Trotz Drohgebärden gegen den Westen: Die jüngsten Raketen-Manöver des Iran zeugen von relativ wenig Schlagkraft gegen den Schiffsverkehr im Nadelöhr des internationalen Ölhandels in der Straße von Hormuz.
»Wir gelangen zum Höhepunkt unserer Konfrontation mit dem Westen«, sagte Hossein Salami, stellvertretender Kommandeur der iranischen Revolutionsgarden zu Beginn der vergangenen Woche. »Dieser Weg ist sehr schwierig, aber wir glauben an Gottes Hilfe.« Laut IRNA, der staatlichen Nachrichtenagentur der Islamischen Republik, habe er auch erklärt, auf eine sehr metaphorische Weise, dass der Iran »äußerst wichtige Interessen« des »Feindes« beherrsche und er verringere den Abstand zu den Ländern, die »behaupten, Weltmächte zu sein«.
Das bedeutet übersetzt: Die Islamische Republik kontrolliert den Fluss des Erdöls in den Westen und wäre in der Lage, mit ihm auf Augenhöhe mitzuhalten. Mit solchen Worten kündigte Brigadegeneral Salami die jährlichen Manöver der so genannten »Pasdaran« an. Die »Armee der Wächter der Islamischen Revolution«, beziehungsweise die Revolutionsgarden, im Persischen verkürzt »Sepah Pasdaran«, ist eine von zwei Streitmächten des Iran. Die andere ist das reguläre Militär der Islamischen Republik.
Die Pasdaran kontrollieren zugleich politisch die »Basij«-Miliz und sind offiziell dafür verantwortlich, das islamische System des Landes zu beschützen. Nicht zuletzt sind sie für den Großteil des wachsenden Raketenarsenals des Iran zuständig, einschließlich aller ballistischen Raketen. Salamis Erklärung erfolgte nur zwei Tage nachdem die Ölsanktionen der EU gegen den Iran in Kraft traten.
Aber diese Reaktion war nicht nur auf eine militärisch-rhetorische beschränkt: Im iranischen Parlament sammelt eine Bewegung Stimmen, es Europa mit gleicher Münze heimzuzahlen: eine Blockade europäischer Öltransporte durch die Straße von Hormuz. Trotzdem: Nach den erfolglosen Verhandlungen im Juni mit den fünf UN-Sicherheitsratsmitgliedern plus Deutschland in Moskau ist der Iran mit diesen neuen Sanktionen der EU und der USA konfrontiert, die mit dem Verkauf von Rohöl auf die wichtigste Einnahmequelle des Landes zielen – mehr als 90 Prozent von Irans Exporten nach Europa waren bislang Öl oder Ölprodukte. General Salami tat mögliche Folgen ab. Er bemerkte, die Wirtschaftssanktionen bewirkten nur, dass die Islamische Republik ihre ökonomische Autarkie verstärke.
Der Iran testet Technologie des Kalten Krieges
Hossein Salami brachte sein Erklärung zu Beginn der drei Tage dauernden militärischen Übung »Großer Prophet 7« der Pasdaran, im Laufe welcher eine ganze Anzahl unterschiedlicher Raketentypen testweise gestartet wurden. Während des Manövers wurde auch eine Rakete »Shahab-3«, eine der Waffen mit der größten Reichweite im Arsenal des Iran, gegen ein künstliches Ziel in der zentraliranischen Kavir-Wüste abgefeuert, von dem es heißt, es habe einer »westlichen Militärbasis« geglichen.
Die neueste Variante der »Shahab-3« (»Meteor-3«) soll einen Aktionsradius von bis zu 1.300 Kilometern besitzen. Sie könnte mit ihrem Sprengkopf von rund einer Tonne ganz Israel, große Teile der Türkei, der arabischen Golfstaaten und Afghanistans und sogar Südrussland erreichen, was sie zu einer so genannten Mittelstreckenrakete (medium range ballistic missile/MRBM) macht. Die Stationierung von ebenso klassifizierten Raketen, mit nuklearer Bewaffnung, in der Karibik durch die Sowjetunion löste 1962 die Kubakrise aus.
Schätzungen zur Frage, über wie viele Shahab-3 der Iran verfügt, variieren stark: das Londoner International Institute of Strategic Studies (IISS) stellt zurückhaltend fest, dass mit Stand von 2011 eine Abteilung mit sechs Starterfahrzeugen einsatzbereit sei, während israelische Medien, die auf »westliche Nachrichtendienstquellen« Bezug nehmen, berichtet haben, der Iran wäre seit 2008 in der Lage, jährlich bis zu 75 Raketen der damals neuesten Variante Shahab-3B zu produzieren.
Geschätzt soll die Islamische Republik dementsprechend mehrere hundert der verschiedenen Ausführungen der Rakete besitzen – mit ihnen ist bereits teils seit den 1990er Jahren das Militär des Iran offiziell ausgerüstet, neuere MRMB-Typen befinden sämtlich noch in unterschiedlichen Phasen der technischen Entwicklung. Ebenso während des Manövers wurden die Vorgänger der Shahab-3 abgefeuert: Shahab-2 und -1, je mit nur einer Reichweite von unter 1.000 Kilometern.
MRBMs, aus militärischer Sicht im Idealfall mit Nuklearsprengköpfen für einen möglichst großen Flächeneffekt bestückt, sind effektiv gegen große, feste Ziele einsetzbar, wie militärische Anlagen oder urbane Industriegebiete – sie sind die Technologie des Kalten Krieges. Im Falle einer militärischen Auseinandersetzung könnten die Pasdaran mit ihren MRBMs nur Angriffe gegen Israel oder US-Militärbasen in der Region führen; es wäre ihnen nicht möglich, die Straße von Hormuz mit der Bedrohung durch Kurz- und Mittelstreckenraketen zu blockieren, wie imposant ihr Arsenal auch erscheinen mag. MRBMs sind für die Islamische Republik eine Waffe der Vergeltung, nicht des aktiven Handelns.
Aber laut BBC Persian behauptete Salami auch, dass Irans neue ballistische »Ultraschall«-Raketen fahrende Kriegsschiffe mit »einhundert-prozentiger Präzision« treffen könnten. Er bezog sich vermutlich auf die relativ neuentwickelte Rakete »Khalij Fars« (»Persischer Golf«) – ein neuer Typus, der erst vor wenigen Jahren erstmals von der Volksbefreiungsarmee Chinas entwickelt wurde. Diese so genannten anti-Schiff-ballistischen Raketen (anti-ship ballistic missile/ASBM) sollen in der Lage sein, ein bewegliches Ziel auf offener See zu treffen – ganz anders als die technologisch älteren MRBMs.
Ist es eine zu große Herausforderung, ein Schiff mit einer ballistischen Rakete zu treffen?
Die Entwicklung der »Khalij Fars« wurde offiziell im Februar 2011 bekanntgegeben; von nur drei Tests ist bislang die Rede, der letzte nun während des Manövers »Großer Prophet 7«. Die Rakete hat eine vermutete 300 Kilometer Reichweite und soll mit einem 650-Kilogramm-Sprengkopf ausgestattet sein. Sollten sie operativ einsetzbar sein, wären iranische ASBMs eine direkte Bedrohung für den Schiffsverkehr in der Straße von Hormuz und im gesamten Persischen Golf – einschließlich der bedeutendsten Drohmittel militärischer Diplomatie in der gegenwärtigen Krisensituation: Flugzeugträger der amerikanischen Marine. ASBMs benötigen allerdings sehr eine eingebaute extrem präzise Steuerung im Zielanflug, um ein fahrendes und manövrierendes Schiff treffen zu können. Solche Technologie zu beherrschen wäre sicherlich eine Herausforderung für die Raketenindustrie des Iran.
Videoaufnahmen des zweiten Tests der »Khalij Fars« im Februar dieses Jahres zeigen, wie die Rakete lediglich in einem stationären Ziel einschlägt. Experten wie Michael Elleman vom Londoner IISS bestätigen, dass die iranische ASBM nicht leisten kann, was Salami verspricht – »noch nicht«, wie Elleman es ausdrückt. Aber die Entwicklung der »Khalij Fars« zeige, »wonach die Iraner streben, und was sie versuchen abzuschrecken.«
Und doch wären für ein Szenario, das einen echten Krieg noch ausschließt, keine technisch ausgefeilten Anti-Schiff-Raketen vonnöten. Schnellboote und Seeminen wären eine ausreichende Bedrohung für die zivile Schifffahrt – soll heißen, große, langsame Tanker – in der engen Straße von Hormuz. Gemeinsam besitzen die reguläre Marine des Iran und die Seestreitmacht der Pasdaran rund 200 kleine Küstenkampfschiffe und geschätzt 5.000 Minen.
Überquellende Lager und eine geheimnisvolle Explosion
In Bezug auf die Einsatzfähigkeit dieser und anderer Truppenteile der Pasdaran meinte General Salami, sie hätten alle wahrscheinlichen Szenarien in Betracht gezogen, die der »Feind« nutzen könnte, um den Iran zu bedrohen. »Wir leben in einer Umwelt voller Gefahren, aber die Mentalität der Revolutionsgarden ist auf diese Tatsache eingestellt und sie sind bereit, sie zu konfrontieren.« Er erklärte, die iranischen Munitionsreserven seien so immens, dass die »Brüder« in der Pasdaran-Luftwaffe Schwierigkeiten hätten, sie zu lagern.
Lagerungsprobleme mögen auch die Ursache für eine Explosion in einem Magazin der Revolutionsgarden gewesen sein, die im November 2011 den Ort Modarres südwestlich von Teheran erschütterte. Nach offiziellen Angaben geschah der Unfall während »Routinearbeiten«; er hinterließ 17 Tote, darunter Generalmajor Hasan Mogghadam, den Chef des »Autarkie«-Bereichs der Rüstungsabteilung der Pasdaran – er soll der »Vater des iranischen ballistischen Raketenprogramms« gewesen sein.