Als Halb-Bulgare, Halb-Syrer sah sich Ruslan Trad immer als Mittler. Der Krieg in Syrien brachte seinen Glauben an die Regierung ins Wanken. In diesem Essay beschreibt der Polit-Analyst, wie Damaskus die öffentliche Meinung in Europa beeinflusst.
Ich bin ein Verräter. Das begriff ich zum ersten Mal, als die bulgarische Botschaft im Libanon mich warnte, nicht nach Beirut zu reisen. Mein Name stünde auf einer Liste, welche die Hizbullah im Auftrag des syrischen Regimes führt: gesucht wegen staatsfeindlicher Aktivitäten. In Syrien würde mich ein Prozess vor einem Militärgericht erwarten.
Aus ideologischer Sicht ist alles, was ich heute tue, Verrat. Dass ich in den Augen des Regimes ein Verräter bin, ist einerseits ein Symbol für die Lügen, an die ich früher selbst glaubte. Andererseits treibt mich der Vorwurf heute an. Denn in Wirklichkeit habe ich ein System verraten, das von innen heraus tief verrottet ist.
Ich wurde in Sofia geboren. Mein Vater arbeitete viele Jahre in der Konsularabteilung der syrischen Botschaft. In meiner Jugend habe ich viel Zeit im Botschaftsgebäude und der Residenz des Botschafters verbracht. Später wurde ich aktiver Teil des syrischen Studentenwerks in Bulgarien. Die Machthaber in Damaskus sahen in jemandem wie mir zweifellos eine nützliche Ressource. Mit dem Studentenwerk stellten wir Treffen, Ausstellungen und andere Kulturveranstaltungen auf die Beine. Ich war stolz auf diese Aktivitäten und blind gegenüber jeder Kritik am System in Syrien.
Im November 2010 begegnete ich Baschar Al-Assad in Sofia. Assad besuchte Bulgarien zu der Zeit auf Einladung des damaligen Präsidenten Georgi Parvanov. Seine Familie, inklusive seiner Kinder, waren ebenfalls mitgereist. Ich unterhielt mich mit seinen Leibwächtern und vereinbarte für die bulgarische Zeitschrift TEMA ein Interview mit seiner Frau Asma. Assad war in voller Mannschaftsstärke angereist, seine Entourage umfasste unter anderem Außenminister Walid Al-Muallem, Chef-Beraterin Buthaina Schaaban, Wirtschafts- und Handelsminister Lamia Assi sowie den stellvertretenden Außenminister Abdul-Fatah Ammura. Einige der Personen, die Assad in Sofia traf, sitzen heute am Kabinettstisch, in den Ministerien oder in der Präsidialverwaltung.
Die Machthaber in Damaskus sahen in jemandem wie mir zweifellos eine nützliche Ressource.
Lange Zeit konnte ich mir nicht vorstellen, dass dieser Mann, dem ich in Sofia gegenüberstand, höchstpersönlich Befehle zur Bombardierung von Wohngebieten unterzeichnet haben könnte. Ich hätte nicht gedacht, dass das, was die Welt in Libyen und Ägypten verurteilte, in Syrien in einem viel größeren und blutigeren Ausmaß geschehen könnte.
Heute, im Jahr 2019, über Syrien zu sprechen, ist schwierig. Für viele Menschen ist das, was in Syrien geschieht, ein Mysterium, eine Verschwörung, ein Kampf um Einflusssphären. Heute beinhaltet jedes Gespräch über Syrien die Worte »Terrorismus«, »Islamischer Staat«, »Geopolitik«. Nichts davon war jedoch Teil des Diskurses, als 2011 die Proteste in Syrien ausbrachen. Deswegen müssen wir einen Blick zurückwerfen, um zu verstehen, wie sich die Debatte über Syrien so sehr gewandelt hat, dass es jemandem wie Assad und seinen Untergebenen gelungen ist, sich vor der internationalen Gemeinschaft zu rehabilitieren.
Warum ausgerechnet nach Sofia blicken? Die bulgarische Hauptstadt ist aus geopolitischen Gründen wichtig. Als Land mit EU-Außengrenze in unmittelbarer Nachbarschaft zur Türkei spielt Bulgarien in den strategischen Überlegungen der Regionalmächte eine zentrale Rolle. Bulgarien ist auch für Syrien wichtig. Die Beziehungen zwischen Sofia und Damaskus waren über mehrere Jahrzehnte eng, die Länder standen lange auf derselben Seite des Eisernen Vorhangs. Ob Landwirtschaftserzeugnisse, Maschinenexporte oder Waffenhandel: Ihren Höhepunkt fanden die Beziehungen in den 1980er Jahren.
Das bulgarische Kulturinstitut in Damaskus war damals einer der wenigen kulturellen Hotspots der Stadt. Und viele Syrer studierten in Bulgarien, einige blieben in ihrer neuen Heimat, andere gingen zurück und stiegen in Führungspositionen auf. Das jeweils schwierige Verhältnis zum gemeinsamen Nachbarn Türkei machte beide Länder zu strategischen Partnern.
Noch nie war die syrische Botschaft in Sofia so umtriebig wie heute. Sie sammelt Daten und koordiniert eine ganze Reihe geheimdienstlicher Aktivitäten. Ich würde sogar so weit gehen, dass die Botschaft in der bulgarischen Hauptstadt seit 2011 weltweit einer der Schlüsselstandorte für das Regime ist. Die wichtigsten Botschaftsmitteilungen und Befehle der syrischen Behörden laufen über Sofia. Die Botschaft, insbesondere der örtliche Abgesandte der Baath-Partei, überwacht von hier aus auch die syrische Exil-Opposition, und dafür gibt es einen guten Grund.
Eines der ersten Treffen der syrischen Opposition fand 2012 in Bulgarien statt. An der Tagung im Kurort Pravets, etwa 45 Minuten von Sofia entfernt, nahmen eine ganze Reihe prominenter Persönlichkeiten teil, darunter etwa Burhan Ghalioun, der erste Vorsitzende des Syrischen Nationalrats. Der damalige Außenminister und spätere UN-Sonderbeauftragte für Irak, Nikolaj Mladenov, war federführend an der Organisation beteiligt.
Ab 2012 begannen syrische Geschäftsleute in Varna und Plovdiv, die Trommel für das Assad-Regime zu rühren.
Um der sich daraufhin abzeichnenden öffentlichen Unterstützung für die syrische Revolution entgegenzuwirken, gab das Regime der Botschaft in Sofia die Aufgabe, lokale Verbündete zu finden. Die beiden wichtigsten Kriterien: eine antiamerikanische Einstellung und ein guter Draht zu Moskau. Der Plan: eine umfassende Kampagne, die die öffentliche Debatte schließlich in die entgegengesetzte Richtung lenkt. Was damals in Bulgarien geschah, ist ein Experiment, das sich in vielen anderen Ländern, auch in Westeuropa, wiederholt hat. Überall tauchen mittlerweile prominente Schergen des Regimes in der Öffentlichkeit auf, um dessen Ansichten zu verbreiten.
Aber um die volle Bedeutung dieser Image-Kampagne zu verstehen, müssen wir nach Syrien zurückkehren. Ausländer, darunter vor allem Arabisch-Studenten, bekommen bei ihrem ersten Besuch in Syrien oft zu hören, dass sie im Gespräch mit Taxifahrern Vorsicht walten lassen sollten, denn häufig arbeiteten diese als Informanten für den syrischen Geheimdienst – ein willkommenes Zubrot in einem Job, der sonst nicht viel abwirft.