Im Mai 1975 erreichten die Schiffe »Nordwind« und »Münsterland« den Hamburger Hafen – nachdem sie acht Jahre im Suezkanal festgesessen hatten. Zeitzeuge Jürgen Katzler berichtet im Interview von seiner Zeit als Kapitän im Großen Bittersee.
Im Jahr 1967, während des Sechs-Tage-Krieges gegen Israel, ließ Ägypten den Suezkanal von beiden Seiten mit versenkten Booten blockieren. Doch zu diesem Zeitpunkt befanden sich noch Schiffe im Kanal – und saßen dort bis 1975 fest. Die beiden deutschen Frachter »Nordwind« und »Münsterland« lagen gemeinsam mit zwölf weiteren Schiffen acht Jahre lang im Großen Bittersee, der breitesten Stelle des Kanals. Am 24. Mai 1975 erreichten sie schlussendlich den Hafen von Hamburg – das Ende einer äußerst ungewöhnlichen Seefahrt.
zenith: Herr Katzler, Sie waren ein halbes Jahr lang einer der Kapitäne der »Gelben Flotte«. Wie kamen Sie damals auf ein Schiff, das im Kriegsgebiet feststeckte?
Jürgen Katzler: Als junger Kapitän mit damals 33 Jahren bin ich am 16. Juni 1969 auf der »Münsterland« eingetroffen. Doch bevor wir auf unser Schiff durften, hatten wir zehn Tage Aufenthalt in Kairo, da die Straße zum Großen Bittersee unter israelischem Beschuss stand. Als sich die Situation ein wenig entspannte, wurden wir von unserem ägyptischen Agenten mit dem Bus zum See gefahren – ein Boot brachte uns die restlichen zwei Meilen zum Schiff. An Bord angekommen wurden wir erstmal herzlich begrüßt, auch von den anderen Schiffsbesatzungen. Die Übergabe von Kapitän zu Kapitän dauerte dann gerade einmal 20 Minuten – und schon war ich der neue Kapitän der »Münsterland«.
Warum sprechen wir heute eigentlich von der »Gelben Flotte«?
Wegen der Wüstenstürme – durch den ganzen Sand wurde auf den Schiffen immer alles gelb. Unser Lieblingssong war deshalb natürlich »Yellow Submarine« von den Beatles – das haben alle aus voller Kehle gesungen.
Wie viele Schiffe lagen zu dieser Zeit denn im Suezkanal?
Insgesamt ankerten damals 14 Schiffe im Großen Bittersee, außerdem ein amerikanischer Tanker, etwas weiter nördlich im Krokodil-See – zu dem Schiff hatten wir allerdings keinen Kontakt. Neben den beiden deutschen Schiffen (»Münsterland«, »Nordwind«) lagen dort vier englische (»Agapenor«, »Melampus«, »Scottish Star«, »Port Invercargill«), ein französisches (»Sindh«), eines aus der Tschechoslowakei (»Lednice«), eines aus Bulgarien (»Vasil Levsky«), sowie zwei polnische (»Djakarta«, »Boleslaw Bierut«), zwei schwedische (»Nippon«, »Killara«) und ein US-amerikanisches Schiff (»African Glen«) – letzteres wurde allerdings im Krieg 1973 versenkt. Mit einer Besatzung von 12-14 Personen pro Schiff lebten zu dieser Zeit also etwa 200 Leute im Bittersee – alles Männer, wir hatten keine einzige Frau an Bord.
»Da der Große Bittersee im Niemandsland zwischen dem von Israel besetzten Sinai und Ägypten lag, konnten wir nicht an Land – und auch über Funk war alles versiegelt«
Ankerten diese Schiffe alle Bug an Bug oder jeweils einzeln im See?
Unser Schiff lag damals noch allein. Doch die polnischen und jeweils zwei der englischen Schiffe waren bereits zu »Paketen« geschnürt – sie wurden also zusammengelegt, bekamen einen Paketnamen und wurden mit nur einem Kapitän und reduzierter Besatzung bemannt. Später fügten wir dann auch die »Münsterland« zu einem solchen Paket hinzu – das war schlicht billiger für die Reedereien.
Wie reagierten die Reedereien auf die Situation?
1969 sah es nicht so aus, als würden sich die Konfliktparteien schnell wieder einigen. Für die Reedereien bedeuteten die Ausfälle der Schiffe und der Ladungen einen enormen Verlust. Zusätzlich mussten die Schiffe in Stand gehalten werden. Wir waren verantwortlich, dass kein Öl auslief oder anderer Unrat von Bord ging. Die dadurch entstehenden laufenden Kosten waren eine große Bürde für die Reedereien.
Wie sind Sie mit diesen Umständen zurechtgekommen?
Wir haben unser Bestes gegeben, die Schiffe soweit möglich in Schuss zu halten und ihren Zustand zu konservieren. Offensichtlich hat sich das gelohnt: Die beiden deutschen Schiffe konnten als einzige aus eigener Kraft aus dem See fahren und kamen 1975 sogar selbstständig in ihrem Heimathafen Hamburg an. Die anderen mussten abgeschleppt und teilweise direkt abgewrackt werden – manche waren nur noch Schrotthaufen.
Kannten Sie denn auch die Besatzungen der anderen Schiffe?
Wir haben fast alles zusammen gemacht und uns gegenseitig kennen- und schätzen gelernt. Da der Große Bittersee im Niemandsland zwischen dem von Israel besetzten Sinai und Ägypten lag, konnten wir nicht an Land – und auch über Funk war alles versiegelt. Unser einziger Kommunikationskanal zum Land war unser Agent, der ab und zu aus Kairo kam und uns die Post brachte.
Wie kamen Sie mit dieser Isolation zurecht?
In dieser Situation war es sehr wichtig, dass wir uns irgendwie bei Laune hielten. Sportliche Aktivitäten waren zum Beispiel eine hervorragende Unterhaltung: Wir konnten uns körperlich ertüchtigen und hatten eine Menge Spaß dabei. Zur Stärkung der Gemeinschaft wurde sogar ein Club gegründet, die »Great Bitter Lake Association«. So entstand eine große Kameradschaft – Freundschaften, die auch noch lange anhielten. Den französischen Kapitän besuchte ich beispielsweise später sogar in seiner Heimatstadt Carcassonne – und er mich in Hamburg.
Die Episode um die »Gelbe Flotte« fiel mitten in den Kalten Krieg. Dennoch loben Sie das Miteinander zwischen Besatzungen aus Westeuropa, den USA und Ostblockstaaten wie Bulgarien oder der Tschechoslowakei. War der Ost-West-Konflikt ein Thema im Großen Bittersee?
Wir hatten damit keine Probleme. Bei uns hat das internationale Miteinander viel besser funktioniert als bei den Vereinten Nationen. Weder der Ost-West-Gegensatz, noch der Vietnamkrieg spielten eine Rolle für uns. Wir wussten zwar, dass die US-amerikanische »African Glen« gerade auf dem Rückweg von einer Munitionslieferung nach Vietnam war, aber über solche Dinge sprachen wir wenig. Stattdessen bildeten wir einen engen Verbund der Kameradschaft. Seeleute sind generell eher liberal: Wenn ein Mann in Not ist, dann wird er selbstverständlich gerettet. Niemand fragt nach seiner Herkunft – das ist Gesetz und liegt uns allen im Blut. Politik hat bei uns daher nie eine Rolle gespielt.
Und wie sah es mit dem Konflikt zwischen Israel und Ägypten aus?
Schon in der Vorbereitung haben wir intensiv die Nachrichten verfolgt und wurden von der Reederei über die Verhältnisse vor Ort gut informiert. Kurz vor meiner Abreise aus Hamburg wirkte es, als würde der Konflikt ein wenig abflauen – der Leiter unserer nautischen Abteilung sagte mir noch, ich würde das Schiff bestimmt nach Hause bringen. Es schien Annäherungen zu geben und besonders Ägypten hatte natürlich großes ökonomisches Interesse daran, den Suezkanal bald möglichst wieder zu öffnen.Wir hätten eigentlich nur die versenkten Wracks auf beiden Seiten des Kanals entfernen müssen – vermutlich zuerst Richtung Süden, wodurch wir dann den langen Weg um das Kap der Guten Hoffnung hätten nehmen müssen. Aber das war durchaus im Bereich des Möglichen und deshalb hofften wir.
Doch dann steckte Ihr Schiff weitere sechs Jahre im Suezkanal fest…
Als ich im See ankam, donnerte es bereits. Tag und Nacht hörte man das Brummen der Geschosse, die über den See flogen. Offiziell gab es zwar einige Waffenstillstände, doch die Kriegshandlungen wurden weiter fortgesetzt. Nachts fanden immer wieder Überraschungsangriffe mit Booten statt, die das andere Ufer beschossen und Spezialkommandos dort absetzten. Außerdem hörten wir regelmäßig Maschinengewehrfeuer und sahen auch manchmal die Leuchtspuren der Geschosse. Tagsüber gab es dann Kämpfe in der Luft, bei denen sich die israelischen Mirage-Jagdflugzeuge und ägyptische MiGs über unseren Köpfen beharkten. Manchmal fielen sogar Patronenhülsen auf unser Deck. Einige Kameraden haben die gesammelt und kleine Aschenbecher daraus gemacht.
»Die Franzosen waren sehr gut mit Spezialitäten versorgt – Wein, Champagner, Kognak. Mehr als sie trinken konnten«
Wie groß war die Gefahr für die Besatzungen der Schiffe?
Ich versuchte stets, unter Deck zu bleiben, wenn die Flugzeuge sich Kämpfe über unseren Köpfen lieferten. Teilweise flogen israelische Jäger vom Sinai auf Augenhöhe an uns vorbei – wir konnten die Piloten von oben sehen, wie sie direkt zwischen unseren Schiffen hindurch sausten. Hin und wieder erschienen auch Panzer auf der israelischen Seite des Sees und schossen direkt über uns hinweg. Durch die Erschütterungen klirrten die unter Deck aufgehängten Tassen, während wir sahen, wie die Geschosse auf der anderen Seite einschlugen.
Wie konnten Sie sich und Ihre Besatzung während dieser Zeit verpflegen?
Lebensmittel erhielten wir über unseren Agenten in Kairo. Bei ihm bestellten wir alles Notwendige. Die Lieferungen dauerten zwar manchmal etwas länger, aber insgesamt funktionierte das ganz gut. Außerdem kam unser Schiff gerade aus Australien und hatte sehr viele Lebensmittel an Bord. Zu meiner Zeit lagen diese Vorräte zwar schon seit zwei Jahren im Suezkanal und wurden nicht besser – einige Dosen waren bereits aufgegangen und nicht mehr zu gebrauchen. Doch vieles war auch noch genießbar. Selbst mehrere Millionen Eier, die wir unter Deck geladen hatten, konnte man hart gekocht immer noch essen. Diese Vorräte verteilten wir auch an die anderen Schiffe sowie den Soldaten, der als Aufpasser auf unserer Gangway sitzen musste.
Führte das nicht zu einem eher einseitigen Speiseplan?
Hin und wieder gab es auch Hammel am Spieß. Und wenn uns einmal das Fleisch ausging, konnten wir Fische fangen. Da durch den Krieg nämlich keine Fischer im See unterwegs waren, tummelten sich die Fische dort nur so. Besonders unser selbst geräucherter Fisch war hervorragend und brachte etwas Abwechslung auf die Speisekarte. Nur frisches Obst gab es wenig und auch Gemüse mussten wir stets bestellen. Einige der anderen Schiffe hatten auch Wein geladen. Die »Scottish Star« beispielsweise lagerte mehrere Fässer Rotwein unter Deck, der bei diesen hohen Temperaturen natürlich auch nicht besser wurde. Davon tranken wir so manches Glas.
Das klingt, als wenn sich eine Art Tauschwirtschaft zwischen den festsitzenden Schiffen entwickelte.
Wir unterstützten uns stets gegenseitig. Immer wieder kamen große Container-Ladungen aus Europa, die wir dann mit kleinen Booten auf unsere Schiffe verluden – und dann wurde getauscht. Die Franzosen beispielsweise waren sehr gut mit Spezialitäten versorgt – Wein, Champagner, Kognak. Mehr als sie trinken konnten. Daher hat deren Koch diese Dinge als Tauschobjekte verwendet und dafür von uns Mehl oder Grießprodukte bekommen – aber Eier gab es bei uns natürlich immer umsonst. Außerdem luden wir uns gegenseitig zum Essen ein. Die Franzosen hatten sogar einen eigenen Schlachter und einen Bäcker in ihrer 24-köpfigen Crew. Der Kapitän baute sich außerdem oben auf dem Bootssteg einen kleinen Blumengarten, den er mit einer Umwälzpumpe bewässerte. Es war herrlich, dort nachmittags ein Gläschen Wein zu trinken.
Wie gestaltete sich denn ansonsten der Alltag auf den Schiffen?
Wir hatten ein ausgeprägtes soziales Leben an Bord und besuchten uns häufig gegenseitig. Auf dem polnischen Schiff wohnte beispielsweise ein Arzt, ein sehr netter, junger Lockenkopf. Der kam häufig zu uns – immer, wenn auf den polnischen Schiffen die politischen Abende stattfanden, zu denen die Besatzungen damals im Kommunismus verpflichtet waren, wurde »zufällig« jemand bei uns krank. So konnte der Arzt abends zu uns kommen. Da wir bei Einbruch der Dunkelheit offiziell nicht mehr unterwegs sein durften, musste er dann auch bei uns übernachten. Auch die anderen Schiffe besuchten wir regelmäßig. Die Engländer waren die Könner beim Darts und die Franzosen spielten gern Boule. Generell waren wir stets innovativ und haben uns jeden Tag etwas Neues ausgedacht.
Könnten Sie dafür ein Beispiel geben?
Fürs Fußballspielen wurden Netze aufgehängt, damit die Bälle nicht ständig von Deck gehen. So spielten wir dann immer vier gegen vier und veranstalteten sogar Meisterschaften – das hat allen großen Spaß bereitet. Doch manchmal fiel der Ball doch ins Wasser. Und da wir abends spielten, weil es tagsüber viel zu heiß war, mussten wir mit Booten und Scheinwerfern nach dem Ball suchen. Ein Jahr vor meiner Ankunft wurde sogar eine Mini-Olympiade im Bittersee abgehalten. Auf allen Schiffen wurden Wettkämpfe veranstaltet: Weitsprung, Hochsprung, Schwimmen, Wasserball, Fußball, Segeln. Das Segeln war sowieso das Größte und hat uns alle zusammengebracht – wir haben uns wirklich heiße Wettkämpfe geliefert. Das bot sich einfach an, denn immer nachmittags kam eine wunderschöne Briese auf.
Woher hatten Sie denn Segelboote?
Als ich an Bord kam, besaßen wir keines und konnten dementsprechend nicht mit den anderen konkurrieren. Einige unserer kleinen Boote waren damals fast verrottet. Wir suchten uns das am wenigsten beschädigte aus, ersetzten kaputte Planken und brachten es wieder in Schuss. Außerdem versahen wir das Boot mit einem Mast und bauten einen Kiel darunter. Zum Nähen des Segels mussten wir allerdings erst Material vom Agenten aus Kairo bringen lassen. Aus einem Motor, den die schwedischen Schiffe in Asien geladen hatten, bauten wir außerdem eine Nähmaschine. Später bekamen wir von der »African Glen«, die neues Holz geladen hatte, sogar so viel Material, dass unser Zimmermann ein ganz neues Boot bauen konnte. Das war den Seglern der anderen dann so sehr voraus, dass es in Wettkämpfen ein riesiges Handicap bekam: Je nach Windlage durften wir erst 30 oder 40 Minuten nach den anderen starten. Jeden Freitag veranstalteten wir dann eine Mini-Regatta und jeweils am Monatsende fand eine große statt. Ich war sogar Mitglied im Regatta-Komitee, das die Regeln festlegte und die Strecken auswies. All das war immer ein großes Vergnügen und im Anschluss feierten wir stets eine Party.
Außerdem entstanden im Großen Bittersee auch handgemalte Briefmarken.
Irgendwann kamen wir auf die Idee, wir könnten doch unsere eigenen Briefmarken herstellen. Teilweise klebten wir die sogar auf Briefe, oft mit ägyptischen Marken daneben, aber manchmal auch ohne, und dennoch wurden einige abgestempelt und kamen an ihrem Bestimmungsort an. Diese Marken haben wir alle selbst gestaltet. Die schönsten kamen eindeutig von den Polen – die waren einfach die besten Maler. Wir malten beispielsweise Meerestiere wie Hummer und Krabben oder auch eine Briefmarke zur Landung des ersten Mannes auf dem Mond. Ich persönlich zeichnete eine schöne Marke anlässlich des 100. Geburtstags des Suezkanals: Den gesperrten Kanal mit einer Mauer in der Mitte und ringsherum die Schiffe. Damals kamen bergeweise Anfragen von Sammlern, die uns um Briefmarken oder Stempel der Schiffe baten. Die waren damals sehr gefragt und sind heute richtige Raritäten.
Am Wochenende kamen Sie regelmäßig zum gemeinsamen Gottesdienst zusammen.
Genau, sonntags haben wir uns immer zur Kirche getroffen. Anfangs auf der »Nordwind«, doch als die schwedischen und deutschen Schiffe später zu einem Paket geschnürt wurden, zogen wir auf die schwedische »Killara« um. Das war das einzige Schiff im See mit einer Klimaanlage. Wir pumpten den Resttreibstoff von allen vier Schiffen auf die »Killara« und konnten so ab und zu die Klimaanlage betreiben. Denn im Sommer hatte es mitunter bis zu 48 Grad Celsius – auch das Wasser mit seinen fast 30 Grad war da keine große Erfrischung. Auf jeden Fall wurden dann auf der »Killara« die Ankerglocken unter Deck gehängt und sonntags von jeweils zwei Person geläutet. Daraufhin kamen die Boote von den anderen Schiffen, alle trafen sich und tauschten erstmal die jeweils neuen Briefmarken aus. Anschließend wurden die Neuankömmlinge willkommen geheißen und vorgestellt. Diejenigen, die in der kommenden Woche abgehen würden, wurden verabschiedet. Und dann wurde bekanntgegeben, welche sportlichen Ereignisse in der nächsten Woche stattfinden würden: Segel-Regatta, Tischtennis auf der »Münsterland«, Darts bei den Engländern, Fußball auf der »Port Invercargill«.
Nach sechs Monaten reisten Sie wieder ab. Wie war es für Sie, nach dieser Zeit nach Hause zu kommen?
Am 23. Dezember 1969 flog ich nach Deutschland zurück – glücklicherweise war der Kapitän nach mir ein Junggeselle, der wenig Wert darauf legte, an Weihnachten zuhause zu sein. Es war schon toll, meine Frau und meinen damals zweijährigen Sohn wiederzusehen – aber als Seeleute waren wir es ja gewohnt, auch mal mehrere Monate unterwegs zu sein.
Wenn Sie heute an Ihre Zeit im Suezkanal zurückdenken, was geht Ihnen dann durch den Kopf?
Das war auf jeden Fall eine einmalige Erfahrung. Es bereitet mir immer noch viel Freude, wenn ich daran denke, wie gut das damals alles gelungen ist. Natürlich hätte ich am liebsten das Schiff da rausgeholt, aber das war mir nicht vergönnt – diese Aufgabe übernahmen dann andere. Aber vor allem meine tolle Besatzung ist mir in Erinnerung geblieben und wie es uns gelang, all diese Leute aus den unterschiedlichsten Ländern unter einen Hut zu bringen. Ein solch internationales Zusammenleben gibt es sonst in der Seefahrt eigentlich gar nicht. Normalerweise gehen wir im Hafen noch nicht einmal auf ein Kompanieschiff, geschweige denn auf ein ausländisches. Im Suezkanal konnten wir auch mal sehen, wie die Schiffe anderer Länder ausgestattet sind, wie die Männer dort leben, und wer sich wofür interessiert. Es war schön zu sehen, wie leicht wir uns alle von den gleichen Dingen begeistern ließen.
»Acht Jahre gefangen im Großen Bittersee«
Als Stellvertretender Pressesprecher der Hamburger Reederei »HAPAG« verfolgte Hans Jürgen Witthöft die Ereignisse der Gelben Flotte intensiv. Zum krönenden Abschluss der Geschichte durfte Witthöft im Mai 1975 auf der »Nordwind« die Elbe herunterfahren, als das Schiff nach acht Jahren auf See in den Hamburger Hafen zurückkehrte: »Die Stimmung an Bord war fantastisch, die Ufer waren voller Menschen – ich kann dieses Gefühl kaum beschreiben«. Im Jahr 2015, als sich die Rückkehr der deutschen Schiffe »Münsterland« und »Nordwind« zum vierzigsten Mal jährte, veröffentlichte er das Buch »Acht Jahre gefangen im Großen Bittersee«.
Jürgen Katzler war von Juni bis Dezember 1969 Kapitän der »Münsterland«, während das Schiff im Suezkanal festsaß. Hans Jürgen Witthöft ist Journalist und arbeitete zu dieser Zeit in der Presseabteilung der Hamburger Reederei HAPAG. Später schrieb er ein Buch über die Gelbe Flotte. zenith traf die Beiden im Mai 2020 in Hamburg.