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Tod von Jitzchak Schamir

Der große Schweiger

Nachruf

Jitzchak Schamir ist tot. Der frühere israelische Ministerpräsident verstarb im Alter von 96 Jahren. Das Land verliert nicht nur einen der letzten noch lebenden Polit-Größen der Gründergeneration, sondern auch einen der umstrittensten.

Das Leben von Walter Edward Guinness, Spross der gleichnamigen Bierdynastie, Teilnehmer am Zweiten Burenkrieg und der dritten Flandernschlacht im Ersten Weltkrieg, fand am 6. November 1944 ein jähes Ende. Vor seinem Haus in Kairo wurde der Vertreter des britischen Empire im Nahen Osten ermordet. Die Täter: Elijahu Bet-Zori und Elijahu Chakim.

 

Der Drahtzieher: Ein als orthodoxer Jude getarnter Mann, der mit Frau und Kind in den Apfelsinenplantagen der Kleinstadt Bnei-Brak im Untergrund lebte, der den Decknamen »Kamerad Michael« trug, eigentlich Jitzchak Jesernizki hieß, auf den ein Kopfgeld von 200 palästinensischen Pfund ausgesetzt war und von der britischen Mandatsmacht in Palästina steckbrieflich mit der Beschreibung »1,65 Meter groß, untersetzt, braune Augen und braunes Haar« gesucht wurde.

 

»Ein Mann aus Stahl« und »dehnbar wie Granit«

 

Die Rede ist von Jitzchak Schamir, dem einstigen Führer der radikalen Untergrundgruppe »Lechi – Kämpfer für die Freiheit Israels«, der es zum Ministerpräsidenten Israels schaffte, ebenso wie zum Sprecher der Knesset und zum Außenminister. Er verstarb am Wochenende im Alter von 96 Jahren nach langer Alzheimerkrankheit und wurde am vergangenen Montag mit einem Staatsbegräbnis auf dem Herzlberg in Jerusalem beigesetzt.

 

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nannte ihn einen »Giganten«, sein Vorgänger im Amt, Ehud Olmert, pries ihn als »Mann aus Stahl«, während ihm der amtierende Verteidigungsminister Ehud Barak attestierte, »dehnbar wie Granit« gewesen zu sein und Staatspräsident Schimon Peres erklärte, man gedenke einem »mutigen Kämpfer«.  Dass er die Staatsgründung Israels 1948 überhaupt erlebt hat, ist indes ein Wunder.

 

Die britische Mandatsmacht hatte mit ihm anderes vor. Nach dem Bombenanschlag des »Irgun – Nationale Militärorganisation« gegen das Jerusalemer King David-Hotel im Juli 1946 wurde er infolge des »schwarzen Sabbats«, an dem fast die gesamte politische Führung der Juden in Palästina verhaftet wurde, ebenso von den Briten gefasst – und landete in einem Internierungscamp in Eritrea.

 

Unter Kaffeesäcken von Addis Abeba nach Dschibuti

 

Doch Schamir gelang die Flucht aus Afrika. Aus dem Lager half ihm und zwei Mistreitern ein bestochener italienischer Kaufmann, der einen Tankwagen mit eingebautem Metallraum organisierte, der die drei zunächst ins äthiopische Addis Abeba brachte. Von dort ging es für Schamir als blinder Passagier unter Kaffeesäcken liegend im Zug in das seinerzeit französische Dschibuti und auf bisher nicht nachvollziehbare Weise an Bord eines französischen Kriegsschiffes schließlich nach Toulon.

 

Von dort brachte er nicht nur fließende französische Sprachkenntnisse und die Liebe für die Chansons von Édith Piaf sowie Rotwein mit, sondern auch die Gewissheit, dass er seine komplette Familie im Holocaust verloren hatte. Seine Mutter und beide Schwestern kamen in Konzentrationslagern ums Leben, sein Vater, dem vor dem Abtransport nach Auschwitz die Flucht in das alte Heimatdorf im damaligen Polen und heutigen Weißrussland gelang, wurde dort von der einheimischen Bevölkerung erschlagen.

 

Vom Kinobesitzer zum Mossad-Mann

 

In einem tschechoslowakischen Flugzeug landete Schamir schließlich am 20. Mai 1948 im gerade gegründeten Staat Israel – und kurz darauf starb der schwedische Vermittler der Vereinten Nationen, Frag Folk Bernadotte. Er wurde von ehemaligen Mitgliedern des mittlerweile von David Ben Gurion verbotenen »Lechi« ermordet. Spekulationen, nach denen Schamir selbst in die Tat involviert gewesen sein sollte, kommentierte er Zeit seines Lebens nicht.

 

Wie so vieles. Jitzchak Schamir, das war der große Schweiger, der Schwätzer hasste und stattdessen still und leise aus dem Hintergrund heraus kompromisslose Pläne schmiedete. Die Gelegenheit dazu bekam er 1956, als der Mossad ihm einen Job anbot. Zuvor hatte er wenig erfolgreich einige Kinos geleitet und sich als Bauunternehmer versucht. Kurz vor dem Sechstageskrieg 1967 verließ er jedoch den israelischen Auslandsgeheimdienst – ohne jemals ein einziges Wort über dieses Jahrzehnt in seinem Leben zu verlieren.

 

Begin und Schamir – zwei Rivalen auf Lebenszeit

 

Aber auch nach seiner Zeit als Mossad-Mann arbeitete er im Verborgenen. Trat dem Cherut bei, der Partei Menachem Begins im Likud, dessen Kommilitone er schon an der Warschauer Universität in den 1930er Jahren gewesen war. Die beiden verband eine Rivalität, die noch aus der Zeit des britischen Mandats herrührte. Seiner Zeit hatte der spiritus rector der revisionistischen Zionistenbewegung, Wladimir Jabotinsky, befohlen, der Kampf des Irgun gegen die Mandatsmacht solle eingestellt werden, schließlich sei der wahre Feind Nazi-Deutschland.

 

Menachem Begin blieb beim Irgun – Schamir indes folgte Abraham Stern, um den sich der Lechi formierte, der stets die Briten bekämpfte, wie später auch – wieder – der Irgun. Paradoxerweise blieb Begin, der den Irgun geleitet hatte, über Jahrzehnte der Stempel »Terrorist« anhaften, obwohl er in seinem Leben keinen einzigen Schuss abgefeuert hatte, wohin gegen Schamir stets lediglich als Rechtsaußen bezeichnet wurde, obwohl er, wie das ehemalige Irgun-Mitglied und später zum Friedensaktivisten geläuterte Uri Avnery einst festhielt, »die Nummer eins unter den Freischärlern Palästinas zu Zeiten des britischen Mandats« war und »ein Mann, der einen anderen zum Tode verurteilen konnte.«

 

Mit 65 Jahren plötzlich Kronprinz

 

Nun, Jahrzehnte später, folgte Schamir Begin in die Politik, war zuerst für Einwanderungsfragen zuständig und saß ab 1974 in der Knesset. Bei der Machtübernahme des Likud 1977 ging er indes leer aus, bekam keinen Ministerposten, sondern wurde zum machtarmen Knesset-Sprecher ernannt. Nach einem Streit zwischen Eser Weizman, dem Vorsitzenden des Cherut, und Menachem Begin übernahm Schamir erst Weizmans Posten und ersetzte dann den ebenfalls zurücktretenden Mosche Dajan als Außenminister.

 

Im Alter von 65 Jahren war Schamir so zum Kronprinz avanciert. In der Groß-Israel-Ideologe blieb Schamir seinem einstigen Lehrmeister Jabotinsky treu und verfolgte dessen Außenpolitik der »Eisernen Mauer«, enthielt sich bei der Abstimmung über die Verträge von Camp David, ebenso wie beim Parlamentsvotum über den Friedensvertrag mit Ägypten und sprach sich für die Invasion im Libanon aus.

 

Ein politischer Falke – ein Leben lang

 

 Politischen Schaden trug er indes nicht davon, sondern beerbte Begin im Amt des Ministerpräsidenten – und forcierte zur Überraschung vieler Kritiker die Bekämpfung orthodoxer Siedler, die die von Israel besetzten Gebiete mit Terror und Gewalt überzogen. Ein politischer Falke blieb er indes ein Leben lang. Nach seiner einjährigen Amtszeit von 1983 bis 1984 teilte er sich anschließend bis 1992 im Rahmen eines Rotationsverfahrens mit Schimon Peres das Ministerpräsidentenamt.

 

In diese Zeit fiel neben der Einwanderung von etwa einer Million sowjetischer Juden der Beschuss Israels mit Scud-Raketen durch den irakischen Diktator Saddam Hussein, die Erste Intifada und die Madrider Friedenskonferenz. Zu der war der lebenslang als Falke agierende Schamir nur widerwillig und auf Druck der USA gefahren – und hatte im Vorfeld für einen Eklat gesorgt, als er erklärte: »Die Araber sind dieselben Araber und das Meer ist dasselbe Meer.«

Von: 
Dominik Peters

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