutigen Russland subventioniert. Diese Unterstützung brach 1990 zusammen mit dem sowjetischen Wirtschaftssystem schlagartig weg. Der Goldabbau ist der wirtschaftliche Strohhalm, an den sich die kirgisischen Regierungen seitdem klammern.