Lesezeit: 7 Minuten
Serben im Kosovo

Auf dem Balkan was Neues

Feature

Ein Abkommen legt die Grundlagen für die Annäherung zwischen Serben und Kosovaren und den gewünschten EU-Beitritt beider Länder. Doch bei der serbischen Minderheit regt sich Widerstand gegen die Normalisierung.

Kosovo will wie jeder andere unabhängige Staat des Balkans gesehen werden, seit es im Februar 2008 seine Unabhängigkeit erklärte. Serbien verweigert dieses Zugeständnis nach wie vor: Für den Nachbarn ist das kosovarische Gebiet historischer Kern und damit integraler Bestandteil der eigenen Staatlichkeit. Auch die Religion spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle: Kosovo ist für die Serben Teil ihrer orthodoxen Kirche.

 

Die Pilgerstätten –  insbesondere in Deçan und Gračanica – sind Symbole der serbischen Nation und ihres religiös geprägten Selbstverständnisses. Obwohl das kosovarische Dilemma innerhalb der EU als staatsinterne Affäre gesehen wird, bemühten sich Priština und Belgrad am 19. April 2013 unter Vermittlung der Außenbeauftragten Catherine Ashton um eine Normalisierung ihrer Beziehungen.

 

Das Ergebnis kann als historisch gelten: Ivica Dačić, serbischer Ministerpräsident und vormaliger Pressesprecher der Sozialistischen Partei Slobodan Miloševićs, unterzeichnete gemeinsam mit seinem Amtskollegen Hashim Thaçi, früher Kommandant der Kosovo-Befreiungsarmee (UÇK), einen Vertrag über die Normalisierung der Beziehungen der einst erbitterten Kontrahenten.

 

Kann die Anziehungskraft der Europäischen Union für nachhaltige Entspannung sorgen?

 

Serbien erkennt seinen Vertragspartner als unabhängigen Staat noch immer nicht an. Diese Haltung steht aber nicht unbedingt im Widerspruch zum eigentlichen Ziel des Abkommens: Es symbolisiert in erster Linie die Anziehungskraft der Europäischen Union auf zwei Länder, die sich als potentielle Mitgliedstaaten betrachten und ihren Beitritt forcieren. Auch für die EU ist die Integration des westlichen Balkans nur eine Frage der Zeit.

 

Für den Entspannungsprozess bleibt abzuwarten, ob die Strahlkraft der EU ausreicht, über Reformen und diplomatische Bemühungen zu einer langfristigen Lösung in der Kosovo-Frage zu gelangen. Auf dem Balkan ist das Streben nach der Mitgliedschaft bisher ungebrochen – kaum beeinflusst von der Krise in Griechenland und in anderen EU-Staaten. Das kroatische Beispiel brachte jüngst neue Hoffnung auf die weitere Einbindung der übrigen Balkanstaaten mit sich – das Land wurde im Juli 2013 der 28. Mitgliedstaat der Union.

 

Der Balkan hat mit den EU-Bedingungen zu kämpfen

 

In einer zwiespältigen Lage befinden sich im Ringen um den EU-Beitritt nicht nur Kosovo und Serbien: Mazedonien zum Beispiel steht der Konflikt mit Griechenland im Weg. Athen akzeptiert nicht, dass ein unabhängiger Staat den Namen »Makedonien« trägt, denn diesen trägt bereits eine griechische Region.

 

Im August erreichte der Zwist für einen kurzen Augenblick auch die Schlagzeilen in Deutschland: Im Champions-League-Qualifikationsspiel zwischen dem FC Schalke 04 und PAOK Saloniki hatte ein mit den Gelsenkirchnern befreundeter mazedonischer Fanclub eine Flagge mit dem »Stern von Vergina« ausgerollt – ein von Griechen und Mazedoniern gleichermaßen reklamiertes Nationalsymbol. Die Polizisten im Stadion hatten daraufhin den Fanblock gestürmt und für Unverständnis bei Fans und Verein und diplomatische Verstimmungen in Skopje gesorgt.

 

Aber auch Bosnien-Herzegowina ist noch immer ein gespaltenes Land: geteilt in eine bosniakisch-kroatisch dominierte Hälfte und die serbische »Republika Srpska«, die sich selbst als unabhängig betrachtet. Albanien kämpft derweil mit Problemen abseits territorialer Fragen: Es gilt zuverlässig als korruptestes Land auf dem europäischen Kontinent. Um die Kriterien der EU zu erfüllen und eine echte Aussicht auf Aufnahme zu erhalten, dürfte der Weg noch lang sein.

 

Dennoch sticht die kosovarische Lage in der Liste der problembehafteten Staaten heraus: Manche Gebiete des Staates werden mehrheitlich von Serben bewohnt. Besonders die Serben im Norden des Landes und in der geteilten Stadt Kosovska-Mitrovica fühlen sich von Belgrad hintergangen, wann immer die Politik sich um eine Normalisierung der Beziehungen bemüht. Als sich die Ministerpräsidenten der Konfliktstaaten trafen, wurde dies verbreitet als Verrat empfunden.

 

Kosovo strebt nach Selbstbestimmung, seine serbische Minderheit nach Belgrad

 

Im Nordkosovo kam es infolge des Abkommens aus dem Frühjahr zu Aufständen, die die kosovarische Polizei zurückdrängte. Der Höhepunkt der staatlichen Gewalt in der Region jedoch wurde bereits im Sommer 2011 erreicht. Obwohl die militärische Autorität eigentlich bei der NATO liegt, reagierte die kosovarische Führung brutal auf Proteste. Die Verschiebung der Machtkompetenzen von den internationalen Instanzen auf die kosovarischen Behörden ist seit der Unabhängigkeitserklärung ein langwieriger und undurchsichtiger Prozess.

 

Das Streben der Kosovaren nach Selbstbestimmung wird durch die externen Akteure zusätzlich erschwert: Während sich die Vereinten Nationen neutral geben, finden die EU-Staaten zu keiner gemeinsamen Linie. Hinzu kommt die serbische Präsenz im Norden des Landes. Die Minderheit der Serben im Kosovo zeigt sich angesichts der Normalisierungsbestrebungen unbeeindruckt: Im Juli dieses Jahres hat sie ihre Autonomie ausgerufen und in Zvečan ein eigenes Parlament gegründet.

 

Innerhalb der serbischen Gemeinschaft ist jedoch die Auffassung verbreitet, dass Belgrad ihre Hauptstadt sei. Eine andere Staatsangehörigkeit erscheint vielen undenkbar. Aus diesem Grund werden wohl weite Teile der serbischen Gemeinschaft im Kosovo die für November 2013 vorgesehenen Wahlen boykottieren. Da die Wahlen ein Kernstück des Vertrags zwischen Priština und Belgrad sind, steht der Normalisierungsprozess auf dem Balkan wieder einmal vor einer ungewissen Zukunft.

Von: 
Jeelan Syed

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.