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Sklaverei in Mauretanien

Ein ungeliebtes Erbe

Analyse

Aktivisten bemängeln fehlende staatliche Initiativen und fordern die effektive Anwendung der Gesetze. Doch rechtsstaatliche Missstände und Repressionen alleine erklären nicht die gesellschaftliche Akzeptanz der Sklaverei in Mauretanien.

Gemessen an der Gesamtbevölkerung ist der Anteil der Sklaven in Mauretanien laut dem »Global Slavery Index« mit 4 Prozent noch vor Usbekistan, Haiti, Katar und Indien weltweit am höchsten. In absoluten Zahlen sind 155.600 Menschen (Stand 2014) in Mauretanien Opfer von Sklaverei, bei einer Gesamteinwohnerzahl von 3,8 Millionen Menschen. Der Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen über zeitgenössische Formen der Sklaverei, Gulnara Shahinian, zufolge, sind 10-20 Prozent der mauretanischen Bevölkerung von »echter Sklaverei« betroffen.

 

Weltweit wird die Gesamtanzahl der Opfer moderner Sklaverei auf circa 35,8 Millionen Menschen geschätzt. Die noch bestehenden Formen der Unterdrückung bestimmter Gesellschaftsgruppen lassen sich auf die starke hierarchische Gliederung der mauretanischen Gesellschaft zurückführen. Der Sklavenstatus wurde über die Generationen hinweg vererbt und ist tief in die traditionelle Gesellschaftsstruktur, geprägt von Stämmen und strenger sozialer Hierarchie, verankert.

 

Es wird zwischen den Ethnien arabisch-berberischer Abstimmung und jenen schwarzafrikanischer Herkunft unterschieden. Etwa 70 Prozent der Bevölkerung sind arabisch-berberischer Abstammung und sprechen den arabischen Dialekt Hassania. 30 Prozent davon werden als Weiße Mauren, oder »Bidhan« (arabisch für »Weiße«) bezeichnet. Sie sind Nachfahren der arabisch-berberischen Einwanderer, die sich seit dem 11. Jahrhundert in Mauretanien ansiedelten und über die politische und wirtschaftliche Macht im Land verfügten.

 

Noch heute bilden sie die aus »Hassani« (Krieger) und »Marabouts« (Islamgelehrte mit Heiligenstatus) bestehende Oberschicht. Die restlichen 40 Prozent der Hassani sprechenden Bevölkerung sind schwarzafrikanischer Abstammung und werden als Schwarze Mauren oder »Haratin« (befreite Sklaven) bezeichnet. Ihre Vorfahren waren ehemalige Sklaven. Auch in Marokko stellen sie heute noch in den südlichen Provinzen (Westsahara) einen hohen Bevölkerungsanteil dar. Als Haratin werden dunkelhäutige, in der Landwirtschaft tätige, Menschen bezeichnet, die in Mauretanien noch häufig diskriminiert werden.

 

Obwohl die schwarzen Mauren von der Sklaverei befreit wurden, unterliegen sie noch häufig der direkten oder indirekten Kontrolle ihrer Herren. Sklaven im Besitz ihrer Herren haben weder das Recht Land zu besitzen, noch ihre Mitgift bei Eheschließungen einzufordern oder Eigentum und Besitztümer ihrer Familien zu erben. Obwohl auch andere ethnischen Gruppen, die kollektiv Schwarze Mauretanier genannt werden, von Sklaverei betroffen sind, so gehört der Großteil der mauretanischen Sklaven der Gruppe der Haratin an.

 

Heute sind Sklaven nach wie vor in vollem Besitz der Herren, werden als Eigentum gesehen und ihnen bleibt jeglicher Zugang zu Bildung verwehrt. Bei Hochzeiten ist es üblich, junge Sklaven als Geschenk mitzugeben, wobei durch die Wegnahme der Kinder von ihren Eltern in sehr jungem Alter ganze Familien zerrissen werden. Nur selten entstammen Kinder einer Ehe, sondern sind meistens Ergebnis von Vergewaltigungen durch die Sklavenhalter.

 

Sklaven werden nicht verkauft, sondern als Sklaven geboren und verschenkt und leiden enorm unter physischer, als auch psychischer Gewalt. Die meisten von ihnen werden für die Feld- und Hausarbeit eingesetzt, sind bis zu ihrem Lebensende an ihren Herren gebunden und werden nicht entlohnt. Auch andere Sklaverei ähnliche Praktiken werden häufig praktiziert. Menschenhandel, Zwangsheirat von Minderjährigen und Kinderarbeit sind nur einige davon. Nicht nur die eingetrichterte Inferiorität, beruhend auf ihrer Hautfarbe, veranlasst Sklaven dazu, zu glauben, bei ihren Herren bleiben zu müssen, sondern auch die Angst nach einem Fluchtversuch veranlasst viele, wieder zurückzukehren.

 

Oftmals ist auch Armut ein Grund zu bleiben. Die Versorgung mit Nahrung, Kleidung und Unterkunft lässt die Beziehungen zwischen Herren und ihren Sklaven sehr väterlich wirken. Sklaven, denen eine Flucht gelungen ist, leben oftmals in Lagern von Sklavennachfahren oder in Vierteln außerhalb von Städten. Befreite Sklaven stellen in Mauretanien die ärmste Bevölkerungsschicht dar, die nur über einen eingeschränkten Zugang zu Dienstleistungen und Bildung verfügen. Häufig verrichten sie niedrige Tätigkeiten in Städten, wie Nachtwächter oder Portiere. Frauen verrichten weiterhin Haushaltstätigkeiten für Verwandte ehemaliger Sklaven, oder werden in die Prostitution gezwungen. En yüksek deneme bonusu veren siteler 2023 listesine tinfishgaslamp.com adresinden ulaşabilirsiniz.

 

Zwischen Gesetzestext und Realität

 

Bis heute sind Berufe und Funktionen streng nach Kastenzugehörig getrennt. Eine Vermischung zwischen den Kasten, wie etwa durch Heirat, ist äußerst selten und niedrige Kasten, wie die der Schmiede, sind gesellschaftlich marginalisiert. Die Identität und Kastenzugehörigkeit wird über die Generationen hinweg weitergegeben, demzufolge auch heute viele Jugendliche der Meinung sind, dass gemischte Ehen inakzeptabel seien. Dem Sklaverei-Experten und Vorsitzende der NGO »Free the Slaves«, Kevin Bales, zufolge, reicht die Sklaverei bis zu 2000 Jahre zurück.

 

1905 wurde Sklaverei durch die französische Kolonialverwaltung in Mauretanien erstmals offiziell beendet, zu einem wirklichen Ende der Sklaverei kam es aufgrund der Großflächigkeit des Landes aber nicht. Nach der 1960 erlangten Unabhängigkeit legte Mauretanien in der Verfassung von 1961 die Abschaffung der Sklaverei fest. Artikel 1 der Verfassung garantiert allen Bürgern die gleichwertige Behandlung vor dem Gesetz, egal welchen Geschlechts, Rasse oder sozialer Herkunft sie angehören. Das Recht auf Eigentum und Erbe ist laut Artikel 15 allen mauretanischen Bürgern gewährt und Artikel 395 verbietet jegliche Diskriminierung hinsichtlich des Zugangs zu Arbeit.

 

Weder die verfassungsmäßige Verankerung, noch die offizielle Abschaffung der Sklaverei 1981 führten zu einem Ende der Unterdrückung. Zur Bekämpfung des Menschenhandels wurde 2003 ein Gesetz verabschiedet, das Sanktionen und lebenslange Zwangsarbeit für Straftäter vorsieht. Das 2007 verabschiedete Gesetz zur Kriminalisierung von Sklaverei findet in der Realität kaum Anwendung. Seither wurde nur ein Fall gegen einen Sklavenbesitzer erfolgreich verfolgt und zu Ende gebracht. Mauretanien hat zwar zahlreiche internationale Abkommen und Instrumente ratifiziert, die sowohl Sklaverei, als auch Menschenhandel und Zwangsarbeit verbieten, in der Praxis aber kaum Anklang finden. Des weiteren bedarf es eines Rechtsschutzes für Kinder, da diese oftmals zu Bettelei oder Hausarbeit gezwungen werden.

 

Die Religion wird nach wie vor von Sklavenhaltern und Religionsgelehrten für die Aufrechterhaltung von Sklaverei missbraucht

 

Die Religion wird nach wie vor von Sklavenhaltern und Religionsgelehrten für die Aufrechterhaltung von Sklaverei missbraucht. Die Legitimität und Existenz von Sklaverei wird durch Koransuren untermauert und als Mittel zur Unterordnung von Sklaven genutzt. Für lange Zeit wurde den Sklaven glaubhaft gemacht, sie würden nicht ins Paradies kommen, falls sie ihrem Herren den Rücken kehrten.

 

Das Phänomen der Zwangsbettelei tritt zudem im Zusammenhang mit dem institutionalisierten Religionsunterricht in Erscheinung. Sogenannte Taliban (allgemein für Religionsstudenten, die in keiner Beziehung zu den Milizen in Afghanistan stehen) werden von Marabouts für den eigenen finanziellen Profit zur Bettelei gezwungen. Die Verordnung vom 9. November 1981, welche seither Sklaverei offiziell verbietet, sah zwar keine explizite Bestrafung von Sklaverei vor, enthielt jedoch gemäß der Scharia Entschädigungen für jene, die Sklaverei abschafften, unter anderem die Sklavenhalter. Die Höhe der Entschädigungen wird von Religionsgelehrten, Ökonomen und Verwaltungsbeamten festgelegt.

 

Zwei Jahre Haft für eine Karawane gegen Enteignung

 

Im letzten Jahrzehnt wurden auf Initiative von ehemaligen Sklaven und Sklavenhaltern zahlreiche NGOs gegründet, die sich für eine Abschaffung von Sklaverei und Landenteignung einsetzen, u. a. die NGOs »SOS-Esclave«, »El Hor« und »Walk Free« sowie die »Initiative pour la Résurgence du Mouvement Abolitionniste en Mauritanie« (IRA). Im öffentlichen Diskurs ist Sklaverei ein Tabu. Regierungsvertreter behaupten, Sklaverei sei längst Vergangenheit und die Bevölkerung in Mauretanien sei frei.

 

Einige offizielle Vertreter bestätigen hingegen die Existenz von Sklaverei, deren Ursache auf die enorme Armut im Land zurückzuführen sei. 44 Prozent der Bevölkerung leben mit weniger als 2 US-Dollar pro Tag. Die Analphabetenquote liegt bei 50 Prozent und die Arbeitslosigkeit beträgt 30 Prozent. Ausländische Journalisten, die über Sklaverei in Mauretanien berichten wollen, können nur unter einem falschen Vorwand einreisen und wurden bereits in einigen Fällen zu Haftstrafen verurteilt oder des Landes verwiesen.

 

Zudem sind Aktivisten, die sich gegen Sklaverei einsetzen immer wieder Repression, Verurteilung und Folter. Biram Dah Abeid, Vizepräsident von IRA, sowie die zwei Anti-Sklaverei-Aktivisten Brahim Biala und Djiby Sow Ramdhane, wurden am 15. Januar 2015 von einem mauretanischen Gericht zu zweijährigen Haftstrafen verurteilt. Biram Dah Abeid kam im Juni 2014 bei den Präsidentschaftswahlen auf den zweiten Platz, wurde aber wegen Organisation einer Karawane gegen Landenteignung der Haratin und Sklaverei verurteilt. Nach dem Urteilsspruch forderten Demonstranten vor dem Justizministerium in Nouakchott mit die Freilassung der Aktivsten. Die Verurteilung wurde von der Menschenrechtskommission des europäischen Parlaments als »skandalös für das 21. Jahrhundert« bezeichnet.

 

Nicht-arabischsprachigen Bevölkerungsgruppen bleibt jeglicher Zugang zum Justizsystem verwehrt

 

Die Inhaftierung von Aktivisten, die sich für die Anwendung des Gesetzes zur Kriminalisierung von Sklaverei aussprechen, zeigt, wie die Regierung und politische Entscheidungsträger, die oftmals selbst Sklavenhalter sind, einer effektiven Abschaffung von Sklaverei entgegenwirken. Nicht nur das repressive Vorgehen gegenüber Aktivisten, sondern auch der mangelnde politische Wille seitens der Regierung und der Gesellschaft, lassen keine sichtlichen Veränderungen des Status Quo zu.

 

Zudem trägt das Justizwesen, das ausschließlich in arabischer Sprache arbeitet, zur Bevorzugung gewisser Stämme und Bevölkerungsgruppen bei. Nicht-arabischsprachigen Bevölkerungsgruppen bleibt jeglicher Zugang zum Justizsystem verwehrt. Das Fortbestehen der Sklaverei lässt sich nicht ausschließlich auf politisches Versagen und mangelnde Rechtsverfolgung zurückführen. Die Sklaverei ist in den sozialen Strukturen der mauretanischen Gesellschaft stark verankert. Das führt zu einer Reproduktion der sozialen Klassen und Diskriminierung über Generationen hinweg.

 

Der Mangel an Bildung sowie der vererbte Status ermöglichen keinerlei Ausweg aus dem hierarchischen Kastensystem. Der historisch und psychologisch bestimmte Zusammenschluss von Sklaven und ihren Herren, der in Mauretanien noch sehr verbreitet ist, hindert ein breites Umdenken und lässt nach wie vor Sklaverei gesellschaftlich akzeptabel erscheinen.

 

Neben wirtschaftlichen Sanktionen fordern internationale NGOs verschärfte Maßnahmen im Rechtsbereich seitens der mauretanischen Regierung sowie die rechtliche Unterstützung von Opfern und sozioökonomischen Unterstützungsprogrammen. Es bedarf daher einer umfangreichen Strategie der mauretanischen Regierung mit dem Ziel, die Opfer von Sklaverei in die Gesellschaft wieder zu integrieren.

Von: 
Ingrid Heidlmayr

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