Der Physiker Adnane Abdelghani will nanotechnologische Anwendungen profitabel und Tunesien zum Innovationsstandort machen.
Adnane Abdelghanis Arbeitsfläche ist kaum 10−9 m groß – in Worten: ein Milliardstel Meter, oder ein Nanometer. Das Präfix der Messeinheit steht schon heute sinnbildlich für die Hochtechnologie der Zukunft: Nanotechnologie, also Ingenieurswesen auf mikroskopischer Ebene, gilt als der Innovationsmotor für Wissenschaft und Industrie – allerdings bislang fast ausschließlich an den Forschungsstandorten in Europa, Asien und Nordamerika. Die Nah- und Mittelostregion ist im Hinblick auf eine der Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts hingegen ein weißer Fleck – mit einem Lichtblick: »Von hier aus könnte eine Revolution in Gang kommen«, glaubt Abdelghani und holt demonstrativ seine beiden Doktorandinnen zu sich, die gerade Gewebeproben unter dem Rasterkraftmikroskop untersuchen.
Der Arbeitgeber des 52-jährigen Physikers, das Institut National des Sciences Appliquées et de Technologie (INSAT) gehörte seit seiner Eröffnung 1992 zu den bildungspolitischen Vorzeigeprojekten des Ben-Ali-Regimes. Doch erst die politischen Freiheiten nach der tunesischen Revolution 2011 ermöglichen es den Forschern in dem massiven Betonbau im Industriepark Charguia, im internationalen Innovationsbetrieb vorne mitzumischen. Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg. Abdelghani, der selbst an der TU München studiert hat, steht inmitten seines fensterlosen, mit Backsteinen verkleideten Labors und schwankt zwischen Stolz und ungeduldigem Ärger: »2011 hat uns die Nato ein Forschungsprojekt im Wert von 200.000 Euro bewilligt, aber wenn ich mit den zuständigen Beamten im Hochschulministerium über Forschungsförderung verhandle, haben die nicht mal ansatzweise Ahnung, wovon ich eigentlich rede.«
Im Rahmen des »Science for Peace and Security«-Programms der Nato hatten Abdelghani und sein Team vom Institut für Optronik und Nanotechnologie ein Verfahren ermittelt, mit dem Biosensoren mit Antikörpern bestückt werden, um im Schnelltest Krankheitserreger im Trinkwasser zu identifizieren. Die kommerziellen Rechte sicherte sich die kanadische BioPhage Pharma – und genau hier liegt das Problem, denn so haben die Tunesier keinen weiteren Nutzen von ihrer Entdeckung. »Wir haben nur eine Chance, wenn wir nicht nur forschen, sondern auch produzieren können«, fordert Abdelghani, der durchaus Marktpotenzial für tunesische Start-Ups sieht.
Abdelghani fordert Technologietransfer statt Sachmittelspenden
»Nanotechnologie bietet spezifische Lösungen für spezifische Probleme – eben genau jene in Tunesien und überhaupt auf dem afrikanischen Kontinent.« Insbesondere im Gesundheitssektor bieten sich nanotechnologische Anwendungen an, etwa bei mikrogenetischen Therapien für seltene Erbkrankheiten oder im Bereich Wasser- und Lebensmittelqualität. Abdelghani freut sich über die Sachmittelspenden für sein Labor, macht aber keinen Hehl daraus, dass selbst der 150.000 Euro teure Fourier-Transformations-Infrarotspektrometer, den die Alexander-von-Humboldt-Stiftung zur Verfügung gestellt hat, bestenfalls ein ergänzendes Almosen ist. »Ich brauche ein Labor mit steriler Produktionsumgebung. Dann können wir das hier selbst herstellen«, sagt er und zeigt auf einen goldbeschichteten mikroelektronischen Biochip – ebenfalls eine Sachspende aus Spanien im Wert von 500.000 Euro.
Die Kosten für den Arbeitsraum veranschlagt Abdelghani in gleicher Höhe – in deutschen Physiklaboren fangen in dem Bereich die günstigsten Untersuchungsgeräte gerade erst an, ganz zu schweigen von Megaprojekten wie dem Genfer »Large Hadron Collider« im Wert von 7,5 Milliarden Euro. Das Team des Tunesiers nutzt auf Fachtagungen im Ausland die Möglichkeit zum Austausch, doch »es nützt meinen Doktoranden gar nichts, wenn sie einfach für ein halbes Jahr ins Ausland gehen«, findet Abdelghani.
Viel wichtiger wäre eine hochklassige und nachhaltige Forschungsumgebung vor Ort – Technologietransfer statt Sachspenden für das INSAT. Solange noch keine kritische Gründermasse für tunesische Start-Ups erreicht ist, sieht der Physiker hier insbesondere forschende Unternehmen aus Europa und Nordamerika in der Pflicht – etwa auch den deutschen Industrieriesen Siemens. Investitionen in Forschung und Entwicklung vor Ort würden schließlich nicht nur Marktzugang, sondern vor allem Marktpräsenz sichern: Ein paar Quadratmeter und ein paar Milliardstel Meter könnten Tunesien zum Hochtechnologiestandort befördern. Für Adnane Abdelghani ist das mehr als nur ein Traum, er appelliert: »Wir haben alle Voraussetzungen. Jetzt liegt es an Politik und Wirtschaft.«