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Wahlen in Turkmenistan

Denn sie haben keine Wahl

Analyse

Am Sonntag wird in Turkmenistan gewählt. Der Sieger steht bereits fest: Präsident Gurbanguly Berdymuhammedow wird auch die nächsten fünf Jahre im Amt sein. Für die Bevölkerung verheißt das nichts Gutes.

Es ist lediglich eine Frage der Prozentzahl: Werden am Sonntag mehr oder weniger als 89 Prozent der drei Millionen wahlberechtigten Turkmenen erneut für ihren Präsidenten Gurbanguly Berdymuhammedow stimmen? Wird er sein Wahlergebnis von 2007 halten können, ausbauen oder gar leicht verlieren?

 

Letzteres ist unwahrscheinlich. Schließlich braucht Berdymuhammedow niemandem eine funktionierende Demokratie vorzuspielen. Die internationale Gemeinschaft hat ein weitaus größeres Interesse an den gigantischen Erdgasreserven, auf denen Turkmenistan sitzt, als an einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Bewohner des Landes. Schätzungen zufolge lagern unter dem Sand der turkmenischen Wüste und im Osten des Kaspischen Meeres die fünftgrößten Erdgasvorkommen der Welt. Den Zugang zu diesem Schatz möchte sich niemand verbauen.

 

Und so haben die Turkmenen offiziell zwar die Wahl zwischen Berdymuhammedow und sieben weiteren Präsidentschaftskandidaten, in Wirklichkeit aber steht der Sieger schon lange fest. Und so verkündete jüngst die OSZE, sie werde auf eine Wahlbeobachtungsmission verzichten – zu fragil sei der Dialog mit dem Regime, zu wenig Sinn mache die Beobachtung. Die Wahl sei eine Inszenierung von »Schneewittchen und den sieben Zwergen« witzelten regionale Beobachter im Vorfeld und spielten damit auf die Lieblingsfarbe des amtierenden Präsidenten an: Weiß.

 

Seit fünf Jahren herrscht der heute 55-jährige Berdymuhammedow über den zentralasiatischen Wüstenstaat. Sein Vorgänger Saparmurad Niyazov, besser bekannt als Turkmenbashi, war im Dezember 2006 überraschend einem Herzanfall erlegen. An seine Stelle trat Berdymuhammedow, Leibzahnarzt und Gesundheitsminister des Alleinherrschers. Trotz der offensichtlich gestellten Wahlen im Februar 2007 keimten nach dessen Machtübernahme Hoffnungen auf eine Lockerung des Regimes auf. Denn Berdymuhammedow versprach unter anderem, die Demokratisierung des Landes voranzutreiben, neue Exportrouten für die Bodenschätze zu erschließen, die Landwirtschaft zu reformieren, Arbeitsplätze und neuen Wohnraum zu schaffen, die Rechtssicherheit auszubauen, die Renten- und Sozialleistungen zu erhöhen und das Bildungssystem zu reformieren.

 

Keine Chance auf Teilhabe am Rohstoffreichtum

 

Bahnbrechende Reformen jedoch lassen auch vor den nächsten Präsidentschaftswahlen auf sich warten. Zwar hat sich einiges verändert. So sind jetzt neben dem allgegenwärtigen Werk des ehemaligen Präsidenten, dem »Rukhnama«, und dem Koran, auch wieder andere Bücher in Bibliotheken und Schulen zu finden. Doch viele davon stammen aus der Feder Berdymuhammedows. Der Zugang zum Internet ist zwar teilweise eingeführt, jedoch stark staatlich reglementiert, Satellitenfernsehen ist weiterhin verboten, die Ausstrahlung russischer Programme erfolgt erst nach Zensur.

 

Die Gesundheitsversorgung ist im regionalen Vergleich immer noch sehr schlecht, die Lebenserwartung der Turkmenen liegt unter dem weltweiten Durchschnitt. Ein derzeit akuter Ausbruch von viraler Hepatitis im Norden bleibt großenteils unbekämpft, da sich die Menschen eine Behandlung schlicht nicht leisten können. Viele neue Kliniken und Schulen stehen zudem leer, da es an Fachkräften mangelt.

 

Auch auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt hat sich nur wenig getan. Der Reichtum aus dem Erdgasexport wird lediglich – wie auch schon früher – über die Gratisabgabe von Gas, Strom, Wasser, Benzin und Salz und die hohe Subventionierung von Mehl und Zucker an die Bevölkerung weitergegeben – während der Präsident einen architektonischen Wunderbau aus Marmor und Glas neben den nächsten setzen lässt. Human Rights Watch bezeichnet die Lage in Turkmenistan als »Alptraum« – und auch Freedom House ordnet das Land unter die neun repressivsten Regime der Welt ein.

 

In punkto Pressefreiheit sieht es sogar noch düsterer aus: Reporter ohne Grenzen bezeichnet Turkmenistan als »absolute Diktatur« und platziert es auf rang 177 von 179. Nur Eritrea und Nordkorea liegen noch dahinter. Selbst das Verlassen des Landes wird den Menschen seitens der Regierung aktiv schwer gemacht: Durch staatliche Tests und Maßnahmen werden beispielsweise Studenten am Studium an ausländischen Universitäten gehindert. Auch der Verkauf privaten Eigentums ist derzeit suspendiert worden, um die Menschen am Auswandern nach Russland zu hindern.

 

Marktzugang statt Menschenrechte

 

Zwar überraschte Berdymuhammedow seine Landleute im Sommer letzten Jahres mit der Ankündigung, auch die im Exil lebende turkmenische Opposition dürfe an den Präsidentschaftswahlen teilnehmen. Doch das Versprechen war rein taktisch. Da der Präsident befürchtete, es könnte nach einer verheerenden Explosion in einem Munitionsdepot mit mehr als fünfzehn Opfern zu landesweiten Protesten aufgrund des schlechten Katastrophenmanagements kommen, versuchte Berdymuhammedow mit der Einladung an die Opposition die Aufmerksamkeit auf die Wahlen zu lenken. Ernst gemeint war die Einladung jedoch keinesfalls. Nachfragen seitens der OSZE und einzelner europäischer Minister ignorierte Berdymuhammedow geflissentlich. Auch die Kandidatur der Lehrerin Ana Abayewa, eines Mitglieds der sogenannten »Zivilgesellschaftsbewegung«, einer unregistrierten NGO, wurde von Seiten der Wahlkommission abgelehnt.

 

Und so wird sich für die Turkmenen auch an diesem Sonntag keinerlei Besserung einstellen. Dies verdanken sie auch dem gigantischen Reichtum, mit dem das Land gesegnet ist. Denn die internationale Politik hält sich angesichts gigantischer Pipelineprojekte wie der 4000 Kilometer langen Nabucco-Pipeline, die ab 2014 Gas an Russland vorbei nach Europa liefern soll, und der knapp 1800 Kilometer langen TAPI-Pipeline über Afghanistan und Pakistan nach Indien mit Kritik zurück.

 

Auch die großen Multis sehen es mit den Menschenrechten bekanntlich nicht so eng. Energieriesen wie Wintershall und RWE unterhalten Filialen in Turkmenistans Hauptstadt Aschgabat, die Siemens AG liefert die neuste Überwachungs- und Sicherheitstechnik an das Regime, Bauunternehmen der Calik Holding, von Caterpillar und Bouygues ziehen die architektonischen Träume des Präsidenten in die Höhe und die Daimler Benz AG und John Deere versorgen den Fuhrpark des Landes.

 

Die Liebe der internationalen Großindustrie zum Gasreichtum geht so weit, dass nicht wenige dieser international renommierten Unternehmen sich der Übersetzung der »Bibel« Turkmenistans angenommen haben: Sie sorgten dafür, dass das vom verstorbenen Präsidenten Turkmenbashi verfasste »Rukhnama« auch auf anderen Weltsprachen als Turkmenisch erhältlich ist – auf Englisch, Deutsch, Französisch oder Türkisch. Damit speisen sie in nicht unerheblichem Masse die interne Dauerpropaganda des Herrscherhauses, das seiner Bevölkerung mittels solcher Liebesdienste internationale Bewunderung für das Regime vorgaukelt. Die Turkmenen werden es ihnen beizeiten danken.

Von: 
Sara Winter Sayilir

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