Weltweit jagt die Türkei Anhänger der Gülen-Bewegung. Am »Tag der Märtyrer« kassiert sie erstmals Eigentum deutscher Staatsbürger – in Äthiopien.
Am 10. August brach das Botschaftspersonal der Türkei in Addis Abeba die Schlösser deutscher Schulen auf. Die Männer bedrohten den Sicherheitsdienst und besetzten unter dem Schutz der äthiopischen Polizei die Schulhöfe. »Mit vorgehaltener Waffe haben sie die Lehrer und Mitarbeiterinnen, die hier in den Ferien Dienst taten, bedroht«, erklärt Norbert Helmut Dinse, Geschäftsführer der Stem Education p.l.c., die die Schulen betreibt. »Wenn sie sich noch mal dem Gelände näherten, würden sie festgenommen, hieß es.«
Über vier Stockwerke tief flattert seither die türkische Flagge vom obersten Balkon der »Intellectual Schools« in Addis Abeba. Daneben eine Fahne mit dem Logo der türkischen Maarif-Stiftung. »In Äthiopien wurden alle Schulen mit Verbindungen zur fethullahistischen Terrororganisation der türkischen Maarif-Stiftung übertragen«, heißt es auf der Twitter- Seite der türkischen Botschaft.
Die insgesamt vier Privatschulen gehören deutschen Staatsbürgern. Anders als Dinse treten die Eigentümer der Stem Education bisher öffentlich nicht auf. Recherchen in Gülen-nahen Medien zeigen: Es sind drei Unternehmer, die im Berliner Bildungs- und Bausektor des Gülen-Netzwerks aktiv sind. Mit der Presse wolle man aus Zeitgründen nicht sprechen, wie einer von ihnen auf Anfrage erklärt. Es werde später ein Statement auf der Webseite der Schulen veröffentlicht. Bis Redaktionsschluss war dort nichts zu sehen.
Die Kette mit zuletzt sieben Schulstandorten in Äthiopien wurde 2004 unter dem Namen »Nejashi Schools« von Unternehmern der Gülen-Bewegung aus der Türkei gegründet
Mit solchen Methoden hat die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan schon 19 Staaten erfolgreich unter Druck gesetzt und 213 aus türkischer Sicht »Terror«-Schulen mehr oder weniger legal eingesackt. Der türkische Deal in Addis Abeba stellt jetzt auch Deutschland unmittelbar in die Schusslinie. Dinse fordert eindeutige diplomatische Reaktionen: »Das war Faustecht. Ich erwarte, dass das Außenministerium reagiert. Es geht um ein 18 Millionen-Euro-Investment, das sind ja keine Peanuts.«
Ein Urteil des äthiopischen Bundesgerichtshofs setzte die Maarif-Stiftung am 9. August als »Verwalterin« der Stem Education p.l.c ein. Das Dokument liegt der Redaktion vor. Es lägen Auslieferungsanträge der Türkei für Eigentümer und Manager des Unternehmens wegen Terrorismusverdachts und Geldwäsche vor, heißt es in der Begründung. Weil diese sich verstecken würden und »Missbrauch des Eigentums« nicht anders verhindert werden könne, werde die »Wohlfahrtsorganisation« Maarif-Stiftung als Verwalterin eingesetzt.
»Das Urteil ist ein Gefallen für die türkische Regierung und bricht internationales Handelsrecht«, sagt Dinse. Das Büro des äthiopischen Präsidenten Abiy Ahmed antwortete nicht auf eine Anfrage. Das Auswärtige Amt erklärt gegenüber zenith: »Die Botschaft Addis Abeba hat vor Ort Gespräche mit den äthiopischen Behörden zu dem Vorfall geführt und sich für den Schutz der deutschen Privatinvestitionen eingesetzt.«
Die Kette mit zuletzt sieben Schulstandorten in Äthiopien wurde 2004 unter dem Namen »Nejashi Schools« von Unternehmern der Gülen-Bewegung aus der Türkei gegründet. Nahezu jeder Campus verfügt über einen Kindergarten, Grund- und Mittelschulen sowie einen Gymnasialzweig. Derzeit lernen dort 1.700 Schülerinnen und Schüler. Lehrer und Management waren meist türkisch, Unterrichtssprache Englisch.
Auf führende Vertreter der Bewegung hatte die Türkei bereits im November 2020 hohe Kopfgelder ausgesetzt
Die jährlichen Schulgebühren liegen laut äthiopischen Medien bei 2.000 US-Dollar. Zuletzt, das betont Dinse, habe man einheimisches Personal eingestellt. Nur noch vier der 44 Lehrer seien Türken. Außerdem wird seit letztem Schuljahr neben Amharisch auch Deutsch angeboten.
Dann kam der 15. Juli 2021, der »Tag der Märtyrer« – die offizielle Bezeichnung für den Gedenktag an den gescheiterten Putschversuch in der Türkei, für den die Regierung hauptsächlich das Netzwerk von Fetüllah Gülen verantwortlich macht, den einstigen Vertrauten und Bildungsunternehmer, mit dem sich Erdoğan überworfen hat. An diesem Tag besetzt die Maarif-Stifung eine der »Intellectual Schools« im Bundesstaat Oromiya.
Die Wahl dieses Datums ist auch ein Signal an Deutschland, das unter den EU-Staaten seither mit Abstand die meisten türkischen Flüchtlinge aufgenommen hat, unter ihnen auch 23.000 Anhänger des 80-jährigen Predigers Gülen. Auf führende Vertreter der Bewegung hatte die Türkei bereits im November 2020 hohe Kopfgelder ausgesetzt. Mehrere der Bewegung nahe stehende Journalisten wurden von den deutschen Landeskriminalämtern benachrichtigt, dass ihre Namen auf Todeslisten aufgetaucht seien.
Auch die Maarif-Stiftung ist in Deutschland aktiv. Seit dem 15. Februar 2019 ist sie beim Amtsgericht Köln als gemeinnützige GmbH Maarif Europe und Tochter der luxemburgischen Maarif Europe registriert. Die türkische Regierung kündigte bereits an, in Berlin, Köln und Frankfurt drei Gymnasien aufzubauen.