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Pressefreiheit in Palästina

Die Krux mit den Karikaturen

Feature

Die Meinungen über die vermeintliche Mohammed-Karikatur des Künstlers Mohammad Saba’aneh beschäftigten sogar den Präsidentenpalast – und zeigen, wo die Meinungsfreiheit in den Palästinensergebieten an ihre Grenzen stößt.

Ein alter Mann in orientalischer Kleidung, dezent in Schwarz, die Umrisse weiß, steht auf einem Globus und sät aus einer herzförmigen Tasche Samen der Liebe auf die Welt. Die ersten scheinen auf Frankreich zu fallen. So sieht sie aus, die Karikatur, die im Februar zur politischen Chefsache im Westjordanland wurde. Der Titel der Zeichnung: »Prophet Mohammed«. 

 

Ramallah, im Vorzimmer des ehemaligen palästinensischen Religionsministers Mahmud al-Habbash: Arafat, in Gold gerahmte Ikone, hängt schief an der Wand. In der linken hinteren Ecke, wo der Putz bröckelt, das deutlich kleinere Porträt von Präsident Abbas. Habbash, ehemaliges Mitglied der Hamas und als oberster Richter derzeit Berater des Präsidenten in religiösen Fragen, sagt: »Die Entscheidung des Präsidenten, eine Untersuchungskommission einzuleiten, war weise.«

 

Die Kommission, von der Habbash spricht, sollte klären, inwiefern der Karikaturist Mohammad Saba’aneh und die Redaktion der Zeitung Al-Hayat al-Jadida, dem offiziellen Organ der Palästinensischen Autonomiebehörde, den Islam verunglimpft haben. »Natürlich«, so Habbash, habe er dem Präsidenten dazu geraten. Der Islam verbiete es, den Propheten zu zeichnen, sagt Habbash. Karikaturist Saba’aneh habe mit seiner vermeintlichen Mohammed-Karikatur gegen das Bilderverbot verstoßen.

 

Saba’aneh selbst sagt: »Die Person in meiner Karikatur symbolisiert die Muslime, die an Mohammads Botschaft, den Islam, glauben.« Während in Europa über Karikaturen diskutiert wird, die Mohammed als Terroristen darstellen oder den Gründer des Islam ins Lächerliche ziehen, erregte im Westjordanland ein ganz anderes Bild die Gemüter. Auf seiner Facebook-Seite erklärte Saba’aneh, er habe den Islam verteidigen wollen. Dabei habe er dieselben Mittel gewählt wie manche Kollegen, die den Propheten beleidigen.

 

Nach den Attentaten von Paris demonstrierte Abbas noch für Pressefreiheit

 

Für Kritiker war das zu viel des Guten. »Es ist nötig, mit abschreckenden Mitteln gegen jene vorzugehen, die für diesen schrecklichen Fehler verantwortlich sind«, erklärte Palästinenserpräsident Mahmud Abbas gegenüber der heimischen Nachrichtenagentur WAFA die Einsetzung der Untersuchungskommission. Nach den Attentaten von Paris im Januar, bei denen neben anderen Opfern viele Karikaturisten des Satire-Magazins Charlie Hebdo getötet wurden, hatte der Palästinenserpräsident noch in der ersten Reihe der Demonstration für Meinungsfreiheit gestanden.

 

Zwei Tage nach Erscheinen der vermeintlichen Mohammed-Karikatur Saba’anehs im Westjordanland entschuldigte sich das Regierungsblatt für die Veröffentlichung und bestritt, dass es sich bei der dargestellten Person um den Propheten handle. Die Figur sei als personifizierter Islam zu deuten. »Viele waren sehr erbost und die Zeitung musste etwas tun, damit sie aufhören, darüber zu streiten«, sagt Saba’aneh in seinem Büro in der Arab American University in Ramallah. »Für mich ist diese Erklärung vielleicht nicht akzeptabel, aber aus Sicht der Zeitung kann ich es nachvollziehen«, meint er.

 

»Der Fall hat keine große Aufmerksamkeit in der Gesellschaft erregt«, versucht Habbash, der Religionsberater des Präsidenten, die Sache herunterzuspielen. »Wir haben herausgefunden, dass es keine böse Absicht auf Seiten der Zeitung oder des Künstlers gab. Jetzt ist alles geklärt«, sagt er. Zehn Tage musste der Hauskarikaturist seine Arbeit bei der drittgrößten palästinensischen Zeitung Al-Hayat ruhen lassen. Die von Abbas angekündigte Untersuchung habe aus einer Befragung seines Chefredakteurs und ihm selbst bestanden, erzählt Saba’aneh und grinst.

 

Seine neueste Karikatur ist bereits im Blatt. Viel Lärm um nichts? Mitnichten: Der Fall zeigt, dass die Pressefreiheit nicht nur von den israelischen Behörden und den innenpolitischen Konfliktparteien Hamas und Fatah beeinträchtigt wird, sondern auch davon, was Saba’aneh als »gesellschaftliche Zensur« bezeichnet. Moralische Überzeugungen der palästinensischen Bevölkerung, insbesondere die religiöse Tradition, beschneiden das Recht auf Meinungsfreiheit auf indirektem Wege. Und das kann hier schon einmal dazu führen, dass ein säkular orientierter Präsident, beraten von einem ehemaligen islamistischen Politiker, eine islamfreundliche Karikatur verteufelt, die als Bildnis des Propheten interpretiert werden kann.

 

»Die Religion ist ein wichtiger Teil meines Lebens«

 

Einer Umfrage des Jerusalem Media and Communication Center vom Oktober 2014 zufolge ist die Religion für nahezu alle Palästinenser ein wichtiger Teil ihres Lebens. 45 Prozent der Palästinenser bezeichnen sich nach Ergebnissen des Palestinian Center for Policy and Survey Research (PSR) sogar als sehr religiös. Dennoch ist der Gedanke der Säkularität weit verbreitet. Lediglich ein Viertel der Bevölkerung kann als Anhänger des politischen Islam und damit als potentielle Stammwählerschaft der Hamas betrachtet werden. Nur 11 Prozent sind Islamisten, die auch die Demokratie ablehnen.

 

Bei der repräsentativen Befragung des PSR wird kein rein formeller Demokratiebegriff angewandt – neben Wahlen wird auch nach der Unterstützung von ökonomischer Gerechtigkeit, Minderheiten- und Frauenrechten gefragt. Die größten Unterschiede in der Bevölkerung sind beim Verhältnis der Demokratie zur Religion auszumachen. Mirvat Sadeq, Online-Reporterin des Nachrichtensenders Al-Jazeera, war eine der ersten, die Saba’anehs Karikatur öffentlich kritisierte. Die junge Frau arbeitet in einem duftenden Zimmer voller Pflanzen und bunter Blumen, das zu einem journalistischen Gemeinschaftsbüro in Ramallah gehört.

 

Auch unter den Kollegen wurde der Vorfall heiß diskutiert. Sie betont, dass sie Saba’aneh, mit dem sie befreundet ist, sehr schätzt. Sie mag auch die Aussage der Karikatur. Dennoch hätte er ihrer Ansicht nach den Propheten nicht zeichnen sollen: Mit dem Bilderverbot verhindere der Islam eine Vergöttlichung Mohammeds, der nur als Mensch gesehen werden darf. Im Islam existiert keine Heiligenverehrung wie im Christentum; auch die Dreifaltigkeitslehre des Christentums war seit jeher Anlass theologischer Kritik von Seiten islamischer Gelehrter. Dennoch: Das Bilderverbot ist theologisch umstritten, da es sich nicht mit dem Koran belegen lässt. Man argumentiert mit verschiedenen Überlieferungen aus der postmohammedanischen Zeit.

 

»Mohammad wirkt winzig, alt und müde«

 

Sadeq, die das Bilderverbot anführt, hat außerdem nicht gefallen, wie die Figur gezeichnet wurde: »Mohammad wirkt winzig, alt und müde«, sagt sie. In ihrer Vorstellung sei der Prophet Gottes das genaue Gegenteil. Das Genre der Karikatur hat es nicht leicht mit den Palästinensern. Religiöse und politische Befindlichkeiten zwängen die Meinungsfreiheit in ein enges Korsett. Zudem liegt dem Genre ein gänzlich anderes Konzept zugrunde, als es die europäischen Kollegen für sich beanspruchen.

 

Dort halten es viele mit Tucholsky: Satire darf alles. Oftmals nimmt sie einen nihilistischen oder dadaistischen Charakter an. Sie verbiegt und verlacht. Wer diese Art von Humor nicht kennt oder ihr nichts abgewinnen kann, sagt auch: Sie verletzt. Karikaturen aus der Region des Nahen Ostens sind dagegen meistens eine Spielart politisch ambitionierter Kunst. Sie kritisieren, prangern an, zeigen Ungerechtigkeiten auf. Saba’aneh sagt, er wolle mit seiner Kunst auf die Probleme des palästinensischen Volkes aufmerksam machen.

 

Das gilt für viele seiner Kollegen: Nach dem Witz ohne tieferen Sinn sucht man meist vergeblich. Eine sehr junge Entwicklung sind Videos aus arabischen Ländern, die sich über den selbsternannten Islamischen Staat lustig machen. Sie nehmen keine Rücksicht auf die Vorwürfe, dass dessen Gräueltaten damit verharmlost würden. Damit stoßen sie in großen Teilen der Bevölkerung auf Unverständnis. Die Ablehnung der scheinbar moral- und sinnfreien Satire, die vor nichts und niemandem Halt macht, ist nicht unbedingt eine Eigenheit muslimischer Länder.

 

Es ist vielmehr Ausdruck religiös geprägter Gesellschaften, die konträr zu solchen stehen, in welchen der Mehrheitsbevölkerung nichts mehr heilig zu sein scheint. Suleiman Mansour, einer der bekanntesten palästinensischen Maler, ist Christ. »Wenn ich die Mohammed-Karikaturen sehe, macht es mir nichts aus, aber für viele ist es beleidigend. Religionskritik ist in Ordnung, aber über den Glauben anderer zu lachen, ist es nicht«, sagt er. In Gaza und im Westjordanland wie auf der ganzen Welt haben Muslime gegen die Mohammed-Karikaturen aus Europa demonstriert.

 

Kaum jemand hält die mörderische Reaktion darauf jedoch für gerechtfertigt, weder in Kopenhagen, wo jüngst eine Diskussionsveranstaltung mit dem Mohammed-Karikaturisten Lars Vilks zwei Todesopfer forderte, noch in Paris. »Wir verurteilen das. Wir glauben nicht an Gewalt als Lösung«, sagt auch Abbas’ Religionsberater Habbash. Künstler Mansour ist überzeugt, dass das Attentat auf Charlie Hebdo erst das Klima schuf, das den Fall Saba’aneh zum Fall werden ließ: »Andernfalls hätten die Leute seine Karikatur nicht einmal registriert«.

 

»Es ist Zeit, über allgemein gültige Grenzen der Meinungsfreiheit nachzudenken«

 

Der Umgang Europas mit der Meinungsfreiheit wird von vielen Palästinensern als bigott empfunden. »Dieselben Länder, die es erlauben, gegen den Islam anzuzeichnen, verbieten dasselbe für das Judentum«, sagt Saba’aneh. Dies sei ein Doppelstandard. Der Karikaturist findet, es sei an der Zeit, über allgemein gültige Grenzen der Meinungsfreiheit nachzudenken. Die Grenzen, denen sich Saba’aneh in seiner Heimat gegenüber sieht, hat er mit seinen kritischen Karikaturen mehrmals überschritten, nicht nur hinsichtlich religiöser Befindlichkeiten.

 

Der 36-Jährige saß 2013 sechs Monate lang in einem israelischen Gefängnis, offizielle Begründung: Kontakt mit einer »feindlich gesinnten Organisation«. Er hatte einem jordanischen Autor Informationen gegeben, als der ein Buch über israelische Gefangene schrieb. Der Karikaturist hält es mit Galgenhumor: »Sie müssen ja schließlich ihre Gefängnisse voll bekommen, wenn sie schon so viele haben«, antwortet er auf die Frage nach dem Grund seiner Verhaftung durch die israelischen Sicherheitskräfte.

 

Doch nicht nur die israelische Besatzung schafft ein schwieriges Klima für Künstler und Journalisten. In einer Umfrage des PSR sind nur 30 Prozent der Bevölkerung im Westjordanland der Meinung, dass sie die Palästinensische Autonomiebehörde kritisieren können, ohne Angst haben zu müssen. Interessant ist, dass der Anteil der Bewohner Gazas, die dasselbe über Hamas sagen, sogar ein bisschen darüber liegt. »Wir sagen nicht, dass die Situation ideal ist«, sagt der palästinensische Informationsminister Mahmud Khalefa. »Es gibt Verletzungen der Meinungsfreiheit.

 

Es gibt aber auch die, die sagen, sie seien aus diesem Grund verhaftet worden, bei denen aber eine kriminelle Tat vorlag«, so Khalefa. Und man dürfe bei den Zahlen nicht vergessen, dass jedes Mal, wenn ein Journalist, ein Fotograf oder der Fahrer eines Medienvertreters verhaftet werde, es irgendeine Organisation als Beschränkung der Meinungsfreiheit einstuft. »Meinungsfreiheit ist unteilbar«, gesteht er ein. Die Rahmenbedingungen im Westjordanland seien jedoch nicht mit denen in Gaza zu vergleichen.

 

Die Hamas weiß in der Tat kritische Geister nicht zu schätzen. So erlebte es auch Saba’aneh. Er berichtet über verbale Attacken in sozialen Netzwerken und Telefonterror. Schließlich beschreibt er aber auch Zensurmaßnahmen seiner Zeitung, die der Fatah-dominierten Autonomiebehörde gehört: Er könne alles zeichnen, was er wolle, sagt er. Was dann aber publiziert werde, sei eine andere Frage. Er hofft, dass seine Arbeit von der Debatte um seine Karikatur nicht beeinflusst wird. Schon gar nicht im Sinne einer Selbstzensur. Sicher ist er sich da aber nicht.

Von: 
Kristina Milz

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