Artenschutz und reger Handelsverkehr – lange gelang Port Sudan dieser Spagat. Doch der Bürgerkrieg und die Sicherheitskrise im Roten Meer könnten einen Kollaps mit weitreichenden Folgen einleiten.
Die Beute fällt wieder einmal relativ spärlich aus. Seit Abdul-Jalil in Port Sudan ankam, versucht er sich und seine Familie mit Fischfang über Wasser zu halten. »Ich stehe im Morgengrauen auf und mache mich auf den Weg an den Strand«, erzählt der 60-Jährige. Danach stellt sich ein größeres Problem: Es fehlen potenzielle Käufer. »Viele hier leiden unter extremer Armut und haben einfach nicht genug Geld, um ihre grundlegenden Bedürfnisse zu decken.« Etwa 234.000 Menschen haben im Osten des Landes Zuflucht in einer Stadt gesucht, die selbst kaum 500.000 Einwohner zählt. Die Schätzungen wurden im Dezember 2023 erhoben, mittlerweile dürften die Zahlen noch weit höher liegen.
Seit April 2023 wurden mehr als zehn Millionen Menschen vertrieben, schätzungsweise weitere 150.000 infolge der Kampfhandlungen getötet. Durch den Krieg wurden lebenswichtige Handelsrouten sowie Transportwege für humanitäre Hilfsgüter in allen Teilen des Landes gekappt. Doch der anhaltende Konflikt im Sudan wirkt sich nicht nur auf die Menschen vor Ort aus, sondern bedroht auch die Umwelt – vor allem für das Rote Meer zeitigt der Krieg gravierende Folgen.
Tausende Sudanesen flohen nach Kriegsausbruch nach Port Sudan. Die Rotmeermetropole im Osten des Landes muss nicht nur den kontinuierlichen Zustrom an Vertriebenen bewältigen, sondern macht auch eine Umweltkrise durch. Im August 2024 brach der »Arba’at«-Damm nach heftigen Regenfällen zusammen. Zwanzig Dörfer und Zehntausende Häuser wurden überschwemmt, mindestens 132 Menschen kamen ums Leben. Tausenden Einwohnern fehlt infolge der Katastrophe der Zugang zu sauberem Trinkwasser. Zudem sind die Nahrungsmittelpreise enorm gestiegen.
Die Ausweitung des Konfliktes in den Osten des Landes könnte die Küstenregion zum aktiven Kriegsgebiet machen
Umweltverschmutzung und schwindende Ressourcen machen dem umgebenden Bundesstaat Al-Bahr Al-Ahmar (zu Deutsch: »Rotes Meer«) zusätzlich zu schaffen. Etwa 90 Prozent seines internationalen Handelsvolumen wickelt der Sudan über den einzigen Tiefseehafen entlang der 780 Kilometer langen Küste ab.
Obwohl Al-Bahr Al-Ahmar im Vergleich zu anderen Regionen wie insbesondere Darfur bislang noch keinen direkten kriegerischen Auseinandersetzungen ausgesetzt war, nehmen die »Rapid Support Forces« (RSF) unter Führung von Muhammad »Hemedti« Dagalo den Bundesstaat ins Visier. Der sogenannte Souveräne Rat, infolge der Revolution 2019 als Übergangsführung eingerichtet und nach dem Putsch zwei Jahre später in eine Militärjunta umgewandelt, ist nach Ausbruch der Feindseligkeiten mit den vormaligen Verbündeten der RSF nach Port Sudan umgesiedelt. General Abdul-Fattah Al-Burhan steht von hier aus sowohl der selbst ernannten Notstandsregierung, als auch der Kriegspartei der Sudanesischen Streitkräfte (SAF) vor. Die Ausweitung des Konfliktes in den Osten des Landes könnte in den kommenden Monaten die Küstenregion zum aktiven Kriegsgebiet machen – und das Ökosystem am Roten Meer schwer in Mitleidenschaft ziehen.
»Mir scheint es, als ob man die Tatsache ignoriert, dass die Stadt Port Sudan nicht über die notwendigen Kapazitäten, zivile Infrastruktur und die geopolitische Stabilität verfügt, um als neue Hauptstadt des fragilen sudanesischen Staates fungieren zu können«, gibt Nader Yusuf Hassanein zu bedenken. Der Generaldirektor der halbstaatlichen Beratungsagentur »University of Khartoum Corporation (UKCC)«, warnt vor einer Überlastung der spärlichen Ressourcen im Bundesstaat Al-Bahr Al-Ahmar.
Im schlimmsten Fall droht eine Erschöpfung der Fischbestände, die für die lokale Wirtschaft von enormer Bedeutung sind
»Der Fischfang in der Region bedarf einer sorgfältigen Überwachung – ansonsten könnten umweltschädliche Fangmethoden, Wilderei sowie die Zerstörung von Lebensraum das Ökosystem nachhaltig schädigen«, befürchtet der Experte für Ressourcen-Management. Der anhaltende Konflikt schwächt allerdings staatliche Institutionen, die mit Überwachung und Durchsetzung von Umweltstandards betraut sind. Im schlimmsten Fall droht eine Erschöpfung der Fischbestände, die für die lokale Wirtschaft von enormer Bedeutung sind.
Dabei haben es die Menschen in der Küstenregion über Jahrzehnte verstanden, die Meeresressourcen nachhaltig zu nutzen. Al-Bahr Al-Ahmar ist für seine beeindruckenden und oft unberührten Lebensräume bekannt, insbesondere die Korallenriffe. Bisher konnten diese Naturräume geschützt werden. »Der Krieg bedroht nicht nur Lebensräume an Land, sondern auch zu Wasser«, befürchtet Hassanein.
Die sudanesische Küste zeichnet sich vor allem durch seine Lagunen und Korallenriffe aus. Während einige Arten auch im Indischen Ozean leben, kommen andere ausschließlich im Roten Meer vor. Zu den bekanntesten Fischarten in den Gewässern zählen der Indopazifische Tarpun, der Großaugenbarsch und der Lachshering, daneben auch diverse Arten von Riemen-, Milch-, Soldaten- und Steinfischen sowie mehr als 320 Haiarten, darunter der Tiger- und der Hammerhai. Zudem umfasst die Fauna der küstennahen Fanggründe mehrere Arten von Weich-, Schalen- und Krebstieren.
Ölverschmutzungen, die Abholzung von Mangroven und Überweidung nehmen in Kriegszeiten zu. Besonders stark betroffen sind die drei Meeresschutzgebiete des Sudan: Der Sanganeb-Nationalpark, die Dungonab-Bucht und die Mukawwar-Inseln liegen alle im Bundesstaat Al-Bahr Al-Ahmar. Die Dungonab-Bucht etwa 125 Kilometer nördlich von Port Sudan umgibt die Mukawwar-Inseln, die 30 Kilometer vor der Küste liegen. Im Jahre 2004 wurde das Areal zum Meeresnaturschutzgebiet erklärt. Neben Populationen von Gabelschwanzseekühen bieten diese Schutzgebiete Nistplätze für Meeresschildkröten, Seevögel und beheimaten saisonale Fischarten wie Haie und Mantarochen.
Die Hafenstadt ist nicht nur für den Sudan, sondern auch eine Reihe anderer Länder von existenzieller Bedeutung
Auch die anderen Konflikte der Region haben weitreichende Konsequenzen für das Rote Meer und seine Anrainer. Angesichts der Sicherheitsbedrohungen infolge des Gaza-Kriegs und des Beschusses durch die Huthis sind viele Schifffahrtsunternehmen dazu gezwungen, den Warenverkehr im Roten Meer einzustellen oder über das Kap der Guten Hoffnung umzuleiten. Längere Routen und die damit verbundenen erhöhten Kosten – sowohl für Treibstoff als auch für die Arbeitskräfte – lassen bereits jetzt die Transportkosten in die Höhe schnellen. Auch die Preise für die Schiffscontainer haben sich verdreifacht. Zugleich lässt sich ein deutlicher Rückgang des täglichen Schiffsverkehrs über den Suezkanal beobachten.
»Sollte die Lage weiter eskalieren, müsste der Transport von grundlegenden Gütern und humanitärer Hilfe Richtung Horn von Afrika und Rotes Meer eingestellt werden«, warnt Nader Yusuf Hassanein. Der Rückgang des Schiffverkehrs über die primären Häfen am Roten Meer betrifft auch Port Sudan. Die Hafenstadt ist nicht nur für den Sudan, sondern auch eine Reihe anderer Länder von existenzieller Bedeutung. So laufen etwa sämtliche Erdölexporte des Südsudan über den Containerhafen. Auch der Handel mit Eritrea, Dschibuti, Somalia und Somaliland ist stark zurückgegangen und hat Exporte und Einnahmen dieser Staaten einbrechen lassen.
In Kriegszeiten kommen ökologische Herausforderungen immer zu kurz. So erschwert der anhaltende Konflikt die Umsetzung der Sicherheitsvorschriften für den Seeverkehr. Im Jahre 2005 hatte der Sudan das »Protokoll zur Erhaltung der biologischen Vielfalt und der Errichtung von Naturschutzgebieten« sowie das »Protokoll zum Schutz der Meeresumwelt vor Aktivitäten im Roten Meer und dem Golf von Aden« unterzeichnet. Beide Abkommen sind Ergänzungen zum »Regionalen Übereinkommen zur Erhaltung der Umwelt des Roten Meeres und des Golfs von Aden«.
Jedoch konzentriert sich die Regierung unter General Burhans Kontrolle von Port Sudan aus in erster Linie auf die laufenden militärischen Aktivitäten. Dank neuer Abkommen zur Waffenhilfe mit Iran, Russland und Saudi-Arabien wähnt sich die SAF im Aufwind und spekuliert darauf, den Konflikt mit den RSF nach einem Jahr in der Defensive doch noch mit einem Sieg auf dem Schlachtfeld zu den eigenen Gunsten zu entscheiden.