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Muslime in Äthiopien

Havannas in Harar

Reportage

Harar ist Weltkulturerbe, Treffpunkt und Schauplatz der bewegten jüngeren Geschichte Äthiopiens. Nur eines will die Stadt im Osten des äthiopischen Hochlandes nicht sein: Konfliktfeld zwischen Christen und Muslimen am Horn von Afrika.

In steilen Windungen, über Hügel und Hänge hinweg, führt die Straße von Addis Ababa nach Harar. Wie überall in Äthiopien wird das Straßen- und Streckennetz, welches einst während der fünfjährigen Herrschaft des faschistischen Italiens entstand, mit Hilfe milliardenschwerer chinesischer Investitionen modernisiert. »Die ehrgeizigen Infrastrukturmaßnahmen der Regierung in Addis Abeba verändern das Land dramatisch«, bemerkt Axel Eyber, der als Reiseleiter für das Münchner Unternehmen Studiosus tätig ist.

 

»Dadurch wächst das Land zusammen, aber auch die Zuwanderung in die Städte wird sich dramatisch beschleunigen«, fügt der Deutsche, der in Südafrika geboren wurde und in Äthiopien seine Kindheit verbrachte, nachdenklich hinzu.Seit der Abfahrt aus Addis Abeba haben sich die Landschaft und der Menschenschlag dramatisch verändert. Die Kirchen sind aus dem Straßenbild der Siedlungen fast verschwunden, die Zahl der Moscheen nimmt zu. Statt der amharischen Schriftzeichen, dominiert die in lateinischen Buchstaben verfasste Sprache der Oromo, der zahlenmäßig größten Ethnie Äthiopiens.

 

»Die Oromo sind überall«, erwähnt der Busfahrer Fekadu, der sich als Christ aus der Hauptstadt in dieser Region kaum in der Staatssprache Amharisch verständigen kann. »In Harar geht es besser, dort leben auch viele Amharen«, sagt er, während er die Hupe betätigt, um die auf den Straßen umherwandernden Menschen, die Brennholz und Trinkwasser in gelben Kanistern auf dem eigenen oder dem Rücken ihrer Esel transportieren, zu warnen. Die Fahrt geht weiter, am Horizont erscheint die Silhouette des Zielortes.

 

Auf den Terrassen unterhalb von Harar haben die Bauern Qat gepflanzt. Einige Felder werden von bewaffneten Posten bewacht. Die Blätter des Qat, den man in Äthiopien »Chat« ausspricht, liefern für das Horn von Afrika und die gegenüberliegende Arabische Halbinsel ein vielbegehrtes mildes Rauschmittel, welches kurzfristig belebend, auf die Dauer aber erschlaffend wirkt. Der Export von Qat über Dschibuti bildet neben den berühmten Kaffeebohnen eine der wenigen Aktivposten in der Außerhandelsbilanz Äthiopiens.

 

Qat wird hier im Osten Äthiopiens aber auch von vielen Einheimischen konsumiert. »Al-Qaida werden bei uns die LKWs genannt, die von Qat kauenden Fahrern gesteuert werden«, weiß Fekadu zu berichten. »In ihrer Hochstimmung drücken viele dieser Fahrer etwas zu stark aufs Gaspedal, wodurch häufig es zu schrecklichen Unfällen kommt.«

 

Vor der Einfahrt zur Stadt Harar kontrollieren bewaffnete Soldaten stichprobenartig die passierenden Fahrzeuge und deren Passagiere. Harar bildet einen eigenen Bundesstaat und grenzt an die unruhige Somali-Region. In der Stadt fühlt sich der Besucher nach Südarabien versetzt. Harar gilt als Hochburg des Islams in Äthiopien. Schon der Prophet Muhammad hatte Jünger in diese Region entsandt, bevor er nach Medina floh.

 

Jahrhunderte später waren dort türkische Truppen stationiert und sicherten die Region militärisch ab, als Einflusssphäre des Osmanischen Reiches. In den engen, malerischen Gassen der Altstadt, die seit dem Jahr 2006 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören, leuchten die Kleider der Frauen in leuchtenden Farben. Die Ummauerung der Altstadt stellt in Ostafrika eine Besonderheit dar. Die weißverputzten Häuser trugen Harar den Beinamen »weiße Stadt« ein. In der etwa 1 Quadratkilometer großen Altstadt leben die alteingesessenen Einwohner Harars, die Aderi, eine muslimisch urbane Händlerethnie, deren Anzahl sich heute noch auf etwa 30.000 Menschen beläuft. In den 1850er Jahren gelang es dem britischen Entdecker und Abenteurer Richard Burton – als erstem Europäer – in die Altstadt zu gelangen.

 

Über die Hälfte der äthiopischen Bevölkerung bekennt sich zum Islam

 

Die alte Prophezeiung, welche den Niedergang der Stadt vorhersah, sobald ein Nicht-Muslim dort hereingelassen wird, hatte sich nicht erfüllt. Als drei Jahrzehnte später der französische Schriftsteller Arthur Rimbaud in Harar auftauchte, war er schon lange nicht mehr der Dichter, der die französische Lyrik revolutioniert hatte, sondern führte das Leben eines Gestrandeten. Der Autor des »Trunkenen Schiffes« diente sich dem Kaiser Menelik als Waffenhändler an. Als nach dem Sturz der Monarchie der historische Palast des Kaisers der Spitzhacke zum Opfer fiel, wurde dabei auch das Selbstportrait Rimbauds vernichtet. Die Stadt ehrt ihn heute noch mit einem Museum.

 

Das Islamische Institut, ein protziger Bau am Rande der Stadtmauer, präsentiert sich als fromme Stiftung. Es finanziert sich zum Teil aus Erträgen einer eigenen Textil- und Lederfabrik. »Überwiegend wird es aber von Spenden aus Saudi-Arabien und Katar finanziert, inklusive der Verbreitung der wahhabitischen Glaubensrichtung«, raunt ein Imbiss-Betreiber, auf der gegenüberliegenden Straßenseite. »Besonders bei den nomadisierten Somalis fällt diese dogmatische Glaubensrichtung auf fruchtbaren Boden«, fügt der Gastronom besorgt hinzu.

 

»Noch hallen in den Moscheen von Harar nicht die flammenden Predigten eifernder Fundamentalisten«, fährt der Mann fort, der sich als christlicher Amhare zu erkennen gibt. »Aber schauen sie nur nach Westafrika und in die Sahelzone, so etwas kann auch hier im Osten Äthiopiens geschehen.« Einer seiner Kunden, ein junger Mann im Rastafari-Look, widerspricht: »Ein heiliger Krieg in Harar? So etwas wird es nicht geben. Der Islam genießt volle Gleichberechtigung neben der früheren koptischen Staatskirche. Allerdings wird gerne verschwiegen, dass heute schon über 50 Prozent der Äthiopier Muslime sind«, ergänzt der junge Mann.

 

Im Großraum von Harar entschied sich 1977 das Schicksal des modernen Äthiopiens. Siad Barré, der damals starke Mann von Mogadischu, hatte sich zum Ziel gesetzt, die innenpolitischen Schwächen des Erzrivalen Äthiopiens zu seinem Vorteil zu nutzen. Ziel des somalischen Angriffes war im Rahmen der damals propagierten Groß-Somalia-Ideologie die Eroberung und Annexion der ostäthiopischen Ogaden-Region, deren Hirtenbevölkerung überwiegend somalisch ist. Bis nach Harar stießen die somalischen Truppen damals vor.

 

»Ich rauche immer noch meine kubanischen Zigarren«

 

Zuvor hatte Somalia einen halsbrecherischen außenpolitischen Kurswechsel vollzogen, wie er zur damaligen Hochzeit des Kalten Krieges für ein afrikanisches Land noch Gewinn versprechend war, löste sich aus der engen Allianz mit Moskau, und strebte ein Bündnis mit Washington an. Die Sowjets nahmen ihre Chance war, kamen den Äthiopiern zur Hilfe und warfen die somalische Armee mit Hilfe von regulären kubanischen Truppen wieder bis an die Staatsgrenze zurück.

 

»Jaja, fast 40 Jahre ist das schon her. Somalia ist heute zerfallen, Mengistu wurde vor einem Vierteljahrhundert gestürzt, aber ich rauche immer noch meine kubanischen Zigarren«, erzählt Ibrahim, ein pensionierter Englisch-Lehrer. Der 67-Jährige sitzt im Restaurant »Fast Touch«, einer stark von Touristen frequentierten Gaststätte, und zieht genüsslich an einer Havanna, die ihm sein ehemaliger Waffenbruder Miguel einmal im Jahr aus Kuba sendet. »Miguel gehörte damals zu den kubanischen Truppen, die zusammen mit uns Äthiopiern die Stadt verteidigten.

 

Nach seiner Rückkehr nach Kuba blieben wir im Kontakt, wir schreiben uns regelmäßig Briefe, ich sende ihm äthiopische Kaffeebohnen, er mir die Zigarren«, erwähnt er lächelnd. »Sie können sich nicht vorstellen, welche Panik damals in der Stadt herrschte. Der somalische Oberbefehlshaber hatte von Siad Barré den Auftrag erhalten, unsere Stadt vollständig zu zerstören. Als guter Muslim ließ er davon ab, immerhin handelt es sich bei Harar um die viertheiligste Stadt des Islams. Timbuktu des Ostens nannte man unsere Stadt auch früher.«

 

Ibrahim zieht noch einmal an seiner Zigarre, legt diese dann im Aschenbecher ab. Sein Blick ist auf die vor ihm liegende Straße gerichtet. Somalische Männer mit feuerroten Bärten halten ein Schwätzchen. Oromo-Hirten führen ihr Vieh an amharischen Beamten vorbei, die immer noch die Würde des einstigen Staatsvolkes ausstrahlen. »Äthiopien ist kein Staat im westlichen Sinne, das ist beileibe keine Nation«, nimmt er die begonnene Konversation wieder auf.

 

»Es ist eher ein Vielvölkergebilde, wie das Reich der Habsburger bis 1918. Die traditionell amharische Herrschaftsschicht, die unter dem Kaiser und auch unter der kommunistischen Herrschaft die entscheidenden Posten besetzte, lässt sich mit der staatstragenden deutschen Minderheit im alten kaiserlichen Österreich vergleichen, nur mit dem Unterschied, dass Äthiopien bis heute nicht untergegangen ist.«


Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Studiosus Reisen München.

Von: 
Ramon Schack

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