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Waffentechnologie und der Krieg in Sudan

Wie die Drohnenangriffe den Krieg in Sudan verändern

Analyse
Waffentechnologie und der Krieg in Sudan
Sudanesisches Ministerium für Kultur und Information

Die neue Fähigkeit der RSF, Ziele in ganz Sudan zu treffen, verändert die Dynamik des Kriegs aufs Neue. Ob sich daraus ein strategisches Patt ergibt, das Verhandlungen begünstigen könnte, hängt jedoch auch maßgeblich von den externen Unterstützern der Kriegsparteien ab.

An einem frühen Sonntagmorgen begannen die Angriffe aus der Luft auf Port Sudan. Die Hafenstadt am Roten Meer, Anfang des 20. Jahrhunderts von den britischen Kolonialherrschern in der Nähe einer alten osmanischen Siedlung für den Sues-Verkehr errichtet, galt bis zum 4. Mai 2025 als sicher.

 

Der Kampf in Sudan hatte gut zwei Jahre vorher im Zentrum von Militär, Politik und Wirtschaft in der Hauptstadt Khartum begonnen und sich auf weite Teile des Landes ausgebreitet – der Norden und Osten blieben bis auf wenige Ausnahmen sowie den Druck durch die Aufnahme vieler Vertriebener verschont. Die Ministerien und das herrschende Militär zogen nach Port Sudan um, da Khartum zur Kriegszone wurde. Auch internationale Hilfsorganisationen richteten Büros dort ein und landeten Personal und Güter an den einzigen internationalen See- und Flughäfen des Landes an.

 

Am 4. Mai stand eine massive Rauchwolke über dem militärischen Teil des etwas vom Stadtzentrum entfernten Flughafens, ein Munitionsdepot hatte sich in eine Feuerwolke verwandelt. Der Luftaum wurde gesperrt. In den nächsten Tagen trafen weitere Drohnen auch den Hafen, ein Treibstofflager, ein Kraftwerk, ein Radar, eine Marinebasis, ein Hotel in der Nähe des Militärhauptquartiers, und weitere offensichtlich sorgfältig ausgewählte Ziele. Es dauerte fünf Tage, bis das Feuer in dem Treibstofflager gelöscht war.

 

Erhebliche Beeinträchtigungen zu erwarten

 

Bewaffnete Drohnen sind keine neue Waffe im Sudan-Krieg. Sowohl die Sudanesischen Streitkräfte (SAF) als auch die Rapid Support Forces (RSF) setzen sie ein, und zwar kleine wie größere, fortgeschrittenere Modelle. Die RSF hatten in den vergangenen Monaten immer wieder militärische und zivile Infrastruktur weit hinter den Frontlinien getroffen, beispielsweise in Atbara oder Meroe. Diese Ziele liegen jedoch gerade einmal auf der Hälfte der fast 700 Kilometer langen Strecke zwischen der nächsten bekannten Position der RSF in Omdurman und Port Sudan. Kamikazedrohnen und Drohnen der Klasse »Medium Altitude Long Endurance« (MALE), über die die RSF verfügen, können noch erheblich weiter fliegen – doch sie so präzise, weit entfernt und zuvor unbemerkt zum Ziel zu bringen, war der RSF vorher nicht möglich gewesen. Zum Vergleich: Die Armee setzt zwar deutlich mehr Drohnen als die RSF ein, aber nur in Zentralsudan; für Angriffe in Darfur und Kordofan nutzt sie ihre – weitaus weniger präzise – Luftwaffe.

 

Dabei ist weiterhin unklar, von wo aus die Drohnen gestartet sind, um Port Sudan anzugreifen. Die Vertreter der Armee behaupten, die Vereinigten Arabischen Emirate hätten die Drohnen von »Basen am Roten Meer« abgefeuert. In Expertenkreisen werden eher Orte im Westen Sudans, die von den RSF kontrolliert werden, diskutiert. Allein: Stichhaltige Belege für den geografischen Ursprung der Angriffe, die seit mehreren Wochen Port Sudan erreichen, gibt es nicht. Die RSF selbst haben auch kein offizielles Statement veröffentlicht, im Gegensatz zu ihren zahlreichen Propagandavideos und Statements von ihren Einheiten und Beratern über ihren Bodenkrieg. So deutet einiges auf eine mutmaßlich erhebliche Rolle eines externen Akteurs bei diesen Angriffen hin.

 

Ihre psychologische Wirkung verfehlten die Angriffe jedoch nicht. Sie verbreiteten Schrecken und Unsicherheit, in der Bevölkerung, aber auch beim sudanesischen Militär. Noch Ende März war Militärführer Abdelfattah Al-Burhan das erste Mal seit Kriegsbeginn mit dem Hubschrauber auf dem weitgehend zerstörten Flughafen von Khartum gelandet und hatte seinen Soldaten persönlich gratuliert, nachdem sie den Präsidentenpalast im Zentrum Khartums zurückerobert hatten. Einige Beobachter mag die Inszenierung an die berühmte Landung des damaligen US-Präsidenten George W. Bush auf dem Flugzeugträger USS Abraham Lincoln im Mai 2003 erinnert haben, um eine »mission accomplished« im Irak zu verkünden.

 

Daneben beeinträchtigen die Drohnenangriffe Port Sudan auch materiell. Treibstoffpreise schnellten in die Höhe, die Stromversorgung wurde noch unzuverlässiger, Trinkwasser war Mangelware. Die Versorgung mit kommerziellen, humanitären und militärischen Gütern über den Seehafen und den Flughafen ist möglicherweise gefährdet. Entsprechend warnte auch die höchste UN-Repräsentantin in Sudan, Clementine Nkweta-Salami, dass die Angriffe auf zivile Infrastruktur in Port Sudan und anderen Teilen des Landes die logistischen Schwierigkeiten der Hilfsorganisationen weiter erschwerten.

 

Ein mögliches strategisches Patt

 

Die offensichtliche Fähigkeit der RSF, Ziele ganz im Osten Sudans zu treffen, könnte die strategische Aussicht des Krieges verändern. Nach der Rückeroberung Khartums plante die Armee, die militärischen Auseinandersetzungen in den Westen des Landes zu verlegen und dort die RSF in die Enge zu treiben. Tatsächlich ist es weiterhin unwahrscheinlich, dass es den RSF gelingen könnte, erneut Gelände in der Hauptstadtregion oder insgesamt auf der östlichen Seite des Nil zu erobern.

 

Dazu müssten sie wahrscheinlich deutlich besser in der Lage sein, ihre unterschiedlichen Verbände und militärischen Fähigkeiten – einschließlich aus der Luft – integriert und abgestimmt einzusetzen. Solange sie ihre Schlagkraft durch Drohnen (mit der entsprechenden externen Unterstützung) aufrechterhalten können, können die RSF jedoch die Armee nun stark unter Druck setzen, selbst wenn sie in Kordofan oder Darfur Boden verlieren sollten.

 

Theoretisch könnte sich aus diesem strategischen Patt also ein Fenster für Verhandlungen ergeben. Beide Seiten können ihren Willen auf absehbare Zeit nicht militärisch umsetzen, und die Weiterführung des Krieges erzeugt für sie erhebliche Risiken und Kosten.

 

Die Geister, die sie riefen

 

Die Aussichten auf belastbare Gespräche, um den Krieg zu beenden, sind bisher allerdings weiterhin getrübt. Multilaterale Organisationen wie die Vereinten Nationen, die Afrikanische Union (AU) oder die »Zwischenstaatliche Behörde für Entwicklung« (IGAD), die weiterhin den Anspruch vertreten, sich für Mediation einzusetzen, sind geschwächt und gespalten. Trotz entgegenlautender Versprechen arbeiten sie oft in Konkurrenz zueinander. Neben den Aktivitäten der jeweiligen Sekretariate liegt deren Schwäche in den widerstreitenden Interessen einflussreicher Mitgliedstaaten begründet, also Russland, den USA und Großbritannien im UN-Sicherheitsrat, oder Ägypten, Kenia und Äthiopien in der AU beziehungsweise IGAD.

 

Hinzu kommt, dass Zweiparteiengespräche zwischen SAF und RSF eine erhebliche Belastung für die Kohärenz ihrer jeweiligen Koalitionen sein könnten. Die Bündnisse der RSF mit der Sudan People’s Liberation Movement-North (SPLM-N) sowie einigen Milizen und Politikern aus Darfur sowie der SAF mit anderen bewaffneten Gruppen aus Darfur um Mini Minawi und Geibril Ibrahim sind transaktionaler Natur. Ein Abkommen, das beispielsweise den RSF weite Teile des Westens, die sie bislang kontrollieren, zuschlüge, würde vermutlich auf erheblichen Widerstand bei Minawi, dem Gouverneur von Darfur und Führer der »Sudan Liberation Army« (SLA), und weiteren Bewegungen treffen.

 

Anders könnten sich die Dinge verhalten, wenn sich die wichtigsten externen Unterstützer der sudanesischen Kriegsparteien verständigen sollten, darunter die VAE, Ägypten, Saudi-Arabien, Katar und die Türkei. Allerdings spüren diese Mächte die Auswirkungen des Kriegs in sehr unterschiedlichem Maße – über eine Million Geflüchtete sind aus Sudan nach Ägypten gekommen, Port Sudan liegt auf der anderen Seite des Roten Meers, gegenüber der saudischen Hafenstadt Dschidda. Umgekehrt ist Abu Dhabi das Ziel von Goldexporten sowohl aus Gebieten der RSF als auch der Armee. Und das Vertrauen in einen möglichen Ausgleich von Interessen ist gering. So geht der Krieg in Sudan in die nächste Runde.

Von: 
Gerrit Kurtz

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