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Interview mit dem Journalisten Hamza Hammad aus Gaza

»Wir können unseren Beruf nicht frei ausüben«

Interview
Interview mit dem Journalisten Hamza Hammad aus Gaza

Hamza Jamal Ibrahim Hammad gehört zu den verbliebenen Reportern in Gaza. Im Interview mit zenith berichtet er über die Lage im Norden und erklärt, weshalb israelische Streitkräfte insbesondere Journalisten angreifen.

zenith: Wann hat das israelische Militär den Norden Gazas vom Rest des Gebiets abgeschnitten?

Hamza Hammad: Die israelische Operation in Nord-Gaza begann am 5. Oktober 2024. Es folgten über 30 Luftangriffe in Gebieten um das Lager Jabalia, Beit Lahia und Beit Hanun. Am 6. Oktober blockierten israelische Streitkräfte Nord-Gaza in alle Richtungen und die militärische Intervention begann. Die Vertreibung von Zivilisten hat bereits davor stattgefunden, aber von diesem Moment an richteten sich die Bombenangriffe direkt auf die Zivilisten. Das öffentliche Leben wurde ins Visier genommen.

 

Das Kamal-Adwan-Krankenhaus in Beit Lahia wurde Anfang November erneut mehrmals von der IDF attackiert, bereits in den Monaten Dezember 2023 und Oktober 2024 war es Ziel von israelischen Angriffen, dutzende Zivilisten und Fachkräfte wurden getötet und verletzt.

Es handelt sich hier um das wichtigste Krankenhaus in der Gegend. Die Kapazität für die Unterbringung von Verletzten ist an der Belastungsgrenze. Ebenso wie Al-Awda und das Indonesische Krankenhaus ist es Ziel von Artilleriebeschuss. Krankenwagen wurden zerstört, Personal und Ärzte verhaftet. Die Menschen werden durch Flugblätter aufgefordert, die nördlichen Gebiete in Richtung Gaza-Stadt und in den südlichen Teil Gazas zu verlassen.

 

Können die Menschen Nord-Gaza überhaupt noch verlassen?

Internationale Organisationen, die sich im Gazastreifen aufhielten, koordinierten sich mit den Israelis, um einige der Patienten im Gazastreifen rauszuholen. Die Evakuierung nach Gaza-Stadt lehnte Israel aber ab. Ebenso die Einfuhr von medizinischer Versorgung.

 

»Die IDF hat verlautbaren lassen, dass die Palästinenser nicht in ihre Häuser im nördlichen Gazastreifen zurückkehren dürfen«

 

In den Sozialen Medien kursierten in den vergangenen Wochen Bilder von Männern, ausgezogen bis auf die Unterwäsche, zusammengepfercht am Boden sitzend und umzingelt von israelischen Soldaten.

Die IDF verhaftet in der Regel Männer und Jugendliche bei Überfällen auf Wohngebiete und zwingt sie, sich auszuziehen, inklusive der Schuhe. Dies geschah in mehreren Gebieten im nördlichen Gazastreifen. Diese Männer wurden, gezwungen sich zu einem Sicherheitskontrollpunkt zu begeben, der sich in der Nähe des indonesischen Krankenhauses oder in der Nähe des Hauptquartiers der Zivilverwaltung in der Salah-al-Din-Straße befindet. Einige werden verhaftet, andere geschlagen und auf willkürliche und illegale Weise verhört. Und wieder andere werden angeschossen.

 

Wie ist die Lage in Nord-Gaza nach über einem Monat Belagerung?

Aufgrund der israelischen Bombardierungen und Drangsalierungen ist dieser Teil schon mehr als zwei Wochen ohne funktionierende Gesundheitsversorgung, auch Bergungskräfte und Feuerwehr sind hier nicht mehr präsent. Seit Beginn der Belagerung weigert sich die IDF, medizinisches Personal in den nördlichen Gazastreifen zu lassen, um kranke und verletzte Zivilisten zu behandeln. Drohnen zielen auf Zivilisten, auch Fassbomben fordern eine hohe Zahl an zivilen Opfern.  

 

Wie hoch liegt die Zahl der Opfer?

Fast 2.000 Menschen wurden seit Beginn dieser Operation getötet. Mehr als 60 Prozent der Opfer des israelischen Beschusses im nördlichen Gazastreifen sind Kinder und Frauen. Schätzungsweise 40.000 Kinder sind vom Tod bedroht. Neben der Gefahr durch israelische Angriffe schweben sie wegen fehlender Lebensmittel, insbesondere Milch, in Lebensgefahr. UN-Berichte bestätigen, dass die Lage im Norden entsetzlich und die Zivilbevölkerung Hunger und Krankheiten ausgesetzt ist. Die IDF hat zudem in der vergangenen Woche verlautbaren lassen, dass die Palästinenser nicht in ihre Häuser im nördlichen Gazastreifen zurückkehren dürfen.

 

»Wir sprechen hier von einem Gebiet, das völlig zerstört ist. Die tatsächliche Zahl der Opfer konnte noch nicht ermittelt werden«

 

Die israelische Tageszeitung Haaretz spricht in einem Meinungsbeitrag vom 10. November von einer »ethnischen Säuberung« in Nord-Gaza.

Nach dem humanitären Völkerrecht handelt es sich um ein schweres Verbrechen. Massaker werden rund um die Uhr begangen, zuletzt im Flüchtlingslager Jabalia. Wir sprechen hier von einem Gebiet, das völlig zerstört ist. Die tatsächliche Zahl der Opfer konnte noch nicht ermittelt werden – nicht zuletzt, weil Israel den Zugang verweigert, etwa auch für Medienvertreter.

 

Dem Kameramann Fadi Al-Wahidi, der für Al-Jazeera arbeitet, wurde während seiner Berichterstattung in Jabalia in den Nacken geschossen, er liegt nun in Koma. Haben Sie Ähnliches erlebt?

Ich wurde nie direkt bedroht, aber wie andere Zivilisten mit Flugblättern sowie täglichen Mitteilungen über Kurzmitteilungen aufs Handy aufgefordert, die Gegend zu verlassen. Wir haben uns entschieden, unsere Arbeit fortzusetzen in einem Land, wo gerade Journalisten gezielt angegriffen werden – mehr als 180 sind seit Oktober 2023 bereits getötet worden. Viele weitere sind verletzt, ihnen wird die Ausreise aus dem nördlichen Gazastreifen zur Behandlung im Ausland verweigert. Auch ich bin bei der Ausübung meiner Arbeit verwundet worden.

 

Was ist Ihnen genau passiert?

Im Dezember 2023 berichtete ich aus Jabalia, als das Gebiet unter schweren Beschuss kam. Meine Familie wurde in das Gebiet westlich des Safatawi-Viertels vertrieben, in die Nähe eines Kreisverkehrs, der als Al-Jalaa-Kreisel bekannt ist. Nachdem ich mehrere Tage von meiner Familie getrennt war, beschloss ich natürlich, meinen Verwandten Essen zu bringen, da das Gebiet belagert wurde. Einige Tage später, am 22. Dezember 2023, erlitt ich nach einem israelischen Raketeneinschlag schwere Verbrennungen von mehr als 60 Prozent meiner Haut, konnte die Gegend aber nicht verlassen.

 

»Israel geht es darum, dass wir nicht dokumentieren, was die Streitkräfte hier anrichten«

 

Wie haben Sie überlebt?

Im Kamal-Adwan-Krankenhaus konnte man mich notdürftig versorgen. Mehr als einen Monat lang wurde ich mit Antibiotika behandelt. Allerdings fehlten bestimmte Medikamente und auch Fachpersonal für Verbrennungsverletzungen war nicht mehr dort. Nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus setzte ich die Behandlung in einem Haus fort, in das ich umgesiedelt wurde und das einem Freund gehörte, da mein Haus ebenfalls von der IDF zerstört worden war.

 

Wie können Sie unter diesen Umständen Ihrer Arbeit nachgehen?

Ein Problem ist, dass wir keinen Schutz erhalten. Wir können unseren Beruf nicht frei ausüben. Journalisten werden von ihrer unmittelbaren Umgebung getrennt. Es besteht die Angst und die Gefahr, dass die israelischen Streitkräfte jederzeit Orte angreifen, an denen sich Medienvertreter befinden. Ein weiteres Problem ist unsere begrenzte Arbeitsausrüstung. Die israelischen Streitkräfte haben unser Equipment und entsprechende Verkaufsgeschäfte etwa für Kamera- und Tontechnik zerstört. Israel geht es darum, dass wir nicht dokumentieren, was die Streitkräfte hier anrichten. Die Tötungen sowie die systematische und vorsätzliche Schikane gegen Journalisten in den palästinensischen Gebieten sind in diesem Ausmaß einmalig.

 

Sehen Sie einen Ausweg aus der derzeitigen Notlage?

Seit über 400 Tagen fehlt jeglicher Druck, um Verbrechen gegen Menschlichkeit, um Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht aufzuhalten. Und deswegen macht Israel so weiter, indem man die Bevölkerung aus ihren Wohngebieten und ihrem Land vertreibt. Die Menschen in Gaza hoffen auf wirkliche Unterstützung für die Rechte des palästinensischen Volkes auf Freiheit, Rückkehr und Selbstbestimmung. Es braucht eine Intervention und Druck auf die israelische Besatzung, um den beginnenden Völkermord zu stoppen.


Hamza Jamal Ibrahim Hammad, (30), arbeitet seit Ausbruch des Gaza-Krieges als Reporter für den ägyptischen Sender Al-Ghad al-Arabi in Nord-Gaza. Derzeit lebt und arbeitet er in einem Zelt für Journalisten in Gaza-Stadt.

Von: 
Lara Farag und Simone Keller

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