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Stürmung der britischen Botschaft

Verqualmte Erinnerungen

Feature

Die Empörung über die Stürmung der britischen Botschaft mag zunächst verständlich sein. Doch ein Blick zurück zeigt, die iranisch-britische Geschichte attackierter diplomatischer Vertretungen spielte sich vor allem in London ab.

Es war ein regnerischer Tag und ein Tag, der die iranisch-britischen Beziehungen verändern sollte. Der iranische Botschafts-Concierge Abbas und der britische Wachmann Lock saßen zusammen bei einem Kaffee im Empfangsraum der Botschaft. Kurz vor dem Mittagessen erscheint ein junger Mann an der Tür, den beide für einen Studenten halten. Als sie ihn hereinlassen, zieht dieser eine Maschinenpistole hervor und überwältigt die Beiden. Es folgen weiter junge Männer, das Botschaftspersonal wird in Geiselhaft genommen. Bilder von vermummten Männern, zersplitterten Fenstern und Flammen, die aus dem Gebäude schlagen, laufen weltweit über die Fernsehschirme.

 

Die Botschaft, die hier brennt, ist nicht die des Vereinigten Königreiches und die Stadt, in der sie steht, ist nicht Teheran. Die Besetzung, die vom 30. April bis zum 5. Mai 1980 die Welt in ihren Bann zog, fand in London statt und betraf die Botschaft der Islamischen Republik des Iran. Der Angriff durch arabische Separatisten forderte neben dem Leben der Geiselnehmer auch das zweier Botschaftsangehörigen, unter ihnen ein iranischer Diplomat. Erst nach fünf Tagen konnte die Geiselnahme durch die militärische Spezialeinheit SAS beendet werden.

 

Auch in London schützen sich Botschaften nicht von selbst

 

Zugegeben, der Vergleich mit der Stürmung der britischen Botschaft vom 29. November hinkt etwas. In Teheran wurden keine Geiseln genommen, keine Menschen starben, lediglich die Büroeinrichtung ging zu Bruch. Ebenso lagen die medialen Reaktionen meilenweit auseinander. Während 1980 die gewaltsame Befreiung der Botschaft zu weltweiten Lobeshymne auf das britische Krisenmanagement führten, galt die Nichtverhinderung der Stürmung im Jahr 2011 schon fast als informelle Kriegserklärung. Allerdings waren es in London auch keine einheimischen »Studenten«, die ihrer Wut Luft machten, sondern ausländische bewaffnete Separatisten mit einem klaren politischen Ziel.

 

Trotzdem zeigt der Vergleich, dass auch im Vereinigten Königreich Botschaften sich nicht allein durch ihren völkerrechtlichen Status schützen und entkräftet den Vorwurf des britischen Außenministers William Hague, wonach die Besetzung einer Botschaft nur mit Unterstützung der jeweiligen Regierung möglich sei. Zudem zeigt er, dass auch eine angegriffene Botschaft nicht das Ende diplomatischer Beziehungen bedeuten muss. Denn während im Jahr 2011 nach einigen verbrannten Fahnen und zu Bruch gegangenen Bildern der Queen, sich sogar der Sicherheitsrat mit dem »Affront« befasste, reagierten die Iraner auch in weiteren Fällen meist mit business as usual.

 

Botschaftsangriffe haben im Vereinigten Königreich Tradition

 

Am 23. September 2008 warfen Unbekannte einen Molotowcocktail auf den Eingang der iranischen Botschaft in London, ohne, dass Scotland Yard es schaffte, die Täter zu ermitteln. Auch zur Zeit der iranischen Präsidentschaftswahl und der Niederschlagung der »grünen Bewegung« im Iran kam es immer wieder zu kleineren Angriffen auf die iranische Botschaft.

 

Im Jahr darauf, am 9. Mai 2010, zerschlugen mehrere politische Aktivisten die Fenster der Botschaft, um gegen die bevorstehende Exekution von fünf iranischen Gefangen zu protestieren. Auf dem Video, welches sie am Tag darauf auf YouTube stellte, kann man zwar viele Vermummte, aber keine britischen Polizisten erkennen. Diese kamen allerdings am 17. Dezember 2011, allerdings erst nachdem Mitarbeiter der Konsularabteilung selbst auf ein verdächtiges Paket aufmerksamen geworden waren. Dieses explodierte wenig später unter der Kontrolle von britischen Bombenexperten.

 

Sind also Angriffe auf die iranische Botschaft schon fast die britische Regel? Der letzte, auf das mittlerweile verlassene Botschaftsgebäude am vergangenen Donnerstag, soll nur zwei Tage nach der berühmten Stürmung ihres britischen Gegenstückes stattgefunden haben. Der britische Premierminister David Cameron bekam von alldem, wie von der mittlerweile eingegangenen iranischen Entschuldigung, wahrscheinlich nichts mit. Stattdessen saß er schon mit seinen europäischen Kollegen zusammen, um weitere Reaktionen angesichts dieses »schändlichen Aktes« zu besprechen. 

 

»Für die beharrlichen Aktionen ihrer Polizeikräfte während der ungerechten Geiselnahme in der Botschaft«, bedankte sich 1980 hingegen die iranische Regierung bei der britischen Polizei. Ein  Dankesschreiben Camerons an den Teheraner Polizeichef Hossein Sajedinia zur Normalisierung der iranisch-britischen Beziehungen vorzuschlagen, sprengt nun wieder den Vergleich der beiden Ereignisse. Eine Erinnerung an die Geschichte gemeinsamer Botschaftsstürmungen würde stattdessen schon reichen.

Von: 
Fabian Köhler

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